war. Die Welt, wie er sie als Kind mit staunend geöffneten
Augen aus der Wiege, vom Schoß der Mutter, dem Stuben⸗
fenster oder der Treppe des Hauses her wahrnahm, prägte
zuerst jene Mächte des inneren Lebens, die, zunächst viel—
leicht von dem Wirbel wilder Jugendspiele überwuchert,
später als feste Grundlage des empfindenden Ausblicks
erschienen. Sie bonnten nicht verlorengehen, weder in den
Zeiten des Schulbesuchs zu Marburg, noch in den Lehr—
und Wanderjahren, die in Berlin, bei Thumann, Michqgel.,
Gussow, und in Paris verbracht wurden.
Nachdem Banßer sich gefunden hatte, bam eine fruchtbare
Stetigkeit in sein gesamtes Wirben. Er, der in Dresden
die treibende Kraft der dortigen Sezession gewesen war,
führte sie auch zum Sieg und wurde 1896 Professor an der
Königlichen Kunstabademie und erhielt später noch den aus-
zeichnenden Titel eines Geheimen Hofrats. Hier zeigte sich
die erzieherische Kraft seines Charaktters. Wie ehedem
die Kampfgenossen, so scharten sich jetzt die Schüler um ihn,
und es gehört zu seinen großen Verdiensten um die hessische
Heimat, daß er alljährlich im Sommer mit jungen Künstlern
aus allen Teilen Deutschlands nach Willingshausen zog,
dem alten hessischen Malerdorf, wo schon Ludwig Knaus
gewirbt hat, und sie mit den intimen Reizen der Schwalm—
landschaft und dem reichhaltigen menschlichen Beobachtungs-
feld vertraut und so dem Veilchendasein der hesjsijchen Landes-
schönheit ein Ende machte. Diese hat er selbst, wie gesagt,
zunächst von der Seite des Menschentums dargestellt. Ein
Gegenstück zum „Falb“-Porträt ist die nicht weniger markante
„Hessische Bäuerin“ (1902), von deren Antlitz bei aller Ver—
schlossenheit ein herbes Schicksal abzulesen ist, ein typisches
Frauenschickjal der Arbeit und Entsagung, das seine Süge
in das Antlitz der „Bauernbraut“ (1907) aus der Darm—
städter Galerie freilich noch nicht eingeberbt hat. Diesen
erhabenen, schwermütigen Sug der Arbeit, verbunden mit dem
eines wühlenden, geradezu die Schultern belastenden Selbst—
bewußtseins trägt auch der „Ernte-Arbeiter“ (1907), dessen
monumentale Figur, weiß in flimmernder August-Sonne,
in der städtischen Galerie zu Cassel den Beschauer lang
beschäftigt. Das ist ein Hessenmensch, wie er „leibt und
lebt“, beiner freilich von der verwässerten Sorte, wie sie
in den industrialisierten Großstädten Kneipen und Kinos
bevölkern, sondern von jener Art, wie sie draußen auf
dem Lande sich unverfälscht über 54wei Jahrtausende hin
erhalten hat.
Diese Art ist es denn auch, die in den großen Gemälden
aus dem hessischen Bauernleben gespiegelt und mit mächtigem
Widerschein in die große Welt, der Menschheit entgegen,
eeflektiert worden ist. Da stehen die Männer in ihrer eensten
Gewandung und altmodischen Kopfbedeckung vor der Kirche
(1908), die strenge Sammlung des Gottesdienstes in ihren
Mienen, da pocht die Feierstille des Abendmahls an
das Herz des Beschauers, da raunt der Hochzeits-
schmaus (1904) in enger Stube, von Humoren und Ver—
legenheiten durchwittert, und da ziehen die Mädchen und
BSurschen durch den Wald (19516), schier börperlich ver—
wachsen mit dem farbigen Weben der heimischen Natur.
Und in der Mitte braust der „Hessische Bauerntanz“
(1808), wohl das bebannteste Werk von Bantzers
Hand, ein gewaltiger Wirbel von Körpern und Farben,
die rhythmische Synthese eines traditionellen, volkstümlichen
Srauchs, der, von Jahr zu Jahr in mannigfaltigen Ein—
drücken neu erlebt, schließlich in einem Kunstwerk von erstaun-
licher Wirkung sich niederschlug. Da ist nichts Einstudiertes,
da gibt es beine Theaterrequisiten, da ist alles Natur wie
auf der Salatkirmes in Sieqenhain. unter freiem Himmel.
iuf nacktem Erdreich wird getanzt, im Festtagsstaat. Aber
dem Künstler genügt es nicht, Höhepunbte des Jubels zu
etrachten; in seinem köstlichen „Kirmesabend“ (1909) hat
r die Stimmung festgehalten, die einzutreten pflegt, wenn
ie Beine nicht mehr recht wollen und die Mujsikinstrumente
nißtönig werden, wenn die Dämmerung hereinsinbt und
nanchen der Alkohol ums Gleichgewicht betrügt. Mit
einem, genießerischem Humor ist da aus bleinen Szenen ein
sesamtbild gemacht, von dem es schwer fällt sich zu krennen.
mmer wieder gibt es neue Einzelheiten zu belächeln, und
nmer tiefer prägt sich mit ihnen das Ganze dem Ge—
ächtnis ein.
Wenn der schaffende Mensch sich eines Wesens fühlt
ait seiner Heimat, dann ist ihm diese nicht, wie für den
Außenstehenden, etwas Bosonderes, sondern ihre Eigen—
imlichkeiten werden ihm allmählich zu Symbolen des all—
remein Menschlichen, des Lebens an sich. Deshalb
edarf er aber auch nicht in jedem Falle der Außerlichbeit,
im bodenständige Kunst zu schaffen, bedarf nicht der örtlichen
ʒzenerie, der kulturellen Eigentümlichkeit. Die Heimat, der
ldährboden jeines Wesens, wird auch dort aus seinem Schaffen
ꝛden, wo auf äußerliche Kennzeichen verzichtet wird. In
olchen Werben wird aber sein Allerpersönlichstes, das, was
inter der Macht des heimatlichen Gegenstandes zu verschwinden
hien, obgleich es nie verschwand, wieder ganz deutlich zum
)orschein Lommen. Wieder sind es die beuschen Luftstimmungen
»es Morgens und des Abends, die zarten atmosphärischen
„chwingungen von Frühling und Herbst, die bevorzugt werden.
in wieviel Dariationen wird nicht das Thema der Abendruhe
ehandelt: das Ehepaar mit dem schlummernden Kind (1905)
us dem Swickauer Museum, dunbel vor lichtem Hintergrunde,
ie Landarbeiter, von der Ermattung ins Gras gestrecht (1913),
as sind zwei Vorstellungen, die der Künstler seinerseits nicht
üde wird, innerlich zu verarbeiten, um neue Ausdrucksformen,
ind sei es auch nur in einer veränderten Gruppierung, dafür
u finden. And dann wieder, welches Licht, welche Lebens-
bonne in der „Engelwiesje“, im „Familienbild“ (1908), das
a der Berliner Galerie hängt! Ganz gelöst aus aller
ꝛographischen Bindung und doch vertraut, muteten die drei
'andschaften an, der „Slick in den dunblen Wald“, „Auf
reier Höhe“, „Waldwiese“, die Kael Bantzer in der Casseler
Tunstausstellung 1922 im Orangerie-Schloß darbot
ind mit denen er den Vielen, die aus den Sälen des
ẽxpressionismus wie aus Folterkammern flüchteten, ersehnte
Nöglichkeiten der Beruhigung und des innigsten Genusses
chuf. And die Dinge, die das Atelier noch nicht vorlassen
aben, jene jungen Mädchen vor allem, die, auf einem
Zlumenhügel hockend, den blauen Himmel voller Geigen
hauen, dieser wundervolle Gedanke, die Anberührtheit
es Magdtums durch das Leben selbst in monumentaler
domposition zu verherrlichen, wie stark und unabweislich
eugt es für den Meister. der da in der Stille seinen Weg
erfolgt.
Ja, in der Stillel Karl Bantzers vornehme Natur meidet
ie Geräusche, mit denen neuerdings auch die Kunst so gern
ingeben wird. Surückhaltend, wie es nordhessische Art nun
inmal ist, verbirgt er sich hinter seiner Arbeit und lebt als
Mensch den Seinen und all' den stillen Freuden, die einem
ußerlich anspruchslosen, innerlich schwingungsreichen Leben
eschieden sind. Die Landesuniversität Marburg ernannte
»n im Jahre 1904 zum Ehrendobtor der philosophischen
'abultät. 1918 wurde er Direktor der Casseler Kunst—
Abademie, jenes von Landgraf Friedrich I. gegründeten
nstituts, das unter seiner Leitung wieder ein lebendiger
Zerührungspunkt zwischen Volk und Kunst geworden ist.