zugendfrischer Begeisterung schmetterte ich das Lied: „O Wandern,
ↄ Wandern, du freie Burschenlust! Da weht Gottes Odem so frisch
durch die Brust,“ durch den Frühlingswald. Bald erreichte ich
„mit Sang und Klang“ Fischbach, das letzte hessen-darmstädtische
Dörfchen. Es liegt in einem stillen Tälchen, darin ein murmelnder
Waldbach rinnt. Der Vollbsmund nennt es „Fischbach en de Wäll'“.
Dieje Bezeichnung verdankt es seiner Lage. Es ist — rings von
Wald umgeben — wohl die einzige hessische Gemeinde, welche
infolge ihres Waldreichtums beine Steuern erhebt. Die Einwohner,
die sogar noch jährlich ihr Holz umsonst erhalten, sind zu beneiden. —
Kurz hinter dem Vörfchen erreichte ich den rot-weißen Grenzpfahl.
VDon da ab wanderte ich auf preußischem Gebiet. Nun trennte
mich Leine allzu große Strecke mehr von meinem Freunde. Ich
verließ den Wald. Bereits nach einer halben Stunde standen wir
uns freudestrahlend gegenüber. Bald saßen wir am Tisch und
ließen uns „Matte⸗“ und Suckerbuchen bei einem Schälchen, Heeßen“
vortrefflich munden. Doch darf ich nicht flunkern; denn bebanntlich
steht man nicht auf einem Bein. So wurde auch aus einem Schälchen
noch ein zweites und drittes. Es war nämlich echter „Bohne“!
Der Rest des Tages galt dem Austausch von Gedanken und
Erinnerungen. An der lebhaften Unterhaltung beteiligte sich jung
und alt mit Ausnahme der Hausfrau. Sie hatte sich schon wieder
in die Küche begeben, um eine bräftige und wohlschmeckende Atzung
für den Abend vorzubereiten. Su diesem löblichen Werle wurde
sie gern von uns beurlaubt. Als wir bei dem spannenden Thema
Kriegserlebnisse angelangt waren, bat die Hausfrau zum Abend⸗
essen. Sie brauchte ihr Bitten nicht zu wiederholen. Jeder der
Anwesenden half nach Kräften die Schüssel leeren und die dienst—
haren Geister beim Abtragen der Speisen möglichst „entlasten“
Nachdem es füchtig geschmeckt, wurde die Unterhaltung wieder
aufgenommen. So verging die Seit nur allzu schnell. Erst als
die Uhr aushob und Mitternacht verbündete, trennten wir uns, um
unsere Schlafquartiere aufzusuchen. — Für den nächsten Morgen
war ein Gang nach dem „Wippgenstein“ geplant. — Daß ich gut
schlief, brauche ich nicht zu sagen. Es war pünbtlich 8 Uhr, als
ich zum Morgenbaffee erschien. Man haͤtte, in der Erwartung, daß
ich noch lange schlafen würde, mit der Linken gewartet, d. h. schon
gotrunken. Nachdem ich mich gestärkt hatte, brach ich mit meinem
Freunde und seinem Schwager auf. Auf steilem, sandigem Pfad
ging es dem Wanderziel entgegen. Nach einer halben Stunde
langten wir auf dem „Wippgenstein“ oder — wie ihn der Volks—
mund kurz nennt — „Wippelstein“ an. ÜUÜber die Bedeutung des
Namens bonnte ich nichts Näheres erfahren. Ob in früherer Seit
vielleicht ein Wippgalgen dort gestanden hatte oder ob von diesem
Gipfel das Wipfelfeuer zum sternenbesäten Nachthimmel empor—
gelodert war, Lann ich nicht mehr mit Genauigkeit feststellen. Der
„Wippgenstein“ ist ein schönes Fleckchen unserer engeren Heimat
Mãchtige Quarzitblöcke kLrönen das bewaldete Haupt dieses Hügels
Sesonderes Gepräge verleihen die Enorrigen Eichen diesem Land-
schaftsbild. Sie erheben ihr stolzes Haupt berzengrade zur lichten
Himmelshöh'. Mutter Sonne meinte es auch recht gut mit uns
Sie zerriß den grauen Wolkenschleier und begrüßte alles mit ihrem
heiteren Lächeln. Nun erst wurde ich gewahr. daß unser „Wippel.
tein“ auch ein herrlicher Aussichtspunbt ist. Am fernen Horizont
grüßten uns bewaldete Hügelbetten, die im Knüllgebirge und seinen
Ausläufern ihre Fortsetzung fanden. Su unseren Fuͤßen lagen in
nalerischer Schönheit eine Anzahl Schwalmstädtchen und ⸗dörfchen.
Da lagerten in der Richtung Nordost nach Nordwest: Sella, Sos-
ausen, Steina, Ober- und Niedergrenzebach, Siegenhain mit seiner
Strafanstalt — der früheren Burg — die Domäne Schafhof, Rans—
»ach, Leimbach, Gungelshausen, Merzhausen, Treysa mit Hephata,
Frankenhain, Wasenberg mit seiner markanten Kirche, die weit
ichtbar in den Schwalmgrund hinausragt, und als letztes aber nicht
ils geringstes schließt das malerisch gelegene Willingshausen — durch
ie Meister seiner Malschule wie Banßer, Thielemann und andereé
zu Weltruf gekommen — den bunten Reigen. Den würdigen
Abschluß dieses Rundblicks bilden die troßige Landsburg, der
deiligenberg bei Melsungen, sowie der Schloßberg bei Homberg.
Da durchzitterte harmonisches Ostergeläute die himmlische Kuhe
der Natur. Traumverloren gab ich mich dieser wunderbaren Oster⸗
timmung hin. Meinen Freunden erging es nicht anders; auch sie
ersanben in tiefes Nachdenken. Ploßzlich Lam mir, angeregt durch
»as Glockengeläute, ein alter Osterbrauch in den Sinn. Wenn
nan beim Klang der Osterglocken die Hände in fließendes Wasser
aucht, soll man beine Warzen an die Hände bekommen. Ja,
nanchmal erweise sich eine solche Hand, durch Osterwasser geweiht,
ogar als heilkräftig. Ein Gedanke löste den anderen aus. Die
zesamte Symbolik des segenbringenden Osterfestes wie Osteerrute,
Osterwasser, Osterfeuer u. a. zogen an meinem Geiste vorüber.
Lange noch beglückte mich die Schönheit der jungen Natur. Erst
die zum Aufbreruch mahnenden Begleiter riefen mich in die Wirblich-
deit zurück.
Noch einmal nahm ich das Landschaftsbild ganz in mich auf,
uim es in Gedanken zu bewahren. Dann begann der Rückmarsch.
über Hutweiden, Steingeröll und durch Heidekraut ging's bergab
dem Dörflein zu. Nach einem halben Stündchen betraten wir das
Elternhaus meiner Freunde. Bald gaben dampfende Schüsseln den
nit weißem handgewebten Linnen bedeckten Tisch ein gastliches
Aussehen. Da wir die nötige Eßlust schon mitbrachten, brauchte
ins Mutter K. nicht lange zu nötigen. Der Osterbraten, ein junges
Ziegenlamm, machte ihrer Kochkunst alle Ehre. Die geleerten
Schüsseln bewiejen, wie vortrefflich es uns geschmeckt hatte. In
»er Anterhaltung erfuhr ich noch, daß der Wippgenstein unter staat—
ichen Denkmalschuß gestellt sei. Das freute mich. Staat und
Heimat beweisen, daß sie nicht gewillt sind, ihre Raturdenbmäler
chnöder Gewinnsucht willen der modernen Technilk zu opfern. —
So bleibt dieses Naturdenkmal unverändert der Nachwoelt erhalten.
Danbbewegten Herzens verließ ich nachmittags das gaͤstliche
Merzhausen mit der Empfindung: „O Heimat. wie bist du so schöns“
Frühlingsmorgen.
Anemonen blühn am Kain; Glocken schwingen hell durchs Tal:
Junger, goldener Sonnenschein Über Kämpfe, über Oual,
Lockt geheimstes Leben; Herz, wirest du dich neu erheben!
Gottfried Buchmann. Cassel.
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VDom Pulsschlag der Heimat.
Himmeljahrtstag.
VDon Helene Brehm.
Gleichsam als Vorfeier des Pfingstfestes, als eine Überleitung
zu diesem hin, Lann man das Himmelfahrtsfest betrachten. Wann
man es zuerst kirchlich feierte, läßt sich wohl Laum noch mit Sicher⸗
heit feststellen. Sur Seit des heiligen Augustin war jedoch eine
Feier des Himmelfahrtstags bereits bekannt. Von verschiedenen
Kirchenvätern sind zu diesem Tage verfaßte erbauliche Auslegungen
des BSibelwortes erhalten. — Friedrich der Große untersagte die
SBegehung einer birchlichen Himmelfahrtsfeier, aber unter König
Friedrich Wilhelm II. wurde sie wieder eingeführt. — In der
katholischen Kirche wird beim Hochamt die Osterkerze ausgelöscht,
da am Himmelfahrtstag Christus die Erde verließ, indem ihn nach
der Bibel eine Wolke vor den Augen der Jünger aufhob und
zum Himmel trug. (Die batholische Kirche feierkf außerdem am
15. August eine Himmelfahrt der Maria, auch wird von einer
solchen des Henoch, Moses und Jesaias berichtet.)
VOermutlich hat die christliche Kirche auch die Feier der Auffahrt
Jeju zum Himmel auf ein altheidnisches, und zwar auf ein Frühlings—
jest verlegt. Daher noch düefte sich die in Deutschland wohl überäll,
aber auch in der Schweiz bebannte Sitte leiten, an diesem Tage
frühmorgens den Wald aufzusuchen und Bergeshöhen zu ersteigen.
um von ihnen aus das erhabene Schauspiel eines Sonnenaufgangs
zu betrachten. Und für den Naturfreund bietet ja besonders ein
Frühgang in den Wald viel des Herrlichen. Noch schmückt den
Buchenwald sein zartes Maienlaub, noch trägt das Tannicht seine
hellgrünen Spitzen am dunklen Gewand. MAuf den Gräsern
chlummert der Tau. Die Vögel halten Morgengottesdienst. Der
Hirol, der Prachtvogel der deutschen Wälder, läßt seinen wohl-
—00——
Kuckuck neckt aus sicherem Versteck, und manch ein Waldgänger
iragt wohl nach Kinderart:
„Kuckuckskbnecht, sag' mir recht
Wie viel Jahr ich leben soll?“
Oder er erinnert sich des alten Liedes vom Schäfermädchen, das
rin Lämmchen an der Hand weidet und von einem vermeintlichen
Kuckuck genarrt wurde.
Aber nicht nur Spaziergänger sieht der Wald in der Frühe
des Himmelfahrtstags. Anter die singende Jugend mischt sich auch
zuweilen einer, den ein „Geschäftsgang“ hinausführt. Alte Leute
nämlich, die von der wissenschaftlichen Heilkunst immer noch nicht
hiel halten, aber auch junge Mädchen, wissen, daß man am Morgen
»es Himmelfahrtstags Heilkräuter im Frühlingswald suchen muß,
ie gut sind gegen allerlei Gebreste bei Mensch und Tier. In
Obarhessen heißt der Tag deshalb. Kräutertag“ oder „Hellg- (heilig)