Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

zugendfrischer Begeisterung schmetterte ich das Lied: „O Wandern, 
ↄ Wandern, du freie Burschenlust! Da weht Gottes Odem so frisch 
durch die Brust,“ durch den Frühlingswald. Bald erreichte ich 
„mit Sang und Klang“ Fischbach, das letzte hessen-darmstädtische 
Dörfchen. Es liegt in einem stillen Tälchen, darin ein murmelnder 
Waldbach rinnt. Der Vollbsmund nennt es „Fischbach en de Wäll'“. 
Dieje Bezeichnung verdankt es seiner Lage. Es ist — rings von 
Wald umgeben — wohl die einzige hessische Gemeinde, welche 
infolge ihres Waldreichtums beine Steuern erhebt. Die Einwohner, 
die sogar noch jährlich ihr Holz umsonst erhalten, sind zu beneiden. — 
Kurz hinter dem Vörfchen erreichte ich den rot-weißen Grenzpfahl. 
VDon da ab wanderte ich auf preußischem Gebiet. Nun trennte 
mich Leine allzu große Strecke mehr von meinem Freunde. Ich 
verließ den Wald. Bereits nach einer halben Stunde standen wir 
uns freudestrahlend gegenüber. Bald saßen wir am Tisch und 
ließen uns „Matte⸗“ und Suckerbuchen bei einem Schälchen, Heeßen“ 
vortrefflich munden. Doch darf ich nicht flunkern; denn bebanntlich 
steht man nicht auf einem Bein. So wurde auch aus einem Schälchen 
noch ein zweites und drittes. Es war nämlich echter „Bohne“! 
Der Rest des Tages galt dem Austausch von Gedanken und 
Erinnerungen. An der lebhaften Unterhaltung beteiligte sich jung 
und alt mit Ausnahme der Hausfrau. Sie hatte sich schon wieder 
in die Küche begeben, um eine bräftige und wohlschmeckende Atzung 
für den Abend vorzubereiten. Su diesem löblichen Werle wurde 
sie gern von uns beurlaubt. Als wir bei dem spannenden Thema 
Kriegserlebnisse angelangt waren, bat die Hausfrau zum Abend⸗ 
essen. Sie brauchte ihr Bitten nicht zu wiederholen. Jeder der 
Anwesenden half nach Kräften die Schüssel leeren und die dienst— 
haren Geister beim Abtragen der Speisen möglichst „entlasten“ 
Nachdem es füchtig geschmeckt, wurde die Unterhaltung wieder 
aufgenommen. So verging die Seit nur allzu schnell. Erst als 
die Uhr aushob und Mitternacht verbündete, trennten wir uns, um 
unsere Schlafquartiere aufzusuchen. — Für den nächsten Morgen 
war ein Gang nach dem „Wippgenstein“ geplant. — Daß ich gut 
schlief, brauche ich nicht zu sagen. Es war pünbtlich 8 Uhr, als 
ich zum Morgenbaffee erschien. Man haͤtte, in der Erwartung, daß 
ich noch lange schlafen würde, mit der Linken gewartet, d. h. schon 
gotrunken. Nachdem ich mich gestärkt hatte, brach ich mit meinem 
Freunde und seinem Schwager auf. Auf steilem, sandigem Pfad 
ging es dem Wanderziel entgegen. Nach einer halben Stunde 
langten wir auf dem „Wippgenstein“ oder — wie ihn der Volks— 
mund kurz nennt — „Wippelstein“ an. ÜUÜber die Bedeutung des 
Namens bonnte ich nichts Näheres erfahren. Ob in früherer Seit 
vielleicht ein Wippgalgen dort gestanden hatte oder ob von diesem 
Gipfel das Wipfelfeuer zum sternenbesäten Nachthimmel empor— 
gelodert war, Lann ich nicht mehr mit Genauigkeit feststellen. Der 
„Wippgenstein“ ist ein schönes Fleckchen unserer engeren Heimat 
Mãchtige Quarzitblöcke kLrönen das bewaldete Haupt dieses Hügels 
Sesonderes Gepräge verleihen die Enorrigen Eichen diesem Land- 
schaftsbild. Sie erheben ihr stolzes Haupt berzengrade zur lichten 
Himmelshöh'. Mutter Sonne meinte es auch recht gut mit uns 
Sie zerriß den grauen Wolkenschleier und begrüßte alles mit ihrem 
heiteren Lächeln. Nun erst wurde ich gewahr. daß unser „Wippel. 
tein“ auch ein herrlicher Aussichtspunbt ist. Am fernen Horizont 
grüßten uns bewaldete Hügelbetten, die im Knüllgebirge und seinen 
Ausläufern ihre Fortsetzung fanden. Su unseren Fuͤßen lagen in 
nalerischer Schönheit eine Anzahl Schwalmstädtchen und ⸗dörfchen. 
Da lagerten in der Richtung Nordost nach Nordwest: Sella, Sos- 
ausen, Steina, Ober- und Niedergrenzebach, Siegenhain mit seiner 
Strafanstalt — der früheren Burg — die Domäne Schafhof, Rans— 
»ach, Leimbach, Gungelshausen, Merzhausen, Treysa mit Hephata, 
Frankenhain, Wasenberg mit seiner markanten Kirche, die weit 
ichtbar in den Schwalmgrund hinausragt, und als letztes aber nicht 
ils geringstes schließt das malerisch gelegene Willingshausen — durch 
ie Meister seiner Malschule wie Banßer, Thielemann und andereé 
zu Weltruf gekommen — den bunten Reigen. Den würdigen 
Abschluß dieses Rundblicks bilden die troßige Landsburg, der 
deiligenberg bei Melsungen, sowie der Schloßberg bei Homberg. 
Da durchzitterte harmonisches Ostergeläute die himmlische Kuhe 
der Natur. Traumverloren gab ich mich dieser wunderbaren Oster⸗ 
timmung hin. Meinen Freunden erging es nicht anders; auch sie 
ersanben in tiefes Nachdenken. Ploßzlich Lam mir, angeregt durch 
»as Glockengeläute, ein alter Osterbrauch in den Sinn. Wenn 
nan beim Klang der Osterglocken die Hände in fließendes Wasser 
aucht, soll man beine Warzen an die Hände bekommen. Ja, 
nanchmal erweise sich eine solche Hand, durch Osterwasser geweiht, 
ogar als heilkräftig. Ein Gedanke löste den anderen aus. Die 
zesamte Symbolik des segenbringenden Osterfestes wie Osteerrute, 
Osterwasser, Osterfeuer u. a. zogen an meinem Geiste vorüber. 
Lange noch beglückte mich die Schönheit der jungen Natur. Erst 
die zum Aufbreruch mahnenden Begleiter riefen mich in die Wirblich- 
deit zurück. 
Noch einmal nahm ich das Landschaftsbild ganz in mich auf, 
uim es in Gedanken zu bewahren. Dann begann der Rückmarsch. 
über Hutweiden, Steingeröll und durch Heidekraut ging's bergab 
dem Dörflein zu. Nach einem halben Stündchen betraten wir das 
Elternhaus meiner Freunde. Bald gaben dampfende Schüsseln den 
nit weißem handgewebten Linnen bedeckten Tisch ein gastliches 
Aussehen. Da wir die nötige Eßlust schon mitbrachten, brauchte 
ins Mutter K. nicht lange zu nötigen. Der Osterbraten, ein junges 
Ziegenlamm, machte ihrer Kochkunst alle Ehre. Die geleerten 
Schüsseln bewiejen, wie vortrefflich es uns geschmeckt hatte. In 
»er Anterhaltung erfuhr ich noch, daß der Wippgenstein unter staat— 
ichen Denkmalschuß gestellt sei. Das freute mich. Staat und 
Heimat beweisen, daß sie nicht gewillt sind, ihre Raturdenbmäler 
chnöder Gewinnsucht willen der modernen Technilk zu opfern. — 
So bleibt dieses Naturdenkmal unverändert der Nachwoelt erhalten. 
Danbbewegten Herzens verließ ich nachmittags das gaͤstliche 
Merzhausen mit der Empfindung: „O Heimat. wie bist du so schöns“ 
Frühlingsmorgen. 
Anemonen blühn am Kain; Glocken schwingen hell durchs Tal: 
Junger, goldener Sonnenschein Über Kämpfe, über Oual, 
Lockt geheimstes Leben; Herz, wirest du dich neu erheben! 
Gottfried Buchmann. Cassel. 
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VDom Pulsschlag der Heimat. 
Himmeljahrtstag. 
VDon Helene Brehm. 
Gleichsam als Vorfeier des Pfingstfestes, als eine Überleitung 
zu diesem hin, Lann man das Himmelfahrtsfest betrachten. Wann 
man es zuerst kirchlich feierte, läßt sich wohl Laum noch mit Sicher⸗ 
heit feststellen. Sur Seit des heiligen Augustin war jedoch eine 
Feier des Himmelfahrtstags bereits bekannt. Von verschiedenen 
Kirchenvätern sind zu diesem Tage verfaßte erbauliche Auslegungen 
des BSibelwortes erhalten. — Friedrich der Große untersagte die 
SBegehung einer birchlichen Himmelfahrtsfeier, aber unter König 
Friedrich Wilhelm II. wurde sie wieder eingeführt. — In der 
katholischen Kirche wird beim Hochamt die Osterkerze ausgelöscht, 
da am Himmelfahrtstag Christus die Erde verließ, indem ihn nach 
der Bibel eine Wolke vor den Augen der Jünger aufhob und 
zum Himmel trug. (Die batholische Kirche feierkf außerdem am 
15. August eine Himmelfahrt der Maria, auch wird von einer 
solchen des Henoch, Moses und Jesaias berichtet.) 
VOermutlich hat die christliche Kirche auch die Feier der Auffahrt 
Jeju zum Himmel auf ein altheidnisches, und zwar auf ein Frühlings— 
jest verlegt. Daher noch düefte sich die in Deutschland wohl überäll, 
aber auch in der Schweiz bebannte Sitte leiten, an diesem Tage 
frühmorgens den Wald aufzusuchen und Bergeshöhen zu ersteigen. 
um von ihnen aus das erhabene Schauspiel eines Sonnenaufgangs 
zu betrachten. Und für den Naturfreund bietet ja besonders ein 
Frühgang in den Wald viel des Herrlichen. Noch schmückt den 
Buchenwald sein zartes Maienlaub, noch trägt das Tannicht seine 
hellgrünen Spitzen am dunklen Gewand. MAuf den Gräsern 
chlummert der Tau. Die Vögel halten Morgengottesdienst. Der 
Hirol, der Prachtvogel der deutschen Wälder, läßt seinen wohl- 
—00—— 
Kuckuck neckt aus sicherem Versteck, und manch ein Waldgänger 
iragt wohl nach Kinderart: 
„Kuckuckskbnecht, sag' mir recht 
Wie viel Jahr ich leben soll?“ 
Oder er erinnert sich des alten Liedes vom Schäfermädchen, das 
rin Lämmchen an der Hand weidet und von einem vermeintlichen 
Kuckuck genarrt wurde. 
Aber nicht nur Spaziergänger sieht der Wald in der Frühe 
des Himmelfahrtstags. Anter die singende Jugend mischt sich auch 
zuweilen einer, den ein „Geschäftsgang“ hinausführt. Alte Leute 
nämlich, die von der wissenschaftlichen Heilkunst immer noch nicht 
hiel halten, aber auch junge Mädchen, wissen, daß man am Morgen 
»es Himmelfahrtstags Heilkräuter im Frühlingswald suchen muß, 
ie gut sind gegen allerlei Gebreste bei Mensch und Tier. In 
Obarhessen heißt der Tag deshalb. Kräutertag“ oder „Hellg- (heilig)
	        
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