Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Tiefes Schweigen liegt über der Menge, nur wenn die hohlen 
Köpfe unversehens zusammenstoßen, dann murrts und knurrts einen 
Augenblick schläfrig durch den Raum. 
Immer mehr schwillt indessen die Versammlung an. Alle 
Augenblick klinkt die Tür auf: „'n Dag, Drine, ich wollt mir 'n 
bißchen Hefe langen. Für 'n Silberbatzen. Er lieg'n im Töpfchen“. 
„Stoll's dahin“, bedeutet die geschäftige Wirtsfrau freundlich. 
„Ich wollt sie gleich mitnehmen“, meinte Lotze Liß. 
„Lißchen, das geht nicht, ich muß sie erst verteilen“, antwortet 
die Wirtin gleichmütig, aber bestimmt und fährt fort aus der Mulde 
die trübe Brühe, Bier und Hefe, in die verschiedenen Töpfchen 
zu schütten. Dabei hat sie nicht gern Suschauer; denn die Arbeit 
verlangt viel vergleichendes Nachdenben, allen gerecht zu werden. 
Aber Lotze Liß blebt und bramt Neuigleiten aus: „Deine, 
hast du's schont g'hört, mit Pauls Katterleis solls nun auch soweit 
sein“. 
„Och du!“ lautet die einsilbige Antwort. 
„Mechels hab'n diese Nacht 'n bleines Mädchen gebriegt ... 
Mulln ist der Knecht geschätzt. .. Ja, und Bösse Jabob ist die 
Nacht g'storben ...“ GSo ratterts weiter. 
Keine Antwort, nur die Augen der Wirtin, die prüfend von 
Töpfchen zu Töpfchen! gewandert sind. halten einen Augenblick auf 
diejem Wege inne. 
„'n Tag!“ Die alte Waäse Kathrin erscheint jetzt auf der 
Sildfläche. Sie hat den letzten Sipfel von den Neuigbeiten zwischen 
Tür und Angel hindurch gehört und dreht sofort ihren Faden da 
an: „Ja, er hat alles seiner Maad vermacht. 's ist auch nicht ganz 
recht, wie“? 
„Was!“ fährt aber da Lotze Liß auf, „seine Kinder sind all' 
tot, und ich gönn's dem armen Mädchen lieber als der reichen 
Freundschaft“. 
Swei weitere Frauen betreten die Stube, die eine weiß von 
ihrem Wilhelm zu erzählen, der allweil bei den „Trenbern“ (Train) 
steht, und die andre vom Jostebauer, daß er über Feld gegangen 
und nächt zu Abend nicht wieder nach Hause gebommen ist. 
„Du liebes Gottchen, wo wird der wohl sein?“ tönts aus vier 
„Mäulern“ zugleich, und über vier Rücken läuft dabei ein wohl- 
tuendes Gruseln. 
„Wo wird der wohl sein!“ tönt aber da die Antwort von 
der Türschwelle her. „Er war nicht besoff'n, wie ihr vielleicht 
denbt, bloß irr ware auf den Trieschern kommen, und da ist er in 
Hauptschwend' beim Vetter Justus über Nacht geblieben“. 
Das Weibsbild von Jostebäucrin, die das in bissigem Tone 
zwischen das schwatzende vierblätterige Kleeblatt wirft, ist jo urplötzlich 
da zur Stubentür hereingefahren, daß Lotze Liß und dest Waje 
Kathrin und den beiden andern Weibsen das Konzept verrückt 
und das Wort entfallen ist. Ganz bedäppert verläßt eine nach der 
andern das ungemütlich gewordene Lobal, jede mit dem giftigen 
Gedanken, dem Lotze Liß Ausdruck verleiht: „Der — und nicht 
besoffen! ...“ 
„G'n Tag, Waj' Drine“, wisperts da schon wieder. Nells 
Adde bringt ein Töpfchen, und zuletzt kommt noch Dietze Wilhelmchen. 
Nun sind sie alle beisammen. Mutter Drine fuͤllt und verteilt 
immer weiter, stundenlang, bald hier, bald da eine Aenderung 
vornehmend, sie bann sich garnicht genug tun. 
Nun bricht der Trubel des Abholens los. Schwalms Dreine 
steht da wie ein Fichtenstamm im Sturme über die Töpfe gebeugt. 
prüfend, suchend. Sie bann ein Töpfchen nicht finden. 
„Wie sah's denn aus?“ 
„Kot“. 
„Ist's dies?“ 
„Nei — ein“. 
Dies?“ 
„Nein, nein“. 
„Wer hat's denn vbracht?“ 
„Mein' Mutter“. 
Dann schick dein' Mutter her. wir Lommen sonst nicht aus- 
ocinandor“ 
„Schwalms Drine, habt ihr uns denn auch recht, recht viel 
Hef' gegeben — wir wollen doch schlachten“, kommt der Anfall 
»on einer andern Seite. 
„Ja, ich weiß's“. 
— in meinem Töpfchen ist bloß Brüh'“ schilt's von einer 
ritten. 
„Für zwei Heller bann man nicht mehr geben“. 
„Drine, ich hab' gar kbeine briegt“, bost's von einer vierten. 
„Ihr seid zu spät Lommen, ich sagt's gleich. Ich kann die Hefe 
nicht — machen“. 
Schluß ... 
O woh, in dem NAugenblick kommt Dietze Wilhelmchen zurück 
n die Stube geblärrt, Kotz und Wasser weinend, „Was' Orine, 
Wäj' Drine, ich — ich bin gefall'n. 's Töpfchen ist ganz, ganz 
aput. Die Scherbeln und die Hef' liegen im Gäßchen“. 
Stillschweigend, aber leise seufzend geht Mutter Drine da hin 
uind holt das bißchen Hefe, das sie für ihren eignen Haushalt 
urückgestellt hat, füllt's in ein funkelnagelneues Töpfchen, streicht 
dem Kerlchen über die seidenweichen weißen Haarlocken seiner 
Bolkeankb und gibt's ihm. 
Und einen MApfel so rot wie seine Pausbacken erhält Dietze 
Wilhelmche auch noch von der Was' Deine. 
Hofoekirmes* 
:.:. . . ni Anerdoten. ...... 
Geritten. 
Jemand „reiten“. das ist auch so eine Ungspeielei (Eulen- 
piegelei). 
Wenn der junge Wiesenmüller, dessen Mühle etwas seitab liegt, 
ibends „im Dorf“ gewesen war, und er kam bis an eine gewisse 
Stelle, dann huckte ihm ein Bursche auf, und der gute, dumme 
Furchthase von Wiesemüller trug ihn ohne Wehelaut mit Esels- 
jeduid bis ein Stück von seinem Vaterhaus. Dann hüpfte das 
Hespenst“ von seinem Rücken. 
Dasselbe geschah auch eines nachts dem „blenne Hännes“ 
blinden Johannes), einer schwalmbebannten Persönlichbeit. Dies— 
nal hatte sich das „Wahnerding“ (Wanderding, Gespenst) auch noch 
zjanz besonders gespenstermäßig zurechtgemacht, hatte ein Paar 
»aarige Handschuhe angezogen, mit denen es dem armen Hännes, 
er's ächzend trug, alszu im Gesicht herumfummelte. „Alle 
Juten Geister loben ihren Meister!“ hat der da wohl ein Dutzend 
nal gebetet. bis er von seiner Last befreit wurde. Schw. 
Heuüte hatte der Herr Pfarrer ein Säulein geschlachtet, und 
ein Nachbar, der ein armer Schlucker war, hätte gar zu gern eine 
Sseite Speck davon gehabt, wußte aber nicht, wie er sie briegen 
ollte. Lange sann er hin und her, endlich kam ihm ein gescheiter 
Finfall. Er zog sich flinternackigt aus, wie ihn Gott geschaffen hatte, 
berstrich seinen ganzen Körper mit Lampenruß und broch durch 
zie Gosse in die Küche des Pfarrheren. Dort stieg er in den 
5chornstein und machte nun einen Höllenspektabel. Der Pfarrer 
pachte auf und rief die Magd, sie solle einmal nachsehen, was es 
n der Küche gebe. Die ging zaghaft hinein, bkam aber um so 
chneller und ganz verstört wieder in die Stube gesprungen: „Herr 
ANarrer, in dem Schornsteine sitzt der leibhaftige Gottseibeiuns!“ 
Nun ging der Pfarrer selber in die Küche und fragte dem Schorn- 
teine zu: „Alter Teufel, was willst du?“ Der „Schwarze“ antwortete 
nit einer Stimme. die aus dem Grabe zu bommen schien: „Diener 
Hottes, ich will dir eine Seite Speck bringen“. „Alter Teufel, ich 
vill keine Seite Speck von dir“, entgegnete der Pfarrer, „hebe dich 
zinweg von hier“. „Diener Gottes, dann öffne die Tür“. Der 
ARarrer tat's, und der Dieb schritt nun unbehelligt mit der Seite 
poeck hinaus. die er dem Mfarrer gestohlen hatte Schw. 
a⸗⸗ —— — 
VDom Büuchoertische der Heimat. 
List. 
Kosen am Schulhaus. Von Wilhelm Neuhaus. Im Ver— 
lage der M. Westphalschen Buchhandlung, Hersfeld. Preis 2Mb. 
Ja, das sind Kosen, rote Rosen voll träumenden Duftes, ge- 
schlungen um des Lehrers seelsorgende Arbeit. Es wird mir schwer, 
zu sagen, welchem Röslein ich den Preis geben darf. Am besten 
hat mich „Wies geht“ und „Biblische Geschichte“ angesprochen; 
aber die andern mögen nicht bös sein, gefallen haben sie mir alle. 
In den Prosagedichften lernen wir Neuhaus von einer ganz neuen 
Seite Lennen. Aber diese Art liegt ihm vorzüglich. Stücke wie 
„Das be- und mißhandelte Lied“ und „Das bleine »o«“ sind ihm 
jeradezu köstlich gelungen. Wir beglückwünschen den Dichter, der 
en Mitgliedern des Knüllblubs seit der Herausgabe der Seitschrift 
Mein Heimatland“ längst bein Fremder mehr ist, zu dieser neuen 
östlichen Gabe. In einer Seit wie die heutige ist ein Buch wie 
ies ein Trunk aus einem freischen Bergquell, der das Herz frijsch 
ind die Augen hell macht. Gehe hin und kbaufe und seke dich ans
	        
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