Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

entstandenen Kämpfe in der Abgeschiedenheit des hessischen 
Oberlandes ausgefochten werden. 
Aber nicht nur des Inhalts wegen, der das Material 
seiner Geschichten und RKomane ausmacht, und um seiner 
bersönlichen Eignung für die Derarbeitung dieses Materials 
willen ist Bock als ein Volbsdichter im besten Sinne anzu— 
sprechen. Auch Lünstlerisch, hinsichtlich der Form haben 
seine Werke berechtigten Anspruch auf Wirkung in die 
Breite der deutschen Leserwelt. Denn Alfred Bock gehört, 
wie bereits angedeutet, zu denen, die, bewußt oder nicht, 
zur Masse zu sprechen bestrebt sind. Dem Dienste dieser 
Absicht entspricht es naturgemäß, auf die ungemeinen Ver— 
feinerungen des Stils und die zahlreichen Verästelungen und 
Oertiefungen der psychologischen Arbeit, welche für die neuere 
Erzählkunst so bezeichnend sind, möglichst zu verzichten und 
riner — trotzdem mit Anrecht als altmodisch bezeichneten — 
Prosa-Epik sich zu befleißigen, die, auf eine unterhaltsame 
und lehrreiche, und zu diesem Behuf einfache und klare 
Ausdrucksweise hinzielend, nur das Ergebnis einer ebenso 
ursprünglichen wie geschulten Begabung sein kann. Daß 
Alfred Bock über eine solche Begabung verfügt, erhellt 
ꝛinwandfrei aus der meist steaffen, dramatisch gestimmten 
Komposition seiner Erzählungen, aus den bildhaft wirbsamen 
Szenen, in denen die Handlung abläuft, als welcher es 
uchts verschlägt, daß der Autor Anebdoten in großer Sahl 
einzuflechten liebt, die in ihrer schlichten Art an den treu— 
herzigen Ton alter Kalendergeschichten erinnern. 
Mit dieser vielleicht ein wenig trockenen, aber echt hessischen 
Zuverlässigkeit der Darstellung, mit dieser geräuschlosen und 
bescheidenen, dafür aber auch um so bodenständigeren Heimat— 
zunst vermählt sich nun ein strotzender Humor, der irgend— 
welche Sentimentalitäten, womit sonst so gern ein Mangel 
an gestaltender Begabung verhüllt wird, gar nicht aufkommen 
läßt und um der grotesLen Wirkbung willen vor Derbheiten 
Die Lumpenmannsqritt 
Wenn der Lumpenhannes abends heimkam und — was 
»äufig der Fall war — schief geladen hatte, prügelte er 
eine Frau, die Gritt. Das wußte die Nachbarschaft, wußte 
das ganze Dorf, und das Gerede darüber nahm bein Ende. 
Die Gritt wurde rechtschaffen bedauert. Die guten Tage, 
die sie erlebte, waren zu zählen, sie hatte Unglück an allen 
Ecken. Gebürtig war sie aus Kebgeshain, wo ihr VDater, 
ein armer Leinweber, sein Gewerbe in einer dumpfen, 
niedrigen Stube betrieb, die der Familie zugleich als Schlaf- 
raum diente. Wenn Not am Mann war, wenn der Bettel— 
jach an der Wand verzweifelte, ging die Mutter auf die 
Ortjchaften schnurren. Immer fand sie milde Geber. Ein— 
mal hatte der Seidenjoseph im Häuschen des Leinwebers 
genächtigt. Kaum, daß er abgezogen war, brach in der 
Bodenkammer Feuer aus. Zufällig bam die Joechelsdört 
porüber. Schritt dreimal um das Haus, sagte ihre Sprüche 
her, und das Feuer verlosch. 
Die Joceckelsdört war's auch, die der Gritt nach deren 
Konfirmation beim Brunnenbauer in Ruthardshausen eine 
Stelle verschaffte. Die Dierzehnjährige war groß und bräftig 
und bewährte sich als füchtige Schafferin. Der Brunnen- 
bauer war der erste im Ort, der die altväterische Dreifelder- 
wirtschaft beijeite warf und durch Fruchtwechselwirtschaft ersetzte. 
Mancherlei, was er erntete, wurde in der nahen Kreisstadt 
auf den Markt gebracht. Die Gritt hatte die Augen offen. 
Den Haustieren war sie besonders zugetan. Diese lohnten 
die gute Pflege mit Treue und Anhänalichkeit. Hatte eine 
jelegentlich nicht zurückschreckt. Sind es nun auch nicht 
jerade diese höchst erheiternden Geschichten und Histörchen, 
vie sie sich besonders in „Hessenluft“ und „Hessijsche 
S5chwänbe“ finden, die für den Schulgebrauch geeignet sind, 
o ist doch manches ernstere Stück aus Alfred Bocks Büchern 
vert, der heranwachsenden Jugend als Muster volkstüm- 
icher Erzählkunst vorgelegt zu werden. 
Jedenfalls ist es nicht zu bezweifeln, daß die Werbe 
es oberhessijchen Erzählers in ihrer Gesamtheit ein tüch— 
iges Bollwerk wider die Hochflut eines seichten Schrift- 
ums darstellen, mit welchem das Gemükts- und Geistes— 
eben des Volkes nach wie vor verseucht wird. Darum 
ollten sie in beiner öffentlichen Bibliothek fehlen, und jeder, 
er das Volk und füglich auch die Begriffe der Volks— 
»ildung und Volbserziehung ebenso ernst nimmt, wie es sich 
ür ernst zu nehmende Seitgenossen gehört, sollte sich um 
dsie Derbreitung dieser soliden Bücher bemühen. Hiervon 
bgesehen, ist zum Schluß noch Folgendes zu beherzigen: 
die notwendige Wiedererstarkbung des nationalen 
selbstgefühls als Grundlage der kbulturellen Würdigkeit 
er Deutschen ist abhängig von einer grundsätzlichen Der— 
iefung des Stammesbewußtseins. Hier, in dem inneren 
zusammenhang mit der Heimaterde, liegen die Wurzeln der 
Zraft, an deren neubelebtem Pulsieren allein das deutsche 
olb genesen kann. Wenn also der hessische Teil des 
eutschen Volles zum Wohl des Ganzen sich ermannen 
oill, mag er sich auch auf die geistigen Werte besinnen, die 
n seiner Heimat lebendig walten. Vor allem die Beschäftigung 
nit den Dichtern der hessischen Heimat wird den Bewohnern 
iejer wundervollen, märchentiefen deutschen Landschaft manche 
Möglichkeit eröffnen, sich ihres eigentümlichen und doch 
rdeutschen Wesens bewußt zu werden und vermittelst seiner 
Rlege zu neuem Aufblühen des Gesamtvaterlandes und 
des deutschen Gedankens in der Welt beizutragen. 
Von Alfred Bocbh. 
Zuh sich an frischem Klee überfressen und stöhnte vor Schmerz, 
jing's der Gritt so nah, daß sie Tränen vergoß. Der Druck, 
her in ihrem Elternhaus auf ihr gelastet, wich, und sie offen- 
arte einen heiteren Sinn. 
Sie bonnte für ein hübsches Mädchen gelten. Auf dem 
Tanzboden hatte sie bei den Burschen das Geriß, doch hielt 
ie sich ehrbar und brav. Just fünf Jahre diente sie beim 
Brunnenbauer, da erschien ein Mann mit einem Wägelchen 
iuf dem schön gepflasterten, sauberen Hof. Das war der 
dausierer Hannes Schwenck von Kuppertsburg. Ein Dreißiger 
on gedrungenem Körperbau. Um Wangen, Lippen und 
zinn wuchs ihm ein rötlicher Bart. Obgleich sein Außeres 
eineswegs angenehm war, verstand er's, in Miene und Blick 
twas Einnehmendes zu legen. Er bot Pirmasenser Schuh— 
varen feil, schwätzte dem Teufel ein Ohr ab. Sein Handel 
lühte, wie er behauptete. Der Brunnenbauer lud ihn ein, 
n die Stube zu kommen. Dort setzte ihm die Gritt Wurst, 
Brot und Apfelwein vor. Er aß wenig, dreimal aber 
nußte die Gritt das Glas ihm füllen. Früher, erzählte er, 
voäre er als Schuster selbständig gewesen. Indessen behage 
hm das Stillsitzen nicht. Kurzerhand habe er sein Werb— 
eug verbauft und habe sich aufs Hausieren mit Schuhwaren 
jeworfen. Die bezog er von Pirmasens. Er sei ledig, 
chwaderte er. Wenn er einmal heirate, brauche seine Frau 
nücht in geflickten Schuhen zu laufen. Vorm Jahr hatte 
er am Gallenfieber auf den Tod krank gelegen. Ein Gericht 
ürre Erbsen mit Speck hatte ihn gereftfet. Der Brunnen—
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.