Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

O ja, der Habbach wußte früher viele Lieder, eins 
immer schöner als das andere. Aber seit ihn damals die 
Annegrett im Stich ließ und einen andern nahm, verstummte 
der Liedermund, und aus dem frischen, fröhlichen Burschen 
wurde ein stiller Mensch, dem der Gram am Herzen fraß 
und der sich von aller Welt zurückzog. — 
Mitten im Gesang bricht der Habbach ab und deutet 
auf die Straße. Da meldet das eintönige „Peg, Peg“ des 
eisenbeschlagenen Stockes das Herannahen des alten Suvang. 
Schnüffelnd schiebt der seine hagere Gestalt durch das Hof- 
lor, sorglich darauf bedacht, daß der warme Wantel nicht 
an einem hervorstehenden Nagel hängen bleibt. Unter dem 
großen Schlapphut blicken zwei Grau-Augen listig in die 
Welt. Neugierig guckt das große, rote Taschentuch aus 
der linben Manteltasche hervor. 
Die Nase leuchtet etwas ins Rötliche, dem noch ein 
kleiner Unterton Blau durchschimmert. Das fällt jedoch 
den Wenigsten auf, denn der 
BSlick des Beschauers haftet an 
dem hellen Tröpfchen, das die 
Nasenspitze verziert. Und das 
behauptet seinen Platz derart, 
daß es sich in der Vorstellung 
reines jeden mit dem Namen 
Suvang eng verbnüpft. 
Dieser Nasenspitze sieht man's 
auch an, daß der Alte voller 
Witze und Schnurren steckt. Und 
das ist ebenfalls im ganzen Dorf 
bekannt; der Suvang braucht nur 
auf der Bildfläche zu erscheinen, 
so stellt sich auch schon ein Kreis 
Zuhörer und Lachlustiger ein, 
denn jeder hört ihm gerne zu. 
An manchen Abenden ge— 
jellt sich der Lehrer des Ortes 
zu dem Trio. Von ihm stammt 
auch der Name „Kasino“ für 
die Bank unterm Nußbaum, 
der dankbar aufgenommen wurde 
und sich wie ein Lauffeuer über— 
all verbreitete. 
Das Kasino war so recht der Ort, wo alle Dorfneuig 
beiten „durchgequätschelt“ wurden, wo einer dem andern 
sein Leid lagte, wo Freuden und Sorgen des Alltaqs noch 
rinmal wieder auflebten. 
Am schönsten gings, wenn der Bongswar und der 
Suvang von ihren Kriegserlebnissen berichteten. Die tapferen 
Feldzugsgenossen aus dem 83. Infanterie-Kegiment brachten 
außer den eisernen Kreuzen jeder auch noch einen Aznamen 
mit heim, den sie ihr Lebtag behielten. Der Suvang war 
ganz verliebt in das Wörftchen „Souvent“, und weil er alle 
seine Keden damit spickte, nannten sie ihn schließlich nur noch 
den Suvang. — Dem Bongswar dagegen hatte 's der 
Gruß „Bon soir“ angetan, und er begrüßte bei seiner Heim— 
behr die ganze „Bellerie“*) damit. Irgend ein Spottvogel 
brachte das Wort auf, und dann hieß er nur noch der 
Bongswar. Was halj's, daß sie sich beide die Ausdrücke 
wieder abgewöhnten, die Aznamen blieben. 
And die Freundschaft der beiden, im Krieg angebnüpft, 
bestand auch weiter. Wie gern sonnten sie sich noch in 
oergangenen Heldentaten, wie oft bramten sie ihre Erlebnisse 
aus, was der eine vergessen hatte. wußte der andere. und 
3) Belle vue 
nie ermüdeten sie, davon zu erzählen. Meist fing der Bongs- 
war an: „Kärle, bann ich noch dran gedänk, be 's em 
alsemo gegange hot, do stehn mer hitt noch di Hoor ze Barge.“ 
„Jo, jo, domols beĩi Loigny-Poupry sinn mer schwer hei- 
zesucht worn, be dem General von Wittich der Gull es 
engerm zesamme geschosse worn, Kärle, do honn ich der ower 
jemeint, es wär alles velurn. On do derbeĩ mußte mer 
)ann au noch sereck. Alles mußte mer em Stich geloß, 
be hatte mer do Veloste, iwwer en Dote sin mer gestolwert, 
off die annern sin mer gesterzt.“ 
„On erscht, be mer on die Windmill Morale bome, honn 
mer gemerbt, ber uns all gefohlt hot.“ 
„Aus ener Eck refs: „De Major von Lengerbe es au 
net do.“ 
„Do meldt en annern schon: „Der es gefalle“ — do 
refss en alle Ecke: „Der on der es gefalle“ — Kärle. do 
hots mer doch die Hoor hochgezoe.“ 
„Beo der Scherchant Frankbe, 
der die Foohne trog, gefalle es, 
dos seh ich hitt noch vor Auwe.“ 
„Ower die Foohne wor doch 
net velurn, mein Kamrod Schaper 
es hingesprunge, bo er de Doot 
vor Auwe sog, on hot se doch 
dem Franke noch aus der Faust 
geresje.“ 
„Käswiß sog er uus, be er 
se dem Hauptmann von Trüm— 
bach bringt.“ 
„Dos wor's Latzt, bos ich 
geseh honn, denn off eimo werd 
mer min Orm so schwär, on do 
lääͤft au schon dos Blut om 
Armel ruus. On soglich wuur 
mer schlächt, ons wor all.“ 
„Nä, bei meĩ hots noch e 
wenig länger god gedon. Ich 
honn noch de Boͤdrullje off 
Marescheé metgemocht, dos ligt 
iedestlich von Beaumont sur 
darthe, on do gongs der erscht 
noch emo schee. Do honn mer 
200 Stick fedde Osse requisidiert, on's wor alles god bes off 
imo, do scheßt mer so en Schl.... Frangdirier uß em 
Hengerhald dos Bei bapot. Kärle, bann ich den nur glich 
zatt, ich hätt en en Kopp berzer gemocht. No, bos honn 
je gedon, se hon mich off en fedde Oß gelode. on fier mich 
hat' der Krieg e Enn.“ — — 
So und ähnlich lauteten die Gespräche im Kasino, wenn 
»om Krieg die Rede war. Dabei rauchten die drei eine 
Pfeife nach der andern, und das war so ziemlich die einzige 
Freude, die sie sich gönnten. 
Zu den Lichtblicken im Leben der Freunde gehörte die 
Sedanfeier. Schon früh morgens der Sug zur Kirche 
ersetzte den Suvang in feierliche Stimmung. And wie 
lopfte erst dem Bongswar das Herz in der Brust, trug or 
»och als Altester die Fahne und hielt beĩ dem darauf— 
olgenden Gang zum Friedhof eine bleine Ansprache. 
Den Gesang leitete wiederum der Suvang, der früher 
ils Mitglied des Gesangvbereins Tonblüte zu den besien 
Sängern zählte und sich's nicht nehmen ließ, zuerst den 
Choral und dann: „Ich hat einen Kameraden“ anzustimmen. 
Mit gesenkten Köpfen umstanden die vier wabeligen Alten 
»as Kriegerdenkmal und brachten ihren kofen Kameraden
	        
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