O ja, der Habbach wußte früher viele Lieder, eins
immer schöner als das andere. Aber seit ihn damals die
Annegrett im Stich ließ und einen andern nahm, verstummte
der Liedermund, und aus dem frischen, fröhlichen Burschen
wurde ein stiller Mensch, dem der Gram am Herzen fraß
und der sich von aller Welt zurückzog. —
Mitten im Gesang bricht der Habbach ab und deutet
auf die Straße. Da meldet das eintönige „Peg, Peg“ des
eisenbeschlagenen Stockes das Herannahen des alten Suvang.
Schnüffelnd schiebt der seine hagere Gestalt durch das Hof-
lor, sorglich darauf bedacht, daß der warme Wantel nicht
an einem hervorstehenden Nagel hängen bleibt. Unter dem
großen Schlapphut blicken zwei Grau-Augen listig in die
Welt. Neugierig guckt das große, rote Taschentuch aus
der linben Manteltasche hervor.
Die Nase leuchtet etwas ins Rötliche, dem noch ein
kleiner Unterton Blau durchschimmert. Das fällt jedoch
den Wenigsten auf, denn der
BSlick des Beschauers haftet an
dem hellen Tröpfchen, das die
Nasenspitze verziert. Und das
behauptet seinen Platz derart,
daß es sich in der Vorstellung
reines jeden mit dem Namen
Suvang eng verbnüpft.
Dieser Nasenspitze sieht man's
auch an, daß der Alte voller
Witze und Schnurren steckt. Und
das ist ebenfalls im ganzen Dorf
bekannt; der Suvang braucht nur
auf der Bildfläche zu erscheinen,
so stellt sich auch schon ein Kreis
Zuhörer und Lachlustiger ein,
denn jeder hört ihm gerne zu.
An manchen Abenden ge—
jellt sich der Lehrer des Ortes
zu dem Trio. Von ihm stammt
auch der Name „Kasino“ für
die Bank unterm Nußbaum,
der dankbar aufgenommen wurde
und sich wie ein Lauffeuer über—
all verbreitete.
Das Kasino war so recht der Ort, wo alle Dorfneuig
beiten „durchgequätschelt“ wurden, wo einer dem andern
sein Leid lagte, wo Freuden und Sorgen des Alltaqs noch
rinmal wieder auflebten.
Am schönsten gings, wenn der Bongswar und der
Suvang von ihren Kriegserlebnissen berichteten. Die tapferen
Feldzugsgenossen aus dem 83. Infanterie-Kegiment brachten
außer den eisernen Kreuzen jeder auch noch einen Aznamen
mit heim, den sie ihr Lebtag behielten. Der Suvang war
ganz verliebt in das Wörftchen „Souvent“, und weil er alle
seine Keden damit spickte, nannten sie ihn schließlich nur noch
den Suvang. — Dem Bongswar dagegen hatte 's der
Gruß „Bon soir“ angetan, und er begrüßte bei seiner Heim—
behr die ganze „Bellerie“*) damit. Irgend ein Spottvogel
brachte das Wort auf, und dann hieß er nur noch der
Bongswar. Was halj's, daß sie sich beide die Ausdrücke
wieder abgewöhnten, die Aznamen blieben.
And die Freundschaft der beiden, im Krieg angebnüpft,
bestand auch weiter. Wie gern sonnten sie sich noch in
oergangenen Heldentaten, wie oft bramten sie ihre Erlebnisse
aus, was der eine vergessen hatte. wußte der andere. und
3) Belle vue
nie ermüdeten sie, davon zu erzählen. Meist fing der Bongs-
war an: „Kärle, bann ich noch dran gedänk, be 's em
alsemo gegange hot, do stehn mer hitt noch di Hoor ze Barge.“
„Jo, jo, domols beĩi Loigny-Poupry sinn mer schwer hei-
zesucht worn, be dem General von Wittich der Gull es
engerm zesamme geschosse worn, Kärle, do honn ich der ower
jemeint, es wär alles velurn. On do derbeĩ mußte mer
)ann au noch sereck. Alles mußte mer em Stich geloß,
be hatte mer do Veloste, iwwer en Dote sin mer gestolwert,
off die annern sin mer gesterzt.“
„On erscht, be mer on die Windmill Morale bome, honn
mer gemerbt, ber uns all gefohlt hot.“
„Aus ener Eck refs: „De Major von Lengerbe es au
net do.“
„Do meldt en annern schon: „Der es gefalle“ — do
refss en alle Ecke: „Der on der es gefalle“ — Kärle. do
hots mer doch die Hoor hochgezoe.“
„Beo der Scherchant Frankbe,
der die Foohne trog, gefalle es,
dos seh ich hitt noch vor Auwe.“
„Ower die Foohne wor doch
net velurn, mein Kamrod Schaper
es hingesprunge, bo er de Doot
vor Auwe sog, on hot se doch
dem Franke noch aus der Faust
geresje.“
„Käswiß sog er uus, be er
se dem Hauptmann von Trüm—
bach bringt.“
„Dos wor's Latzt, bos ich
geseh honn, denn off eimo werd
mer min Orm so schwär, on do
lääͤft au schon dos Blut om
Armel ruus. On soglich wuur
mer schlächt, ons wor all.“
„Nä, bei meĩ hots noch e
wenig länger god gedon. Ich
honn noch de Boͤdrullje off
Marescheé metgemocht, dos ligt
iedestlich von Beaumont sur
darthe, on do gongs der erscht
noch emo schee. Do honn mer
200 Stick fedde Osse requisidiert, on's wor alles god bes off
imo, do scheßt mer so en Schl.... Frangdirier uß em
Hengerhald dos Bei bapot. Kärle, bann ich den nur glich
zatt, ich hätt en en Kopp berzer gemocht. No, bos honn
je gedon, se hon mich off en fedde Oß gelode. on fier mich
hat' der Krieg e Enn.“ — —
So und ähnlich lauteten die Gespräche im Kasino, wenn
»om Krieg die Rede war. Dabei rauchten die drei eine
Pfeife nach der andern, und das war so ziemlich die einzige
Freude, die sie sich gönnten.
Zu den Lichtblicken im Leben der Freunde gehörte die
Sedanfeier. Schon früh morgens der Sug zur Kirche
ersetzte den Suvang in feierliche Stimmung. And wie
lopfte erst dem Bongswar das Herz in der Brust, trug or
»och als Altester die Fahne und hielt beĩ dem darauf—
olgenden Gang zum Friedhof eine bleine Ansprache.
Den Gesang leitete wiederum der Suvang, der früher
ils Mitglied des Gesangvbereins Tonblüte zu den besien
Sängern zählte und sich's nicht nehmen ließ, zuerst den
Choral und dann: „Ich hat einen Kameraden“ anzustimmen.
Mit gesenkten Köpfen umstanden die vier wabeligen Alten
»as Kriegerdenkmal und brachten ihren kofen Kameraden