Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

chrecken stellte er fest, daß er so lange nichts gegessen hatte. 
Noch in Anterhosen zog er die bewußte Kiste unter dem 
Bett hervor und stärbte sich fürs erste. Als er fertig 
angezogen war, fuhr er mit essen fort. Swei Flaschen von 
dem guten Coburger Bier trank er auch dazu, und weil's 
bequemer war, gleich vom „Stammende“. Einmal setzte er 
ganz plötzlich ab und sah uns ängstlich an: „Ich glaub, das 
is garnet gesund, so aus der Flaschen trinke, da briegt mer 
ioviel Luft in den Bauch.“ 
Jetzt dachte Karl Bellmaus auch etwas zu arbeiten. 
Er bramte eine Weile unter seinem Bett herum und brachte 
ꝛine Konservenbüchse zum Vorschein, die sein Farbtopf war. 
Oben hatte er einen Bügel aus Draht hindurchgezogen. 
Nun nahm er den Farbtopf in die Linke, den Pinsel in die 
Kechte und watschelte in den Hof hinaus. 
Draußen rannten die Franzosen mit langen Schritten 
mmerfort im Kreise herum; denn es war balt. Dabei 
ichnatterten und brähten sie wie aufgeregtes Geflügel. 
Karl Bellmaus ging gemessen hindurch. Nun stand er 
inmitten als ruhender Pol in der Erscheinungen Flucht. Er 
spähte nach den Leuten aus, die noch nicht das Kainszeichen 
auf dem Buckel trugen. Da — haͤtte er einen entdeckt. Er 
teuerte auf ihn los. 
„He! Mißjöh, Mißjöhl He, wartens mal!“ Der baum— 
ange dürre Franzose ist in eifrigster Anterhaltung und sieht 
uind hört nichts. Karl Bellmaus watschelt immer noch mit 
Farbentöpfchen und gezücktem Pinsel hinter ihm her, und 
kann den Langen doch' nicht erreichen, obschon er den Vor— 
teil der inneren Linie hat. Prustend hält er inne. Er hat 
sich's überlegt, daß er's bequemer haben bann. Er wartet, bis 
der Franzmann wieder herumkommt. MDann stellt er ihn aber. 
„Du Hirsch“ brüllt er den Verdutzten an, „du hast ja 
rei Steich net.“ Der sieht den drohend geschwungenen Pinjel 
und macht verbindlichst den Buckel brumm. 
Karl Beollmaus hatte System in dem Strichemachen. 
So einen wie diesen, der ihm soviel Arbeit gemacht hatte, 
strich er tüchtig, daß die Farbe bis aufs Hemd durchging. Und 
wenn er ihn wieder erwischt, wird er ihn noch öfter streichen. 
Dann sah er noch einen zweiten Strichlosen. Aber der 
entwetzte sogleich nach oben ins Lager. And die Treppen 
tieg unser Karl nicht 'rauf. Also machte er für heute 
Feierabend. 
Dann bam das Abendbrot, und danach ging Karl Bell— 
naus gern ins nächste bayerische Dorf. Dort gab's gutes 
Bier und „Weißwürscht“. NAußerdem zog der Weg, sanft 
erast, ganz eben durch den Wiesengrund. Karl Bellmaus 
ging beine Berge hinauf. 
Aber wenn er heimmußte, war da immer der böse 
Schloßberg. Darüber hat er weidlich geschimpft. Schnaufend 
und über die dumme Einrichtung bnurrend, daß man das 
Schloß grad hier hinauf gesetzt, landete er immer schon um 
neun in unserer Behausung. SZwar gings um zehn erst zu 
Sett; aber eine Stunde hatte unser Dicker noch zu tun. 
Er mußte sich noch für die lange Nacht stärben. 
Doch bequem wollte er es dabei haben. Da waren 
die schweren Stiefel, die verhaßten Hosen, in die er nun 
einmal nicht hineinpaßte. Die streifte er zornig ab. Nun 
konnte es losgehn. In Anterhosen und Hemd stand er 
bor dem bleinen Kanonenofen. Darauf zischte eine Pfanne 
nit Speck. Dahinein schnitt er ein tüchtiges Stück harte 
Wurst in kleinen Würfeln. Dann fügte er vier gequirlte 
Eier hinzu. Mit der einen Hand rührte er bedächtig die 
gelbe Masse, mit der andern mußte er immer wieder den 
Hosenbund hochziehen, der auf der stark geneigten Fläche 
seines Bauches nicht haften wollte. 
Mit Eiern und Speck beschloß Karl Bellmaus jeden 
Tag. Das hielt er für ungemein zuträglich und für ein 
virksames Mittel, allen Schwächeanfällen zu begegnen. 
Mit liebevollen Blicken umfaßte er die qualmende Pfanne. 
Venn die Eier schön goldgelb waren, trug er sie an seinen 
Tischplatz und ließ sich bedächtig dabei nieder. 
Ohne Hast, aber mit ruhigen zielsicheren Bewegungen 
heförderte er das Rühreĩ an seinen Bestimmungsort. Bald 
var kein Krümchen mehr da. 
„Ach Gotte, Gott, jetzt hab' ich Laum angefange, nun 
s das bißchen schon wieder weg.“ 
Also wurde noch ein tüchtiges Stück Schinben aus den 
Tiefen der Kiste geholt. Aber er hatte sich doch wohl 
iberschätzt. Kaum war die Hälfte davon bewältigt, da 
neinte er bläglich: „Nun hab' ich schon wieder bei' Appetit 
iet!“ Noch einmal machte er einen verzweifelten Versuch; 
iber ganz augenscheinlich ging's nicht mehr. 
„Ich glaub, mein Mage is zu klein,“ stieß er endlich 
oerzweifelt hervor. 
„Ich muß mal wieder was einnehme fsor den Appetit. 
Ich muß was an mei' Mage hab'.“ 
Den Kopf ganz zwischen die Schultern gezogen, so saß 
ꝛr minutenlang schweigend vor dem Schinkenstück. Plötzlich 
jeschah ein gewaltiges Külpsen aus den dumpfen Tiefen 
eines inneren Menschen. 
Mit Grabesstimme, den Seigefinger erhoben und angst— 
»oll nach innen lauschend, erblärte er: „Siehste, das durft' 
schon net bommel“ 
So ließ er es denn für heute genug sein und legte sich 
auf jein Bett. Das war so eine Stunde, wo er gern erzählte. 
Wir sprachen vom Krieg und meinten, wie damals alle 
Welt, so im Februar sei er zu Ende. 
„Ihr säudumme Luder,“ ließ sich da Karl Bellmaus 
ernehmen, „wenn im Frühjahr die Maikäfer uns um den 
Kopf brumme, sitze mer als noch da obe, und wenn se 
nächstes Jahr Lomme, dann glotze mer auch noch da raus.“ 
Er hatte auch ein tiefes Mißtrauen gegen alle Seitungs- 
neldungen. Er meinte öfter: „Eines Tages werde de Franzosen 
chon über den Wald da Lomme“ und zeigte zum Fenster 
»inaus, wo der Plesten aufs Koburger Ländle herabguckte. 
„Ich weiß eben schon alles ganz genau vorher.“ versicherte 
er immer wieder. 
„Da wundert's mich nur, daß sie dich daheim nicht zum 
Bürgermeister gemacht haben,“ sagte einer lachend. „Och,“ 
neinte Karl Bellmaus geringschätzig, „das bonnt' ich schon 
ang jeil Sum Brandmeister hatten se mich schon mal gemacht. 
Aber das war was for mich! Ich sollt' den Leuten das 
reuer ausmach? En andrer is froh, wenn's mal bei ihm 
orennt.“ 
Da schlug es zehn von der Schloßuhr. Jetzt wollte 
Karl Bellmaus aber seine Kuh haben. Er traf Anstalten, 
iun endlich richtig ins Bett zu gehen. Sorgfältig schüttelte 
ꝛr noch einmal seinen Strohsack auf, dann legte er sich mit 
inem schweren Seufzer. Einer wollte ihn noch foppen und 
ragte: „Karl, wie hältst du es nur die ganze Nacht aus, 
»hne was zu essen?“ „Das sollt' mer grad noch einfall. 
Auch noch nachts die Kauerei. Mal gut, daß wir beine 
Viederbäuer sind,“ sagte er ganz nachdenblich, „dann hätt' 
ch auch noch de ganze Nacht zu tun.“ 
Aber der Strohsack, und wenn er noch so gut auf— 
geschüttelt, war doch nicht das Kichtigel Und da kamen 
hm auch wieder die schmerzlich schönen Erinnerungen an 
eine Sivilzeit. 
„Wie schön war's doch, wenn mer in seinem Federbett 
ag und guckte nur noch so'n bißchen mit dem Koppe rausl —
	        
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