Karl Bellmaus J
Am wohlsten fühlte sich Karl Bellmaus doch, wenn er
im Bett hinter dem Kamin in Kuhestellung war. Da war
er Mensch, da durft er's sein.
Alles Beengende warf er im grimmen Sorn von sich.
Horerst das vielgehaßte Koppel, das seinen Bauch in so
gesundheitsschädlicher Weise einschnürte, den Waffenrock mit
dem würgenden Kragen, die schweren Stiefel, und dann
auch die Hosen, denen er durch einen Strick vorn am Bund
eine größere Anpassungsfähigkeit verliehen hatte. Sie bneipten
ihn aber doch noch und waren ihm darum höchst lästig.
„Dumme Hosen machen se bei den Preußen. In den
Seinen sind se all zu lang, und am Bauch da fehlt's. Oh,
was mögen das für Kerle sein, die in die Hosen nei'passen!
Dumme Hosen sind das!“
Da fielen die Verhaßten. Blanbk und eben schälte sich
der Kern aus der Hülse, und nun ins vielgeliebte BSett.
Wenn dann unser Dicker nach Stunden von seinem
erquichenden Schlummer erwachte, dann hatte er doch das
schöne Bewußtjsein, daß soviel von der bösen Kriegszeit wieder
um sei, ohne daß er etwas davon gemerbkt hatte.
Das Bett war sein liebster Aufenthalt, dorthin zog er
ich zu jeder Tageszeit zurück. Und wenn ich im folgenden
den Tageslauf unseres Karl Bellmaus zu schilderern suche,
dann ist es fast durchweg Ort der Handlung.
Ein grauer Wintermorgen kastet sich langsam durch das
chmale Fenster in unser Gelaß. Draußen werden die Posten
abgelöst, und von dem Geräusch erwachen die Schläfer.
Auch Karl Bellmaus wird unruhig. Er hat sich rote Backen
geschlafen wie ein Säugling. Jetzt blinzelt er ins Licht, und
man sieht ihm die Ansteengung an, wie er sich langsam aus
der Welt der Träume in diese unvollkommene Wirblichkeit
hineinfindet.
Allmählich kommt ihm zum Bewußtsein, daß er zunächst
im Bett liegt. „Oooch, schon wieder ne Nacht rum“ und
dann die verzweifelte Erbenntnis: „Immer noch Krieg!
Alszu noch Kriegl!“
Das Ubrige erstirbt in einem schmerzlichen Gebrummel.
Er seufzt noch einmal, zweimal, aus tiefster Seele, dann
dreht er der häßlichen Gegenwart ganz energisch sein voll-
reundes Hinterteil zu.
Aber damit läßt sie sich doch nicht so ganz beiseite schieben
oder gar wegleugnen.
Der grelle Tag schreit es ihm wieder ins Ohr: „Es ist
Krieg, Karl Bellmaus, und du bist Soldat!“
Dieje Erkenntnis erregt seinen ganzen Grimm.
„Soldat! Der Deubel soll's hol'. wenn er Seit hat.
Soldat!“
Nlber dann bedauert er sich selber und wird ganz weiner-
ich: „Sei ganz Lebe lang is mer Soldat. Och Gutt, och
Gutt, der reine Kosab is mer.
Ich bin mei Lebtag net gern Soldat gewese. Da waren
endlich meine zwei Jahr um, und da hole se ein wieder.
Swei Jahr — zwanzig Jahr zu lebe hat me weniger. —
Der verdammte Säukbrieg!“ — Jetzt knurrt er vor Grimm.
Aber das läßt ihm doch Seit, den günstigen Augenblick
zu erspähen, wo gerad noch ein gefüllter Waschnapf auf der
Bank steht, den ein Gefangener hereingetragen hat. Eh
ein anderer dazu kommen kann, ist er mit unvermuteter
Behendigkeit in die Hosen gefahren und plantscht schon
prustend im Wasser herum.
Dann weiß er es auch so einzurichten, daß der nächste,
der sich waschen will, sein schmutziges Wasser fortträgt. In
VDon Adolf Häqder.
.)
iesen kleinen Prabtiken ist er groß, und daß ihm das heut
Morgen wieder so schön bequem mit dem Waschen gelungen
st, das läßt noch ein behagliches Schmunzeln um seine dicken
dippen spielen, wie er jetzt zu seiner „Freßbiste“ watschelt.
Diese Kiste war wohl sein wichtigstes Eigentum. Sie
nachte schon äußerlich so einen gehaltvollen, soliden Eindruck,
aß man garnicht über die Fülle der Herrlichbeiten staunte,
venn Karl Bellmaus das schwere Vorhängeschloß öffnete.
„In meiner Kiste muß ich immer was drin hab'. Alszu
olle se mir schicke, hab' ich heim geschriebe.“ Er schnitt
ich ein gewaltiges Stück Stollen ab und trank behaglich
—RA
Mit dem zweiten Frühstück wartete er auch nicht allzu—
ange. Da schlug er aber erst eine Klinge! Ich glaube, bis
ahin war ihm das Essen noch ein Genuß. Aber von jetzt
ib war's ihm nur eine bittere Notwendigkeit. Essen mußte
ꝛx, immerzul Karl Bellmaus war nämlich von einer unheim—
ichen Angst besessen: „Ich fall noch mal um vor Schwachheit.“
Das sagte er mit tiefster UÜUberzeugung, und nur, um
acht mal plötzlich vor Schwäche zu sterben, pfropfte er in
einen Bauch hinein, was nur ging.
Nach dem Frühstück mochte er wohl ein kKnappes Stünd-
hen auf seinem Bette zugebracht haben. Da wurde er
lötzlich wieder unruhig und stöhnte schwer.
„Was hast du denn, Karl?“ fragte einer.
„Ach lieber Gott, jetzt ist's bald wieder Seit zum Essel“ —
Aber pünbtlich um 311 Ahr ergriff er seinen Eßnapf.
„Ich war immer schon for Pünkbtlichkeit,“ meinte er.
Wenn's Mittag den ersten Glockenschlag tat, war ich schon
e Leiter nunter.“ — Bald bam er mit einem „briegsstarken
zug“ zurück. Minutenlang saß er mit brummem Buckel
avor und schaute ihn nur feindselig an. Endlich machte er
ich seufzend ans Werk.
„Ach Gott, jetzt hab' ich ihn noch vor mir — hätt' ich
hu erst hinter mir.“ —
„Ich hab' gar bei' Appetit net,“ stöhnte er gequält auf.
„Was hab' ich net schon alles gebraucht von de Institute
in Berlin. Alles hilft nix.“
AUnd dazu gabs noch Blaubraut und Salzkartoffeln, die
er als echter Kloß-Meininger gar nicht schätzte.
„Immer Kartoffeln und alszu Kartoffeln gibt's bei de
Preuße. De Säu fresse bei uns daheim de Kartoffeln, aber
doch kein Mensch net. — Ich wollt lieber zwei Stund Posten
teh, als den Napf ausesse!“
Einmal, als er so beim Essen ein ktüchtiges Fuder Blau—
raut gefaßt hatte, sah er es ganz verstört an und stöhnte:
Mir wird schon Angst, wenn de Gabel aufs Maul losfährt!
Am liebsten is mer noch die Nudelsupp. Die braucht
ner doch net zu bLau. Das is überhaupt ne dumme Ein—
ichtung, das Kaue! So n'en Türle müßt' mer am Bauch
ab', wo mer's gleich nei'schiebt. Ne dumme Einrichtung is
»as,“ brummelte er.
Endlich war's geschafft, und ganz erschöpft warf sich Karl
Bellmaus auf sein Lager. Flink hatte er noch vorher die
erhaßten Hosen abgestreift. „So,“ sagte er tiefbefriedigt,
„jetzt möcht ich auch e weng mein Pfeifen rauch!“ —
„Na, dann tu's doch“ riet einer.
„Ja — wenn das Siehn net wärl!“
Karl Bellmaus zog also vor zu schlafen.
Gegen 4 Ahr wachte er wieder auf und rieb sich mit
iner bindlichen Bewegung die Augen. Sein erster Blick
jalt der Taschenuhr am Nagel über'm Bett, und mit Er—