Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Sie war eine tüchtige Bäckerin. Alle Vorbereitungen 
zum Backen wurden mit Umsicht getroffen, der Teig sorg- 
jältig gemacht, und am Backofen hantierte das zarte Wesen 
wie baum ein großer runder Bäcker. Welch eine Lust, 
wenn dann die wohlgeratenen Apfel und Swetschen⸗, Kahm⸗ 
und Streuselkuchen zum Vorschein bamen! Nicht bloß mit 
Worten fanden diese Leistungen die größte Anerbennung. 
Alt und jung sorgte dafür, daß die aufgetürmten Kuchen- 
berge verschwanden und ihre Bestimmung erfüllten. 
Das Keinhalten des Hauses wäre für Anna allein zu 
viel gewesen, aber ihren Anteil hat sie mit Eifer und 
Gewissenhaftigbeit getragen, und sie ruhte nicht eher, bis auch 
der bleinste Raum ein Stück von der Sündflut genossen hatte. 
Trat sie aus dem Hause in den Hof hinaus, so wurde 
sie von dem Hühnervolk freudig begrüßt, das außer dem 
Hühnerinspektor, unserm bleinen eifrigen Werner. ihrer Ob— 
hut anvertraut war. 
Die Siegen, der „Mohr“, die „Gemse“ und die „Weiße“, 
gediehen unter ihrer Pflege so gut, daß wir zeitweise glaubten, 
in dem Lande zu wohnen, wo Milch und Honig fließt. 
Wenn der Frühling ins Land kam, wanderte Anna in 
den Garten hinaus, und ehe man sich's versah, hatte sie mit 
einer Gefährtin das Land bearbeitet. Galt es zu jäten, so 
unternahm sie den Feldzug gegen das Ankraut mit gutem 
Erfolg. Im Handumdrehen „setzte“ sie die Pflanzen, die bei 
ihrer glücklichen Hand immer „angingen“ und wohl gediehen. 
Im Sommer gestaltete sich unter Annas Begleitung das 
Wandern in den Wald zu einer Ernte- und Festfahrt. Ihr 
mögt es glauben oder nicht, es ist reine Wahrheit, sie 
permochte es, mit ihren lieben beiden Händen zugleich die 
blauen Beeren zu pflücken, wir anderen, Mann und Weib 
und „Maus“, pflückten, dadurch angefeuert, tapfer mit. Das 
mitgebrachte warme Mittagsmahl unterbrach die eifrige 
Arbeit, die bis gegen Abend fortgesetzt wurde, begleitet 
bon heitern und ernsten Keden und dem lieblichen Sang 
der kleinen Waldvögel. Eine reiche Ernte, die Anna im 
Tragkorb heimtrug, war der Erfolg des herrlichen, im Wald 
oberlebten Sommertages. — Aber ihr hättet sie jehen sollen, wenn 
der Herbst sein Füllhorn ausgoß über die Erde. Wie ein Eich— 
kätzchen bletterte die leichte Gestalt auf die Bäume. Mit ihren 
unglaublich zierlichen Füßchen auf den schwanken Sweigen 
stehend, holte sie die reifen Früchte auch aus dem höchsten 
Gipfel herab. In derselben Jahreszeit stand sie auch im 
Waschhaus am kbupfernen Kessel und rührte den Swetschen— 
brei unermüdlich Tag und Nacht, bis er sich zum bostbaren 
Mus verdichtete, wobei sie sich eines Kinderstühlchens bediente, 
um ihrer wenig ausgedehnten Länge ein Stück zuzusetzen. 
Ein Hauptfest war es für sie, einen Ausflug nach Eisenach, 
der nächsten größeren Stadt, zu machen und dort alle mög— 
lichen Einbäufe zu besorgen, namentlich an den beliebten 
Jahrmärbkten. Ihr Stolz war es, möglichst billig zu Laufen 
und durch geschickte Keden etwas von dem ursprünglichen 
Preise abzuhandeln. Das Porzellan mit kleinen, fast unsichtbaren 
Fehlern, das auf dem Boden des Markbtplatzes neben der 
Goorgenbirche ausgebreitet stand zur Schau der kbauflustigen 
Menge, war ihr Hauptgebiet, es ist wohl Legion, was sie 
in ihrem hohen Tragkorb (Kötze) nach Hause geschleppt hat. 
Wohl niemals fehlte es auch an einem „Lappen“, wie die 
wollenen oder baumwollenen bunten Kopftücher genannt wurden. 
Soll ich auch erzählen von ihrem Geschick und ihrer 
steten Sereitschaft zu pflegen und zu warten, wenn es sich 
um die kbleinen Kinder handelte, die unserem Hause beschert 
wurden? Jemehr Mühe sie bereiteten, desto größere Freude 
hatte sie. And mit welcher Aufopferung pflegte sie auch, 
wenn eins im Hause erbranktel Da war sie ganz am Platz 
nit ihrem stillen, umsichtigen Wesen und ihrer linden, immer 
ilfsbereiten Hand. Wie baum einer verstand sie es, die 
Türe unhörbar zu öffnen und zu schließen und leise durchs 
*immer zu schweben, und war unglücklich, wenn doch einmal 
rotz aller Behutsamkbeit ein unerwartetes Geräusch entstand, 
oorüber wir sie mit Humor zu trösten wußten. Sie selber 
atte viel Sinn für Humor. Als ich einmal einen Anzug 
rug, der vielleicht etwas zu jugendlich für meine Jahre 
usgefallen war, nannte sie ihn den „Jugendstil“. Er ist 
päter, da er sich jugendlich erhalten hatte, noch als Anzug 
ür die heimbehrenden Krieger abgegeben worden. Wenn 
hre Gesundheit den Kirchgang nicht erlaubte, war es ihr ein 
Labsal, sich am Sonntag in Gerobs Palmblätter zu vertiefen, 
ür die ihr frommes, feines Gemüt volles Verständnis hatte. 
Als wir von ihrem Heimatort schieden und sie dort 
urückließen, blieb das Band, das uns vereinigte, in Treue 
»estehen. Sie besuchte uns öfters, und da sie mit der Feder 
nicht sehr geschickt war und es wohl einmal vorkam, daß 
tatt ihres Namens Krell das Wort „Kerl“ aufs Papier floß, 
hrieb sie meistens nicht selber, aber sie diktierte ihrer jugend 
ichen Nichte die schönsten Briefe, aus dem Herzen quellend, 
ie einer sogenannten Gebildeten alle Ehre machen würden. 
Eine Lust und Wonne war es ihe, aus ihren ländlichen 
Dderhältnissen heraus uns von Seit zu Seit Pabete zu schicken, 
zroße und bleine, namentlich auch in der Kriegszeit uns 
ber Wasser zu halten durch das, was sie an ihrem eigenen 
Nunde sich absparte, immer dieselbe in ihrer wahrhaft edlen 
Sesinnung, aufopfernd, hingebend, liebevoll. 
Treu hielt sie auch fest an ihrer schönen ländlichen Tracht, 
dem Faltenrock, der Kragenjacke und der Behtzel, so sehe ich 
ie noch, so werde ich sie immer sehen. 
Die gute Anna hatte aber auch ihre Schwächen, und 
amit ihr nicht denkt, daß ich ein zu verblärtes Bild entwerfe, 
vill ich auch diese erwähnen. Sie liebte es, ein „GErzchen“ 
ei den Mahlzeiten übrig zu lassen, d. h. einen kleinen Kest 
SBrot oder Kuchen oder dergl. Das war uns manchmal 
nangenehm, da wir in der Erziehung unsere Kinder anhielten, 
nmer hübsch aufzuessen. Aber wir setzten uns dann darüber 
oeg, da sie magenleidend war und plötzlich ihr Magen wie 
erschlossen jchien. Es war überhaupt manchmal unbegreiflich, 
nit wie wenig Nahrung ihr Körper zufrieden war. Dabei 
atte sie noch eine Schwäche, die ich erwähnen muß. Das 
bar das „Tränchen“, nämlich ihre unbegrenzte Vorliebe für 
ine Tasse Kaffee, es durften auch zwei oder mehr sein, 
ind je heißer, desto lieber. Ich sehe noch, mit welchem 
Behagen sie das zuckergewürzte Tränchen schlürfte, indem sie 
ait ihren großen dunbelbraunen Augen freundlich über die 
Tasse hinwegblickte. Nicht verschweigen will ich noch eine dritte 
chwache Seite, die aber immer mehr nachließ, je älter sie 
vurde, das war die Neigung zu einem gemütlichen Schwätzchen. 
Aber ich muß bemerben, daß dies niemals zur Geschwätzigkeit 
usartete, sondern immer in wohlanständigen Grenzen sich 
ielt. Sie wußte Maß zu halten und die Ehre des Hauses 
zu wahren und hat nie aus der Schule geschwatzt. 
Ihr treues Herz schlägt nicht mehr. Ein inhaltreiches Pabet, 
yas sie von ihrem Kranbenlager an uns hat schicken lassen, 
am Sylvester an, und am Tage darauf empfingen wir schon 
ie Kunde, daß sie von dieser Welt Abschied genommen habe. 
And nun, gute, treue Anna, fahre wohll Deine letzte 
Ausfahrt war die Keise zu uns, wo du dich an des heim— 
jegangenen Walters Kindern freutest. Jetzt hast du die Heim— 
ahrt gehalten. Möge Gott dir deine Treue lohnen im ewigen 
Leben und dich begrüßen mit den Worten: „Ei, du fromme 
ind getreue Magd, du bist über wenigem getreu gewesen; 
ch will dich über viel setzen, gehe ein zu deines Herrn Freudel“
	        
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