Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Das waren die Gedanben, die ich hegte, als ich in der 
Heimat im Steinbruch unter der hohen, roten Buntsand- 
steinwand und dem mächtigen Föhrenbaum stand, der jeden 
Augenblick im Sturz herniederzubrachen drohte. 
Irgendwo klang Tropfenfall vom Gestein in den krüben 
Wassertümpel, regelmäßig wie das Ticken einer Ahr, die 
ganz gelassen eines Sterbenden letzte Sebunden zählt. Ein 
bperlorener Sonnenstrahl brach von hoch oben durch die 
Kiefernkeonen in die dunble Kühle des Steinbruches und 
huschte mit goldner Helle durch das Geäst des Baumes 
über dem Abgrund. 
Der Herbststurm kam und warf sich mit wilder Wucht auf die 
orausenden Wipfel. Das riß mich aus meinen Gedanken. Wie 
eine wilde Weise umrauschte mich das Brausen des Waldes, 
wie die alte Heimwehballade, darin der jüße Ton anblingt: 
Der ist in tiefster Seele treu, wer die Heimat liebt ... 
Jedem Heimatlosen sollst du, heimatfroher Mensch, es 
stolz und froh bekennen: Ich habe eine Heimat, und die 
will ich festhalten! — 
Dorfkind, Hessenkind, wenn es dir auf der Heimatscholle 
aicht mehr gefallen will, weil dich die Großstadt lockti — 
denk an den Baum über dem Abgrund! 
Wenn mein Büblein erst ein großer Mann⸗. 0 Von Olga Stückrath⸗Stawitz. 
Ja, wenn mein Büblein erst ein großer Mann. 
Dann fangen meine guten Tage an! 
Letzt bam er mir auf den Schoß gebrochen 
Und hat mir hereliche Dinge versprochen: 
Einen warmen Mantel und warme Schuh, 
AUnd ein Häuslein mit einem Gärktlein dazu, 
And für alle Tage — ich wills verraten — 
VDersprach er mir die schönsten Braten, 
And für Sonntags süßen Kosinenkuchen — 
Dann wollt er mich Sonntags immer besuchen — 
And ein Pferdlein mit einem samtenen Wagen, 
Damit ich in meinen alten Tagen 
Immer kbönnt hübsch in die Sonne fahren, 
And nimmer braucht ich zu sorgen und sparen, 
Und nichts mehr zu arbeiten, — könnt immer schön 
Am Fenster sitzen und den Kindern zusjehn! 
Er drückte mich fest an die bleine Brust, 
Da hab ich es ganz bestimmt gewußt: 
Ja, wenn mein Büblein erst ein großer Wann, 
Dann fangen meine guten Tage an! 
Melsungen 0 Von M. Herbert. 
Du Stadt der silbernen Tauben! 
Ob flutendem Fuldastrand, 
Hoch über den Gärten und Lauben 
Ziehn sie ihr silbernes Band. 
Sie streifen mit lachendem Flimmer 
Den dusteren Eulenturm; 
Sie werfen den leuchtenden Schimmer 
Auf Wolben voll Kegen und Sturm, 
Aeber den Dächern und Schloten 
Fliegen sie weiß wie der Schnee, 
Funben wie jelige Noten 
Aeber menschlichem Weh. 
Moch seh ich sie blitzen und blinben 
Im jubelnden Sonnenschein; 
Noch hör ich sie rauschend versinken 
In goldene Neckher hinein. 
Und seh sie sich strahlend erheben 
Im wogenden, gleitenden Flug, 
Seh über die Wälder entschweben 
Den reinen, heiligen Sug. 
Seh in den Wolkben ihn schwinden, 
Eins werden mit himmlischem Licht 
Es war ein Jenseitsverkbünden, 
Ein überirdisch Gesicht. 
Nie hat noch ein Grenzstein geboten 
Der Freiheit des Flügelschlags. 
Die silbernen Tauben sind Boten 
Des jungen, siegenden Tags. 
Du Stadt der silbernen Tauben! 
Der Eulenturm in Melsungen. Nach einer Seichnung von H. Breul
	        
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