Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

o stammten sie entweder von vereinzelten Töpfereien, die verstreut 
im Lande lagen, oder sie nahmen ihren Ursprung in ganzen Töpfer— 
tädtchen oder ·dörfern. wie sie sich z. B. in der Lausitz, in Thüringen, 
im Siegerland, im „Kannenbäckerländchen“ Nassau oder in Ober— 
hessen fanden. Sum größeren Teile sind diese Töpfercien geschwun— 
den und was übrig geblieben ist. führt einen meist aussichtslosen 
Kampf, um im bescheidenen Dasein den Mann bLümmerlich zu 
naähren. Sie wurden besiegt von den großen Unternehmungen der 
neueren Seit, denen sie wietschaftlich nicht gewachsen waren, sowie 
bon der veränderten Geschmacksrichtung. Nicht weil er Sesseres, 
Solideres und Brauchbareres bot, hat der Großboetrieb der Neuzeit 
den einfachen Meister mit seinem Konnen und seinen Lünstlerischen 
Reigungen besiegt, sondern, wie auch Schwindrazheim?) sagt, weil er 
Billigeres, Gleipendes und Blendendes bot; und das geschmacklich 
oielfach tiefer Stehende lief dem Heimatlichen und Personuchen den 
Kang ab. 
Allerdings hat man an einzelnen Orten versucht, und zum 
Teil mit Erfolg, das ehemalig eingesessene Kunsthandwerkmit 
seinem industriellen Gepräge wieder aufleben zu lassen, so z. B. im 
thüringischen Bürgeln, wo sich auf aikem Grunde eine treffliche 
beramische Industrie wieder aufgebaut hat. 
Auch im alten Kurhessen haben wir eine Anzahl beachtlicher 
Sauerntöpfereien gehabt, die wie 3. S. jene in Frielendorf, Hom- 
berg und Michelsberg“*) bis in die Neuzeit das Land mit ihren 
scchmucken Waren versorgten und in ihren Tellersprüchen auch gern 
den Humor walten ließen. Am meisten bekannt geworden ist 
Marburg a. L. wo sich eine bäuerliche Kunst mit eignem Geschmack, 
eigner Technik und Farbengebung herausgebildet hatte. Die Mar⸗ 
burger „Dipperchen? waren ehedem weithin bebannt. Die dortige 
Töpferzunft aber ist bis auf wenige Meisler zusammengeschmolzen. 
Mancher Leser dieser Zeilen ist vielleicht als junger Studio noch 
wischen den Topfen herumgewandelt, die der Haäuserreihe der 
Ketzerbach entlang von den dort wohnenden Töpfern auf langen 
Brettern wohl sortiert in Keih und Glied auf der Straße der 
Sonne zum Trocknen näber gerückt wurden, ehe sie in den Brenn— 
ofen wanderten. Allerdiags von irgend welcher Kunst war da 
schon wenig mehr zu sehen. Wenn nun seit einer Keihe von 
Jahren, die Kunsitöpferei von Schneider der bemalten Warburger 
Dippenbäckerei wieder zu neuer Bluũte verhelfen will, so kann man 
solchen Heimatkunstbestrebungen nur jowohl ideellen als auch realen 
Gewinn von Herzen wünschen. 
An, einer anderen Stelle des Hessenlandes, im Werratal, 
blühte ehemalig eine gleiche Industrie, begünstigt durch die mannig 
fachen Tonlager daselbst, und erreichte hier eine überaschend hohe 
Stufe. Von ihr ist leider fast nichts mehr bekannt gewesen, als 
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts bei einem Hausbau in 
Wanfried der .Bruch“ einer Topferei bloßgelegt wurde, nachdem 
schon einige Jahre vorher in der Nachbarschaft Keste eines Brenn⸗ 
ofens aufgefunden worden waren. Das Grundstück lag hinter dem 
ODeutjsche Bauernkunst* Wien 1004. * 
Siehe auch den hübichen Seitrag vonSchaefer in Ne. 1021, dieser Zeitschrift. 
lten Stadtwall in einem Garten und war sonach „wohlgeeignet 
är, ein feuergefährlich Handwerk“. Die Töpfer durften nämlich 
eüher an vielen Orten nicht innerhalb der Stadt selbst ihr Hande 
berß ausüben, da der Brennofen als eine Gefahr für die Um— 
jebung angesehen wurde; sie mußten sich deshalb an der Peripherie 
insiedeln. So hatte auch in Melsungen der letzte Töpfermeister 
ellner, ein Namensvetter von mir, der in meiner Jugend noch 
echt hübsche, lustig dekorierte und mit Sprũchen versebene Teller, 
d„chüsjeln und Kannchen herzustellen verstand, seine Wohn. und 
Arbeitsstätte in der Nähe der Stadtmauer am Fritzlarer Tor. 
Die Nusgrabungen in Wanfried förderten damals eine große 
zahl von Scherben zu Tage; Farben, Technik und Deboration 
zeigten, daß hier eine Töpferei heimisch war, die einen hohen 
Stand der hessischen Topfkunst aufweist. Die Lage des Ortes 
cheint auch den Vertrieb der Ware begünstigt zu haben. Wanfried 
vurde unter Landgraf Moritz von HessenCassel (1592- 1627) der 
Endpunbt der von ihm schiffbar gemachten Werra. Es wurde damit 
Stapelplatz für die auf dem Flusse verfrachteten Güker. und wie es 
diese, welche von der Weser und von Bremen herauflamen, auf 
dem Landwege weiter gen Nürnberg und Augsburg verktrieb, so 
Lonnte es selbst die eigenen Erzeugnisse landeinwärks und fluß- 
ibwärts verbreiten. So spricht denn auch die Wahl der auf den 
Tellern usw. verwendeten malerischen Vorwürfe — biblische Bilder, 
Heiligenfiguren, bursächsische Wappen usw. — dafür, daß der Handei 
nit seinen Tonwaren nicht nur lobal betrieben wurde, sondern auf 
inen weiteren Abnehmerkreis berechnet war. 
, Die Scherben wurden damals durch Ankauf vor Verschleuderung 
geschützt und ließen durch ihre Mannigfaltigkeit ein Gesamtbild 
zinzelner Teller möglich werden. So entstanden eine Anzahl 
rächtiger Seugen der ehemaligen hessischen Bauerntöpfereien, wie 
ie dann der Verlag der bebannten Eiwertschen Buchhandlung in 
Marburg, der vor einigen Jahren auch das dreibändige Werk über 
essische Landes- und Volkskunde herausgab, durch die Kunst- 
opferei Schneider nach den Entwürfen einer Malerin, Frel. Dude, 
bendort herstellen ließ. Sie lassen getreu den Originalen die 
reffliche Technik erbennen, die auch eine Monographie .Eine nieder 
essische Töpferei des 114. Jabhrhunderts“ von Bohlau in zahlreichen 
Abbildungen wiedergibt. Die hier beigefügten Silder sind nach 
en Originalen entstanden. Nach Böhlau läßt sich ein Susammen? 
ang des, Wanfrieder Fundes Lunstgeschichtlich mit süddeutschen 
fayencetellern des 16. Jahrhunderts nicht verbennen. 
Die Scherben weisen meist die Jahreszahlen 1612515 und 
619-22 auf. Im Jahre 1626 wurde Wanfried durch Tilly zerstört. 
Alte Stadtrechnungen sowie andere Töpfereiprodubte, welche nach 
enen wohl -derselben Kunsthand entsprungen waren, lassen darauf 
hließen, daß die Worbstätte der Serstörung entgangen war oder 
hr Inhaber dieselbe später wieder entstehen ließ. Dann allerdings 
cheint ihre Blüte abgeschlossen zu sein, und wir wissen nichts mehr 
»on ihr. Überhaupt ging die ganze Töpferzunft an der Werra, 
eren Lade in Eschwege stand, bald zu Ende und ijst seit den 80er 
Jahren des vorigen Jahrhunderts verschwunden.
	        
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