Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Allmählich breitet die Nacht immer mehr ihren dunblen Mantel 
iber den Berg und das Kloster. O böstliche Stunde, wenn der 
Lag von der Nacht sich scheidet! Und doppelt kböstlich hier oben 
auf dem Kreuzberg. Ich schaue hinüber zur Kreuzigungsgruppe. 
Feierliche Stilse im Angesichte von Golgatha. Ein Andächtiger 
niet noch am Fuße des mittleren Kreuzes, inbrünstig das harte 
Holz umklammernd. Mönche schreiten über den Berg. Ernst und 
feierlich. Ihre Gestalten verschwinden in der nun beginnenden 
Nacht. Jetzt steigen Engel Gottes vom Himmel auf die Erde 
hernieder, trösten dort den Armen am Kreuz und senben tiefen 
Frieden über den Berg und in das Herz des einen, der zuletzt 
noch ganz allein im Dunbel der Nacht einsam auf der Höhe steht. 
Nun lebt meine Seele und regt ihre Schwingen. Wie kbann 
sie jetzt aufatmen, die durch Mühen und Sorgen des Tages nieder— 
gehalten wurdel! Frei steigt sie auf zu ihrem Gott. Sie wird 
getragen von starken Schwingen und darf wie Moses einen Blick 
kun in ein fernes, unbebanntes Land. 
O wie selig, wie glücklich ist diese Abendstunde hier oben auf 
der Höhe des Kreuzberges! 
II. 
Noch ist es Nacht. Ich verlasse mein Lager, öffne geräuschlos 
die Tür meines Quartiers und stehe wieder draußen an der 
Kreuzbergkapelle. Eben verbündet die Turmuhr die dritte Morgen— 
stunde. Der Mond „streut sachten Glanz umher“. Tiefe Stille 
über Kloster und Kapelle. Nur das Klosterbrünnlein murmelt seine 
eigne Weise durch die Nacht, und ein leichter Wind läßt die wenigen 
Bäume, die um das Kloster stehen, geheimnisvoll flüstern. Ich 
teige wieder empor. Diesmal, um den beginnenden Tag zu 
begrüßen. Golgatha ist umflossen von bleichem Mondlicht. In 
olchem Glanze müssen die drei Kreuze vor 2000 Jahren gestanden 
paben, als die Sonne ihren Schein verlor. 
Bald bin ich wieder da, wo ich vor vier Stunden einen seltenen 
Abend erlebt habe. Immer noch ist es Nacht. Der WMorgenstern 
strahlt wie eine bleine Sonne. Tausend Brüder und Schwestern 
hm zur Seite. Da erhebt sich frische Morgenlusft. Gleichzeitig 
oeginnt der Himmel über dem Käuling sich zu röten, ganz matt 
—55 — wie ein eben erwachendes, taufrisches „Köslein auf der 
eiden“. 
Der Worgenwind wird stärber und treibt Wolbenstreifen vor 
sich her über den Berg. Der östliche Nachthimmel rötet sich mehr 
and mehr, der Morgenstern verblaßt. Wölbchen steigen rotumrandet 
am östlichen Horizont auf. Nach einiger Seit ist der ganze Morgen- 
»immel purpurrot. 
Da flammt aus dem Worgenrot ganz tief unten am Horizont 
die Kappe einer feurigen Kugel auf. Die Feuerkugel steigt wie 
aus einem tiefen, purpurnen Meere langsam höher und höher, 
ↄerläßt jetzt den Horizont und schwebt zuletzt majestätisch und frei 
in ihrer ganzen Größe und Schönheit im Weltenraum. Überwältigt 
schaue ich auf zum Firmament. 
Die ersten wärmenden Strahlen der aufgehenden Sonne küssen 
die Erde. Und sie erwacht aus ihrem Schlafe. Mit ihrem Erwachen 
aber wird sie zugleich ihres Demantschmuckes beraubt, den ihr die 
Nacht ins Haar geflochten und der in millibnen Perlen im Monden— 
licht funkelte. 
Neues Leben regt sich. Auf der bahlen Hochfläche des Kreuz- 
berges jedoch erhebt sich bein vieltausendstimmiger Chor gefiederter 
Sänger, die Sonne zu loben, die wieder aller Kreatur das belebende 
Licht gesandt hat. Hier oben jauchzen nur wenige Vsgel der 
aufgehenden Sonne ihr Morgenlied entgegen. 
Da steigt frohes Leben den Berg herauf. Großstadtkinder, 
auf einer Wandrung durch die Khön begriffen, stürmen freudig der 
aufsteigenden Sonne entgegen. Wie gebannt jtehen sie im ersten 
Augenblick da vor all' der Pracht und Hoheit. VDann aber unter— 
bricht lauter Jubel die feierliche Stille, und in tollen Sprüngen 
begrüßen die naturhungrigen Stadtkinder den goldnen Sonnenball. 
Schwarzenborn.⸗ 
VDon Wilh. Neuhaus, Heesfeld. 
Schwarzenborn! Sieht nicht da schon ein vergnũügliches Schmun⸗ 
zeln über das Angesicht meiner Leser? Denn was dem Braun— 
chweiger sein Schoͤppenstedt, dem Meininger sein Wasungen, das 
st dem Hessen Schwarzenborn. 
Wie das so geht. Da ist draußen irgendwo im Reiche eine 
ustige Geschichte geschehen, die erzaͤhlt sein will. „Nun, wo war's 
doch,“ denbt der Erzähler, „ei, da ist mir der Name ja ganz ent- 
allen .. schließlich .. der Oet ist eigentlich gleichgültig .. sagen 
vir ... Schwarzenborn! Das liegt (so recht weiß er es jelbst nicht 
wo) dahinten im Lande und bann sich nicht wehren. dem darf man's 
schon aufladen!“ Der Suhörer ist's zufrieden; sein Ort ist es nicht, 
em etwas am Seuge geflickt wird, und aus fremdem Fell ist gut 
Ziemen schneiden. Und der Geschichte tat's auch gut, sie erhielt so 
inen örtlichen Hintergrund, der — wenn auch baum gebannt — 
doch schließlich wirklich vorhanden war. Und da nun ein Er— 
ähler von dem andern den Namen auffing und das fröhliche 
zündenregister der Schwarzenbörner vermehrte, so standen sie bald 
in Geruche, ein ganz tolles Völbchen zu sein, und dieser Ruf 
efestigte sich je länger je mehr, und schließlich Lonnte ein Erzähler, 
er seiner Geschichte einen Schein von Wahrhaftigbeit geben wollte 
und das wollten sie alle), nichts Besseres tun, als sie nach Schwarzen- 
orn zu verlegen. Dem Boden traute man's schon zu, daß darauf 
olche wunderlichen Früchte reiften. So mag's wohl gebommen 
zin, daß das Städtlein in den lustigen Kuf geriet, Hessens Abdera 
u jein, es mochte wollen oder nicht, und wie die Patind im Laufe 
er Jahrhunderte immer dichter und fester das Metall bedeckt, so 
Wsanh sie unseren Ort überzogen und ist gar nicht mehr abzu— 
—X 
Das hat auch Landgraf Philipps glänzendes Ehrenzeugnis, 
as er seinen Schwarzenbörnern ausstellte, nicht vermocht. Der 
dar einst bei dem Herzog Heinrich dem Jüngeren von Braun— 
chweig zu Gaste und ging mit ihm auf dem Schloßwall von Wolfen- 
üttel spazieren. Da wies der Braunschweiger auf die Türme 
einer in der Ferne sichtbaren Hauptstadt: „Philipp, wie dünbkt dich, 
abe ich nicht eine schöͤne Stadt?“ „Ja. Heinz,“ meinte der Land— 
raf, „es ist eine zierliche und große Stadt, was nützet sie dir aber! 
)u darfst nicht einmal einem, der darinnen wohnt, gebieten, einen 
ztrohhalm aufzuheben, sie tun gern, was sie wollen. Ich aber 
ab' eine in meinem Land, die will ich dir nit dafür geben.“ Als 
er Braunschweiger nun den Namen dieser Stadt wissen will, fährt 
)hilipp fort: „Es ist ein blein Städtlein und heißt Schwarzenborn, 
as mag ich ein Jahr mehr denn du zehn oder drüber dieser 
enießen; darin sein beine über 100 Mann, ist ja anders soviel, 
och fromme und getreue Untertanen. die mir Tag und Nacht willig 
ind gehorsam sein.“ — — 
Aus dem bunten Narrenkranze, mit dem man des Städtleins 
stamen umwunden hat. seien hier einige Blumen herausgelöst, 
indere an geeigneter Stelle eingeflochten. 
Der hochweise Stadtrat von Schwarzenborn saß einmal in 
rnster Beratung zusammen, als ein schmuckes, zartes Junkerlein 
ie Straße heraufgaloppiert kam und vor dem Rathause anhielt. 
der Bürgermeister schaute heraus und fragte nach des Fremden 
Segehren. Dieser hatte dem ehrsamen Rate zu melden, daß der 
dandgraf in der Nähe auf der Jagd sei und in seiner getreuen 
ztadt Schwarzenborn ein Frühstück einzunehmen gedenke. Darüber 
oaren Bürgermeister und Ratsherren sehr erfreut und beschlossen, 
en Landgrafen und sein Gefolge im großen Saale des Rathauses 
iuf das beste zu bewirten. Da aber nun jeder der Herren an der 
eltenen Ehre, dem Fürsten aufzuwarten, persönlichen Anteil haben 
vollte, so wurden zwölf große Schüsseln mit mancherlei Braten, 
ungem Gemüse und süßem Kuchen in aller Eile zubereitet, und 
nan bestimmte. daß jeder eine davon dem hohen Besuch auftragen 
ollte. 
Als nun der Landgraf mit seinen Edelleuten erschien und an 
»er Tafel Platz genommen hatte, fiel es den Ratsherren schwer 
rufs Herz, woran sie in ihrem Eifer gar nicht gedacht hatten, daß 
ie des höfijchen Brauches unbundig waren und fragten bleinlaut 
hren Bürgermeister: „Wie sollen wir's machen?“ Der aber ant— 
bortete: „Ich gehe mit der ersten Schüssel voran, seht nur auf 
nich; wie ich es mache, so tut es nur in allen Stücken nach.“ Also 
ahm er die Schüssel und schritt, die leckere Speise mit Würde 
ragend, voran. In der Tür des Saales aber stolperte er über 
ie Schwelle und ließ die Schüssel fallen. Der Hintermann stolperte 
ach, wie es ihm sein Bürgermeister vorgetan hatte, und warf seine 
schüssel zu der ersten. Der dritte stolperte auch und so — mehr 
der minder geschickt — alle anderen, bis auch der zwölfte herein 
par und jeine Schüssel auf die anderen geworfen hatte, so daß ein 
Zerg von Scherben und Speisen fast die Tür versperrte. Den 
Zürgermeister hätte bald der Schlag gerührt, und seine Katsherren 
oaren schon in Sorge, daß sie auch das nachmachen müßten. Er 
tammolte einige Entschuldigungen und bat den Fürsten, dies große 
Unglück die Stadt nicht entgelten zu lassen. Der aber hatte eine 
o herzhafte Freude an dem eigenartigen höfischen Seremoniell seiner 
schwarzenborner gebhabt, daß er die ängstlichen Gemüter mit 
inigen freundlichen Worten beschwichtigte und gern mit den ein— 
achen Speisen vorlieb nahm. die nun noch schnell herbeigebracht 
verden bonnten. 
Andere erzählen den Schluß der Geschichte anders. Der 
andgraf habe, da er sehr hungrig gewesen sei, zu den bestürzten 
chwarzenbörnern gesagt: „Wir haben eueren guten Willen 
esehen, aber nun schafft schnell her, was ihr habt, und sollte es 
im Ende auch nur ein halb Viertel Käse seins“ Darauf ein eifriges
	        
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