Allmählich breitet die Nacht immer mehr ihren dunblen Mantel
iber den Berg und das Kloster. O böstliche Stunde, wenn der
Lag von der Nacht sich scheidet! Und doppelt kböstlich hier oben
auf dem Kreuzberg. Ich schaue hinüber zur Kreuzigungsgruppe.
Feierliche Stilse im Angesichte von Golgatha. Ein Andächtiger
niet noch am Fuße des mittleren Kreuzes, inbrünstig das harte
Holz umklammernd. Mönche schreiten über den Berg. Ernst und
feierlich. Ihre Gestalten verschwinden in der nun beginnenden
Nacht. Jetzt steigen Engel Gottes vom Himmel auf die Erde
hernieder, trösten dort den Armen am Kreuz und senben tiefen
Frieden über den Berg und in das Herz des einen, der zuletzt
noch ganz allein im Dunbel der Nacht einsam auf der Höhe steht.
Nun lebt meine Seele und regt ihre Schwingen. Wie kbann
sie jetzt aufatmen, die durch Mühen und Sorgen des Tages nieder—
gehalten wurdel! Frei steigt sie auf zu ihrem Gott. Sie wird
getragen von starken Schwingen und darf wie Moses einen Blick
kun in ein fernes, unbebanntes Land.
O wie selig, wie glücklich ist diese Abendstunde hier oben auf
der Höhe des Kreuzberges!
II.
Noch ist es Nacht. Ich verlasse mein Lager, öffne geräuschlos
die Tür meines Quartiers und stehe wieder draußen an der
Kreuzbergkapelle. Eben verbündet die Turmuhr die dritte Morgen—
stunde. Der Mond „streut sachten Glanz umher“. Tiefe Stille
über Kloster und Kapelle. Nur das Klosterbrünnlein murmelt seine
eigne Weise durch die Nacht, und ein leichter Wind läßt die wenigen
Bäume, die um das Kloster stehen, geheimnisvoll flüstern. Ich
teige wieder empor. Diesmal, um den beginnenden Tag zu
begrüßen. Golgatha ist umflossen von bleichem Mondlicht. In
olchem Glanze müssen die drei Kreuze vor 2000 Jahren gestanden
paben, als die Sonne ihren Schein verlor.
Bald bin ich wieder da, wo ich vor vier Stunden einen seltenen
Abend erlebt habe. Immer noch ist es Nacht. Der WMorgenstern
strahlt wie eine bleine Sonne. Tausend Brüder und Schwestern
hm zur Seite. Da erhebt sich frische Morgenlusft. Gleichzeitig
oeginnt der Himmel über dem Käuling sich zu röten, ganz matt
—55 — wie ein eben erwachendes, taufrisches „Köslein auf der
eiden“.
Der Worgenwind wird stärber und treibt Wolbenstreifen vor
sich her über den Berg. Der östliche Nachthimmel rötet sich mehr
and mehr, der Morgenstern verblaßt. Wölbchen steigen rotumrandet
am östlichen Horizont auf. Nach einiger Seit ist der ganze Morgen-
»immel purpurrot.
Da flammt aus dem Worgenrot ganz tief unten am Horizont
die Kappe einer feurigen Kugel auf. Die Feuerkugel steigt wie
aus einem tiefen, purpurnen Meere langsam höher und höher,
ↄerläßt jetzt den Horizont und schwebt zuletzt majestätisch und frei
in ihrer ganzen Größe und Schönheit im Weltenraum. Überwältigt
schaue ich auf zum Firmament.
Die ersten wärmenden Strahlen der aufgehenden Sonne küssen
die Erde. Und sie erwacht aus ihrem Schlafe. Mit ihrem Erwachen
aber wird sie zugleich ihres Demantschmuckes beraubt, den ihr die
Nacht ins Haar geflochten und der in millibnen Perlen im Monden—
licht funkelte.
Neues Leben regt sich. Auf der bahlen Hochfläche des Kreuz-
berges jedoch erhebt sich bein vieltausendstimmiger Chor gefiederter
Sänger, die Sonne zu loben, die wieder aller Kreatur das belebende
Licht gesandt hat. Hier oben jauchzen nur wenige Vsgel der
aufgehenden Sonne ihr Morgenlied entgegen.
Da steigt frohes Leben den Berg herauf. Großstadtkinder,
auf einer Wandrung durch die Khön begriffen, stürmen freudig der
aufsteigenden Sonne entgegen. Wie gebannt jtehen sie im ersten
Augenblick da vor all' der Pracht und Hoheit. VDann aber unter—
bricht lauter Jubel die feierliche Stille, und in tollen Sprüngen
begrüßen die naturhungrigen Stadtkinder den goldnen Sonnenball.
Schwarzenborn.⸗
VDon Wilh. Neuhaus, Heesfeld.
Schwarzenborn! Sieht nicht da schon ein vergnũügliches Schmun⸗
zeln über das Angesicht meiner Leser? Denn was dem Braun—
chweiger sein Schoͤppenstedt, dem Meininger sein Wasungen, das
st dem Hessen Schwarzenborn.
Wie das so geht. Da ist draußen irgendwo im Reiche eine
ustige Geschichte geschehen, die erzaͤhlt sein will. „Nun, wo war's
doch,“ denbt der Erzähler, „ei, da ist mir der Name ja ganz ent-
allen .. schließlich .. der Oet ist eigentlich gleichgültig .. sagen
vir ... Schwarzenborn! Das liegt (so recht weiß er es jelbst nicht
wo) dahinten im Lande und bann sich nicht wehren. dem darf man's
schon aufladen!“ Der Suhörer ist's zufrieden; sein Ort ist es nicht,
em etwas am Seuge geflickt wird, und aus fremdem Fell ist gut
Ziemen schneiden. Und der Geschichte tat's auch gut, sie erhielt so
inen örtlichen Hintergrund, der — wenn auch baum gebannt —
doch schließlich wirklich vorhanden war. Und da nun ein Er—
ähler von dem andern den Namen auffing und das fröhliche
zündenregister der Schwarzenbörner vermehrte, so standen sie bald
in Geruche, ein ganz tolles Völbchen zu sein, und dieser Ruf
efestigte sich je länger je mehr, und schließlich Lonnte ein Erzähler,
er seiner Geschichte einen Schein von Wahrhaftigbeit geben wollte
und das wollten sie alle), nichts Besseres tun, als sie nach Schwarzen-
orn zu verlegen. Dem Boden traute man's schon zu, daß darauf
olche wunderlichen Früchte reiften. So mag's wohl gebommen
zin, daß das Städtlein in den lustigen Kuf geriet, Hessens Abdera
u jein, es mochte wollen oder nicht, und wie die Patind im Laufe
er Jahrhunderte immer dichter und fester das Metall bedeckt, so
Wsanh sie unseren Ort überzogen und ist gar nicht mehr abzu—
—X
Das hat auch Landgraf Philipps glänzendes Ehrenzeugnis,
as er seinen Schwarzenbörnern ausstellte, nicht vermocht. Der
dar einst bei dem Herzog Heinrich dem Jüngeren von Braun—
chweig zu Gaste und ging mit ihm auf dem Schloßwall von Wolfen-
üttel spazieren. Da wies der Braunschweiger auf die Türme
einer in der Ferne sichtbaren Hauptstadt: „Philipp, wie dünbkt dich,
abe ich nicht eine schöͤne Stadt?“ „Ja. Heinz,“ meinte der Land—
raf, „es ist eine zierliche und große Stadt, was nützet sie dir aber!
)u darfst nicht einmal einem, der darinnen wohnt, gebieten, einen
ztrohhalm aufzuheben, sie tun gern, was sie wollen. Ich aber
ab' eine in meinem Land, die will ich dir nit dafür geben.“ Als
er Braunschweiger nun den Namen dieser Stadt wissen will, fährt
)hilipp fort: „Es ist ein blein Städtlein und heißt Schwarzenborn,
as mag ich ein Jahr mehr denn du zehn oder drüber dieser
enießen; darin sein beine über 100 Mann, ist ja anders soviel,
och fromme und getreue Untertanen. die mir Tag und Nacht willig
ind gehorsam sein.“ — —
Aus dem bunten Narrenkranze, mit dem man des Städtleins
stamen umwunden hat. seien hier einige Blumen herausgelöst,
indere an geeigneter Stelle eingeflochten.
Der hochweise Stadtrat von Schwarzenborn saß einmal in
rnster Beratung zusammen, als ein schmuckes, zartes Junkerlein
ie Straße heraufgaloppiert kam und vor dem Rathause anhielt.
der Bürgermeister schaute heraus und fragte nach des Fremden
Segehren. Dieser hatte dem ehrsamen Rate zu melden, daß der
dandgraf in der Nähe auf der Jagd sei und in seiner getreuen
ztadt Schwarzenborn ein Frühstück einzunehmen gedenke. Darüber
oaren Bürgermeister und Ratsherren sehr erfreut und beschlossen,
en Landgrafen und sein Gefolge im großen Saale des Rathauses
iuf das beste zu bewirten. Da aber nun jeder der Herren an der
eltenen Ehre, dem Fürsten aufzuwarten, persönlichen Anteil haben
vollte, so wurden zwölf große Schüsseln mit mancherlei Braten,
ungem Gemüse und süßem Kuchen in aller Eile zubereitet, und
nan bestimmte. daß jeder eine davon dem hohen Besuch auftragen
ollte.
Als nun der Landgraf mit seinen Edelleuten erschien und an
»er Tafel Platz genommen hatte, fiel es den Ratsherren schwer
rufs Herz, woran sie in ihrem Eifer gar nicht gedacht hatten, daß
ie des höfijchen Brauches unbundig waren und fragten bleinlaut
hren Bürgermeister: „Wie sollen wir's machen?“ Der aber ant—
bortete: „Ich gehe mit der ersten Schüssel voran, seht nur auf
nich; wie ich es mache, so tut es nur in allen Stücken nach.“ Also
ahm er die Schüssel und schritt, die leckere Speise mit Würde
ragend, voran. In der Tür des Saales aber stolperte er über
ie Schwelle und ließ die Schüssel fallen. Der Hintermann stolperte
ach, wie es ihm sein Bürgermeister vorgetan hatte, und warf seine
schüssel zu der ersten. Der dritte stolperte auch und so — mehr
der minder geschickt — alle anderen, bis auch der zwölfte herein
par und jeine Schüssel auf die anderen geworfen hatte, so daß ein
Zerg von Scherben und Speisen fast die Tür versperrte. Den
Zürgermeister hätte bald der Schlag gerührt, und seine Katsherren
oaren schon in Sorge, daß sie auch das nachmachen müßten. Er
tammolte einige Entschuldigungen und bat den Fürsten, dies große
Unglück die Stadt nicht entgelten zu lassen. Der aber hatte eine
o herzhafte Freude an dem eigenartigen höfischen Seremoniell seiner
schwarzenborner gebhabt, daß er die ängstlichen Gemüter mit
inigen freundlichen Worten beschwichtigte und gern mit den ein—
achen Speisen vorlieb nahm. die nun noch schnell herbeigebracht
verden bonnten.
Andere erzählen den Schluß der Geschichte anders. Der
andgraf habe, da er sehr hungrig gewesen sei, zu den bestürzten
chwarzenbörnern gesagt: „Wir haben eueren guten Willen
esehen, aber nun schafft schnell her, was ihr habt, und sollte es
im Ende auch nur ein halb Viertel Käse seins“ Darauf ein eifriges