Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

(wenn auch nur als Gefangener) in die Quere gebommen. 
Und doch wird das Leipziger Keichsgericht ihn nicht vor 
seine Schranken fordern. Ganz gewiß nicht. Dafür war 
er eben Karl Bellmaus. 
Er ist unbekannt geblieben, und nur die wenigen Menschen, 
denen die Freude seines Umgangs zuteil geworden, gedenken 
seiner gern und oft. 
Er hat sich eben nie hervorgedrängt. Ganz in der Stille 
hat er gewirkt. Und weil er in seiner Bescheidenheit ganz 
gewiß seine Geschichte nicht schreiben wird, so muß ich es tun. 
Im Frieden war Karl Bellmaus schon bei den Sweiund— 
dreißigern aktibv gewesen. Als man ihn beim Kriegsaus— 
bruch wieder einberief, lag eine glänzende militärijche Laufbahn 
vor ihm. Karl Bellmaus verzichtete darauf. 
„Ein ordentlicher Mensch hält sich den Kragen rein,“ 
pflegte er zu sagen, und ist getreu diesem Wort beim Waffen- 
stillstand als ganz gewöhnlicher Landwehrmann wieder in 
sein Dörfschen eingezogen. 
Was tat Karl Bellmaus vor dem Kriege? — Wenig. 
Er hatte „auch so zu lebe“, war sein Wort. Ein Bauern— 
gütchen war ihm eigen. Es lag da, wo sich Bayern und 
Meiningen scheiden. Das trug ihm alles ein, was sein 
Herz, — nein: sein Bauch begehrte. UAnd das war nicht 
wenig. Nun steht zwar in der Bibel, daß die Menschen 
von dem seit Adams Seiten verfluchten Acker nur im Schweiße 
ihres Angesichtes ihr Brot essen sollen. Das traf für 
Karl Bellmaus nicht zu, wenigstens wußte er sich dem Fluche 
zu entziehen. Die Weibsleute und der Jungknecht mochten 
besagten Fluch auf sich nehmen. Karl Bellmaus stand an 
glühheißen Sommertagen meist in dämmerkühlen Stuben. 
die er ganz mit freundlicher Helle füllte. 
Er war nämlich Weißbinder. 
Der „geneigte“ Lejer wird hier mit Entrüstung ver— 
muten, Karl Bellmaus sei nur ein gefräßig- dicker Fau— 
lenzer gewesen. 
Dann hätte ich mich nicht mit ihm befaßt, denn deren 
gibt's genug allenthalben. 
Nein, es lag System in seiner Faulenzerei, er war ein 
Philosoph von seltener Stärbe der inneren Anschauung. 
„Die Arbeit ist die Hauptsach im Lebe.“ docierte er 
sogar einmal. 
„Nein, die Arbeit ist net die Hauptsach,“ widerlegte er 
sich kritisch. — „Die Hauptsach is. wo man sich bei der 
Arbeit hinstelle kut.“ — 
„»Wenn beim Bau der erste Pfahl vom Gerüst einge— 
schlage wurde, da wußt ich schon, wo ich mich hinstelle 
mußt, daß mich de Sonn net traf.“ 
AUberzeugend bewies er die Kichtigkeit des genannten 
Satzes an einem zweiten Fall. 
Das adlige Schloß in seinem Dorfe, ein mächtiger alter 
Kasten, jollte neu getüncht werden. Karl Bellmaus wußte 
auch da sogleich, wo er hingehörte. Oben unterm Dach 
erkor er seinen Platz. Bis dahinauf kbam bein Polier. 
Dort ging die Luft so schön Lühl. 
Dort saß er, als eben das Korn Ahren schlug. Von 
seiner hohen Warte sah er es gilben. Die Landschaft 
dampfte von dem Arbeitsschweiß der armen Adamsnach⸗- 
kommen, die sich ums tägliche Brot plagen mußten. Karl 
Sellmaus saß derweil in luftiger Höhe und tat „allzemal 
bein Pinselstrich net den ganzen Tag“. 
Erst als die guten Kartoffeln geerntet wurden, stieg er 
herunter von seinem Gerüst. Nicht, daß er fertig gewesen 
wäre. Bewahre! Er hatte da mindestens noch so ein Jahr 
Arbeit. Aber am 1. Obtober legte er alliährlich den Pinsel 
»in, und vor dem 1. Mpril faßte er ihn nicht wieder an. 
Das hatte sein Dater auch schon so gemacht. und die Bell— 
naus' hielten auf Ordnung. 
Sie hatten ja „auch so zu lebel“ 
Den Winter verbrachte Bellmaus in behaglicher Kuhe. 
Karl war unbeweibt. Er wollt sich grad noch „die Arbeit 
Jemach“, erblärte er dem neugierigen Frager. 
Dater und Sohn rauchten dann viele bürzere und längere 
HPfeifen, sjaßen sich oft stundenlang schweigend gegenüber, sehr 
»ft auch unten im Keller. Da lag nämlich ein großes 
Schnapsfaß. Sie gingen früh zu Bett und standen spät auf. 
Lichtpunbte in der öden Winternacht waren die Schlachtefeste. 
Aus dem sanften Khythmus dieses ehrbaren Lebens wurde 
carl Bellmaus jäh herausgerissen und in den ungeheuren 
Wirbel der Kriegsereignisse hineingeworfen. 
Was hatte sein bindliches Gemüte nicht alles erhofft, 
dis zuletztl Man bonnte ihn doch vergessen haben in den 
Listen! Da war der Gostellungsbefehl schon da—. 
Man fand zuerst beinen Kock, dessen eherne Knöpfe sich 
iber seinem Bauch hätten schließen lassen. O Freude, wenn 
es gar beinen passenden Kock für ihn gäbel Swei Transporte 
varen schon ohne ihn ins Feld gegangen, weil er noch keinen 
Kock hatte. Ein dritter Transport wurde gerade zusammen- 
zestellt. Da fand sich für Karl Bellmaus ein Kock. und 
x mußte mit. 
Noch einmal lächelte ihm das Geschick. In Heidelberg 
lieben die Truppen acht Tage liegen. Heidelberg, das 
var ein letztes böstliches Geschenb der Heimat für die aus— 
iehenden Krieger. Sie wurden nicht müde, immer wieder 
zu dem herrlichen Schlosse emporzusteigen. 
Nicht so Karl Bellmaus. Der saß acht Tage in einer 
Wirtschaft und guckte es sich von unten an. Außerdem 
vartete er, inbrünstig. Der Krieg mußte doch bald aus 
ein! Nein, Karl Bellmaus mußte nach Franbreich hinein. 
Die Soldaten sangen, sie winkten aus allen Fenstern hinaus 
uind schrieen Hurra. 
Karl Bellmaus saß in schweren Gedanben in seiner 
WMageneche. 
„Drei Tage habe se gesunge und Hurra geschrieen,“ 
igte er später. „Ich hab mich drei Tage besonne, wie 
h wieder retour bäm.“ 
Als er dann fern die ersten Granaten mit unheimlichem 
Seräusch zerkrachen hörte, wurde der Gedanke übermächtig 
in ihm: heim, um jeden Preis. 
„Es war ein zu ungewisses Lebe da draußen,“ stellte 
er stets noch ganz ernsthaft fest. 
AUnd Karl Bellmaus kam heim. Wie — das weiß ich 
elber nicht. Wer ihm aber sagte: „Karl, das war nicht 
chön von dirl!l“ den fuhr er entrüstet an: „Ich hab den 
Krieg net angefange. Ich braucht' den Krieg net. Ich 
»att' auch so zu lebe. Wer den Krieg braucht und wer 
n'e angefange hat, der mag Krieg gemachl“ — 
Im Winter 1915 stieß ich auf Karl Bellmaus. In 
inem alten Schlosse war's, das zu einem Gefangenenlager 
hergerichtet worden war. Wir suchten noch einen Kameraden 
ür unsere Stube. 
Da sah ich einen wunderlichen Kriegsmann auf einer 
Dritsche siten. Kund und rosig das Gesicht, mit zwei 
ingemein pfiffigen Auglein, braun wie eine Haselnuß, und 
ꝛinem schmunzelnden Mund. Das Koppelschloß hatte er 
jeöffnet, damit der Bauch Luft briegte; denn der war nicht 
jering. Die Beine schienen ein wenig krumm zu sein und 
»in wenig kburz. Ich wurde lebhaft an das köstliche Bild
	        
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