Full text: Heimatschollen 1921-1925 (1. Jahrgang - 5. Jahrgang, 1921-1925)

Dom Pulsschlag der Heimat. 
VDom Bergsee bei Oberellenbach. 
Im zweiten Bande seiner Wanderbilder „Hessische Höhenluft“ 
erzählt Heinrich Bertelmann, der den Wanderstab so früh schon 
niederlegen mußte, von dem seltsamen Bergsee am Seebopf bei 
Oberellenbach. Tiefen Gedanken sann der nun Heimgegangene 
an seinen Afern nach und deutete mit feinen Worten die Symbolik 
ꝛeiner alten Sage von der Wasserjungfrau, die zu den Menschen 
ins Tal hinabstieg. Diese von Bertelmann nur angedeutete Sage 
zing uns von K. St. in Oberellenbach für die Heimat-Schollen zu, 
und wir wollen sie unseren Lesern nicht vorenthalten. 
Der Bergsee bei Oberellenbach hat immer frisches, helles 
Wasser, das selbst in trockenen Sommern baum un einen Meter 
fällt. Sein Ursprung und seine Tiefe sind in Dunkel gehüllt. Alte 
Leute erzählen aus früheren Seiten, bei einem Tanzvergnügen 
eien drei schöͤne Jungfrauen auf dem Platz erschienen und nach 
dem Tanze, als etliche Burschen sie nach Hause begleiten wollten, 
in den See gesprungen und Wasserjungfern gewesen. Einmai 
persuchten einige Bauern, die Tiefe des Wassers zu messen. Sie 
anden, „Luchen- oder Lubenjseiler“ zusammen und hingen eine 
Pflugschar daran. Als sie die wieder herauszogen, stand mit Kreide 
darauf, geschrieben, die Leute sollten es nicht wieder tun, sonst würde 
Oberellenbach untergehen. Und das Wässer sei blutrot gewesen. 
Swischen den Jahren. 
Es ist, als müsse die Seit „zwischen den Jahren“ stille stehn, als 
müsse sie noch einmal den Alem anhalten und rückwärts blicken 
— und wieder jung werden, jungtöricht und glücklich. 
Ja, wenn du durch die stillen Straßen wandersi, dann pũrst 
du, wie das große Erleben und jchnelle Geschehen den Atem 
anhält und den leisen, fernen Stimmen der Vergangenheit lauscht. 
Das war eine köstliche Seit, jene behaglichen, dämmerigen 
Tage zwischen Weihnachten und Neujahr. In der warmen Wohn - 
stube duftete es nach dem mit Kauschgold und Nüssen geschmüchten 
Tannenbaum und nach den zischenden Bratäpfeln im Ofen. Die 
Puppenbüche war noch reichlich mit Mandeln, Kosinen und Quitten. 
würstchen gefüllt. Auf dem großen Puppenherd wurde so eifrig 
gequielt, Aofelbrei gekocht und Pjannbuchen gebacken, daß darüber 
das hölzerne Schaubelpferd völlig in VDergessenheit geriet und die 
trahlende Puppenschönheit außer acht gelassen wurde. 
Oraußen vor den beschlagenen Feñsternũ herrjchte der Winter 
mit bitterer Kälte, blies die Backen Auf, daß ihnen eisige Nordluft 
entströmte, und hauchte gegen die Scheiben, daß sie erystallhelle 
Eisblumen bildeten. 
Drinnen war's unendlich eng, unendlich warm und unsagbar 
behaglich. Die Buchenscheité bnisterken im Ofen, die Hängelampe 
summte eine feine Weise, und die neumodische Kaffeemaschine 
brodelte und stieß den Dampf aus. Auf dem runden Tisch standen 
die letzten Stücke Kosinenbuchen neben der schier unerschöpflichen 
Fülle von Simtsternen, Anisplätzchen und Brentinen. Kein Ton 
von draußen drang lärmend in die Stille — Leine Außenwoelt 
störte den Frieden der vier Wänden. Mur Kinderlachen und 
Om Baarg ⸗ Am Berg, Dorfteil in manchen Gemeinden. 
Baarger, Berger. d. i. die am Berg Wohnenden. 
Baarntrisch, das, Bärentriesch. Waldteilname, der beweist, daß 
Meijter Petz auch einmal in unserer Gegend gelebt hat. 
BZaãase, der, 1. wie hochdeutsch, R die Hure, Bäããasemensch, die Hure, 
Baasebènger, der Besenbinder. 
bächern, bechern, (viel) trinben. 
Backeschbrod, das, Säckersbrot, 1. wie hochdeutsch, 2. leichte Ware. 
enbaddel, das, Einbörtel (— die Sorte, bes. an der Betzel sam 
Mützchen] der Schwälmer Frauen). 
Baddsel, dis, Betzel. Baddselschnier, die, Betzelschnũre, Betzol⸗ 
bänder. Brombãddsel, die, Brambappe. Redensart: sich bãddseln, 
sich leicht zanben. Néèt raadit enger d'r Bãddsel seng ( NRicht 
richtig unter der Betzel lungescheit] sein). Die Bãddsel verkehrt 
steh honn ( Die Behel verbehrt steben hahon. nicht aut 
gelaunt sein). (Im Haungrund: 
Hae hât de Kapp verkalirt of — ist 
schlecht gelaunt)) 
Zähr, und Bahr, die, Tragbahre. Mest- 
bahr. Mistbahre. 
Tradubabree— 
Veihnachtsliedersingen sprudelte zuweilen perlend wie ein silberner 
»pringquell durch die weiche, warme, beschauliche Ruhe. .. Und 
n der Dämmerstunde erzählte Großnama ein Märchen aus der 
uten alten Seit, und es fing allemal an: Es war einmal ...! 
And jetzt? — Ja, es ist, als müsse die Seit stille stehn und 
den Atem anhalten und rückwärts blicken ...! 
Freilich, in den Geschäftsstraßen merkt man nichts von Stille— 
ehn und Atemanhalten. Dort braust der Alltag mächtig und 
aut, und der Kampf um die Ware wird rücksichtslos fortgejsetzt. 
Siehe, dort unten fließt die Fulda still und friedlich vorbei — 
die einst. Und Krähen umflattern die Weidenbäume — wie einst. 
Ddenn die Natur ist die gleiche geblieben, ob auch Menschen und 
seschehen sich wandelten. Und die Natuer blicht freundlich auf die 
Nenschen der Jetztzeit und speicht zu ihnen: „Wahrlich, ich sage 
uch, ihr seid größer als die Menschen der guten alten Seit. Auch 
ene haben entbehrt und entsagt; aber sie bannten nicht so sehr den 
Iberfluß, wie ihr ihn banntet ..... Sie kannten die Stille und 
»as Wohlbehagen. Mber ihr werdet Größeres bennen lernen, 
en Feieden nach dem Sturm.“ 
And es wird eine Seit bommen, da sitzt Großmütterlein 
zwischen den Jahren“ bei der elebtrischen Stehlampe am modernen 
FZamin und erzählt ein Märchen. Es wird beginnen: „Es war 
inmal,“ und wird berichten von einem Geschlecht, das nicht viel 
Tohlen hatte und nicht viel Fett, wenig Brot und fast gar keine 
Leckerbissen, und welches dennoch frohgemut, stolz und tapfer war 
ind seinen Frieden fand. Neumann. 
Schnurrpfeiferecien. 
Christoph schwatzt hochdeutsch. 
Der Christoph ist in der Kreisstadt und betritt einen Laden, 
Einbäufe zu machen. Der Kaufmann fragt ihn nach dem Woher. 
„Aus Leuchtenhagen,“ sagt der Christoph. 
„Leuchtenhagen?!“ meint der Kaufmann verwundert, „wo liegt 
denn das? Das gibt's doch gar nicht.“ 
„Na, dann us Lichtenhääng!“ sagt der Christoph aus Lichten- 
agen. RK. 
Es artet of sinn Vadder. 
Ein Homberger Handwerksmeister ging an einem Sonntag- 
norgen auf ein benachbartes Dorf. Vor dem Dorfe traf er seinen 
Bekannten Justus, der geistig etwas beschränkt war, mit seinem 
jungen. Sie begrüßten sich: „Gun Morjen, Justus!“ 
„Gun Morijen, Schorschel Wo bemmest du dann schonn her?“ 
„Ech honn hie was ze besorjen un wull ö en Halwes stechen. 
hert dann der Jönge dä, Jastus? Es esche zu 'n echtes Kerlchen.“ 
Der Justus antwortete: „Ja, Schorsche, un du glöwest garnet, 
er Jonge es unvernönftig gescheit, der artet ofs Teine.“ 
Die beiden Freunde gingen nun nach dem Justus seinem 
dãuschen. Vor demselben stand dem Justus seine Trine mit einem 
leinen Mädchen an der Hand. Das wollte nun dem Onkel 
?chorsche durchaus bein Händchen geben. Da sprach dos Trine: 
Met dem Mächen honn ech minne Last. Das es so dumm un 
ickköppich — aber das artet of sinn Vadder.“ nn 
altes Gold. — 
—— 
zahrche, das, Bärchen, Milchgefäß mit 
einem Stiel. — 
Alamm, das, Bälamm — dummer Mensch, 
auch in der Kinderjprache für das Schaft— 
gebraucht, dort dann Bälämmche. Ders— 
hen: Bährche 
——A—— Da stieß sich's wider ein Steckolchen. 
das Lämmchen ging ins Holz, Da tat ihm weh sein Bäckelchen. 
Das trug sein Koͤpfschen stoiz, Bälämmche bä .. 
anas, die, Schneckennaso; Kotznase (Kindersprache). 
angel, der, J. wie hochdeutsch Bändel. Schnur, 2. ungezogener 
Mensch. Hosebãngel. Hosenbandel, Hosenbander. Spoitvers 
auf die Schwälmer: Seng d'r da die Hosebangel länger bie die 
trémbe, èéß d'r da d's râachte Beèé langer bie ds lenke (- Sind 
die denn die Hosenbänder länger als die Strümpfe, ist dir denn 
das rechte BSein länger als das linte). Sackbängel, Sackbändel. 
Henbar ursprünglich Strumpfband, wie mhd. und noch jetzt in 
Mundarten, so im Westerwald. Häzzbängel, Herzbändel. Redens- 
irt: Jemand kracht de Hazzbängel (2 Jemaänd bracht der Herz- 
ändel, er stirbt)
	        
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