Wähne auch um's Himmelswillen niemand, er solle durch
olche Dinge an den Pranger gestellt oder zum Hanswurst
gemacht werden. Wie sage ich doch gleich in „Ous Eller-
potersch Eppelbist?“ SG. 5: „Menschen, von denen man
nichts zu erzählen weiß, die haben umsonst gelebt,
deren Dasein ist ausgetilgt wie das der Blätter
im Walde, die der Wind herabholt — zu seiner
—A
Es ist dabei ganz selbstredend, daß die Person, die etwa
dem Schwanb als Modell gedient hat, nicht genannt werden
darf. Jedoch, ich habe immer gefunden, daß sich gerade
Menschen, die nicht das Pulver erfunden hatten, über dererlei
Dinge ärgerten und erregten; die vielen anderen aber lächelten
meist über ihre kleinen Schwächen — und wer hätte die
nicht! — die sie gegeißelt sahen, und nahmen so ihren lieben
Mitmenschen den Wind aus den Segeln.
Ueber dem Abagrund 0
Im Herbst sah ich die Heimatberge wieder. Dunble Föhren-
wälder mit bronzebraunen Buchenwaldsäumen lagen wie herr—
liche Gewandstücke um die Schultern der Berge, die sich stolz
reckten und dehnten. Birkenkronen gilbten und leuchteten
in der Obtobersonne und warfen hellere Tupfen auf den
wallenden Mantel der Berge.
Durch kiefe Waldeinsambeit lief eine Straße, als suchte
sie die zauberische Stille auf, in der die Märchen zu Hause
sind. Sur Kechten stürzte der Hang steil in ein grünes
Wiesental hinab, aus dem Schienenstränge heraufblinkten;
zur Linken stieg er in bunten Sandsteintreppenstufen höher
und höher hinauf.
An einer Wendung der Straße tat sich im Berg ein
Steinbruch auf wie eine klaffende, fleischrote Wunde. Ein
ausgefahrener Weg führte durch Krüppelholz und Brombeer-
gesträuch in die Tiefe des Steinbruches. Ockergelbes Grund-
wasser in ausgebrochenen Vertiefungen spiegelte die mächtigen
Steinblöcke der hohen Wand und die Wipfel, die über den
Steinbruchsrand ragten, in mattem Glanze wieder. Ich sah
empor. Meine Blicke trafen gegen eine Wand berzen-
gerader Kiefernstämme, bis zur halben Höhe rauh, rissig
und von stumpfem Dunkelgrün, höher hinauf glatt und hell—
braun schimmernd. Ein morsches, hier und da schon nieder-
gebrochenes Geländer aus rohen Kiefernstangen schloß den
Kand des Steinbruches für beerensuchende Kinder und arme
Holzweiber ab. Erdstöcke mit langen, entblößten Wurzeln
hingen wie schwärzliche Kiesenspinnen über der senkbrechten
Wand. Föhren neigten sich zum Sturz herüber und standen
vohl schon jahrelang so, den Wurzelboden gelockert und
herausgerissen. Ein Stamm aber, ein Lerniger, tapferer
Stamm mit zerschundener Krone neigte sich so tief über den
Steinbruch, daß jeder Augenblick seinen Sturz in die Tiefe
erwarten ließ. Nur noch mit einigen starken Wurzeln in
—
gerissene Wurzelstümpfe wie hilfeflehende Arme gen Himmel.
So an das Leben geblammert, hing der Todgeweihte über
dem Abgrund. And im Schauen tat mir die Seele weh.
Aeber dem Abgrund hängen — o, welche Schauer des
Schmerzes mag das erregen! Ueber dem Abgrund hängen,
wurzellocker und ohne Kettung — o, welch ein schreckliches
Schicksal jedem Geschöpf unsers Herrgottsl! Ach, und wie
piele Menschen hängen über dem Abgrund, sehenden Auges,
jühlenden Herzens — und doch verschließen sie sich der
Erbenntnis ihrer gefahrvollen Lage. Wurzellocker sind sie
Und nun ans Werk und wacker gepflügt, du, rühriger
derleger, ihr, treue Mitarbeiter. Aber auch ihr, liebe Leser.
sticht nur die Körner mögt ihr auflesen, die unser Pflug
ius der Hessenerde wieft, sondern trage jeder sein Körnlein
zinzu und beweise so seinen besten Dank für die mühevolle
Arbeit des Pflügens auf dem Heimatacker, daß wir uns
egenjeitig herausbringen aus den Möten der Seit und deren
folgen, die ein verloren gegangener Krieg und heimtückische
feinde über uns gebracht haben.
Wir wollen uns nicht unterbriegen lassen, nein
nun erst recht nichtl ....
Und daß dem so werde, dazu wollen wir fleißig in der
dergangenheit und Gegenwart pflügen, daß die Schollen
iur so hinter unserm Pfluge herfliegen und immer Neues,
derzstärkendes an den Tag werfen.
Das walft? Gottl....
Von Heinrich Ruppel.
vie der Baum über dem Steinbruch, wurzellocker, weil sie
eine Heimat mehr haben, gar nicht wissen, was Heimat ist,
ind derer lachen, die in heiligen Liebesgefühlen davon reden.
Heimat! — was ist Heimat?“ sagte mir ein tatbräftiger,
chaffensfroher Mann in einem Landstädtchen. „Ich benne
eine Heimat“, bekannte er, der als Beamtenkind seine
jsugend in neun, zehn Großstädten verlebt hatte, als sei sein
)ater ein moderner Nomade gewoesen, doch nicht durch seine
chuld. Und so war die Jugend dieses Mannes und seiner
ßeschwister zwischen den vielen Großstädten zerfetzt, zerfasert,
erstückt. Das Kleinod „Heimat“ hatte Kisse und Sprünge
ebommen und war für ihn kbein Kleinod mehr.
VDor dem Weltkrieg maßen wir den Wohlstand eines
olbes nach seinen „blühenden“ Städten. O Torheit aller
dorheiten! Konnten wir einen falscheren Maßstab an das
zlück unseres Volkes legen! Sind nicht die KRiesenstädte
llejamt wie Steinbrüche und taujende ihrer Bewohner wie
Bßäume über dem Abgrund? Hängt nicht unser ganzes
eufsches Voll wurzellocker über dem Abgrund?
Federzeichnung von J. Schulz.