Full text: Briefe einer Frau an Walther Rathenau

{haftlidhen Bölfereinheit zur fünftigen, immer vollifommeneren Auggeftaltung 
zu bringen. E83 wird die nächfte große Berufung des ringenden Menfchenz 
willens und Seiftes fein. Sie wird den Boden bereiten für den größten 
Erfülungsgedanken der Erde, der, als menfchheitliche Einheit im SGeifte der 
Siebe und fittlihen Weltvernunft, dereinft lebendige Wirflichkeit werden fol, 
Der Menfch, als Einzelwefen, durchläuft, ftetg wieder neu beginnend, die 
ganze Kette feitheriger SGefamtentwidlung. In Ddiefer Naturbeftimmtheit 
ift zugleid) aber aud) die Möglichkeit für ihn eingefhloffen, in {einem indivi- 
duellen Werden über die jeweilige Grenze der SGefamtentwidlung. hinaus zu 
wadcfen, zur Sanzheit feines vollendeten Menfchentums, Im Meberfchreiten 
der allgemeinen Dafeinsftufe liegt der Keim zur menfchliden Größe, zur 
Reife der Perfönlkichkeit, die ung als hHöchftes Lebensziel winkt, 
Sede Norm drängt zur Uebernorm, denn im Kreife des Werdens, wie wir 
nun ihn fafßfen lernten, find alle Maße enthalten. Nirgends tritt die Matur 
aus den Schranken des Sefeges heraus, das fie durch die Macht der ihr 
innewohnenden Idee beherrfcht. Doc in freiftem und weiteftem Spielraum 
entfaltet fi innerhalb diefer Schranken die SGeftaltung des Typus und feiner 
unzähligen Varianten. Wo er vollfommen ward, drängt er über die eigne 
Art hinaus und erhebt fich zur genialifchen Uebernorm. 
So zielt jede Art nad) dem Aufgehen in einer höhern. Die Gattung vollendet 
fi im Individuum, der Menfch im SGöttlihen. Aus dem Zwang feiner ftoffz 
gebundenen Clementarnatur drängt er in die eigne Ienfeitigfeit feiner SGeift- 
natur, wo der Genius feines Wefens, das wahre, unfterblide Selbft, als 
das große „Du“ feinem „Ich“ begegnet, Iedes „Du“, das unferer Liebe 
auf Erden begegnet, gewinnt unfere befeligte und befeligende Hingabe nur 
{o weit, als$ Diefe® ewige „Du“ darin fi ung lebendig und gegenwärtig 
zeigen Ffann. Und die Toten, die wir Kiebten. aus der Kraft diefes Erfen- 
neng, fterben ung nie, denn fie werden Eing mit dem Genius, der unfer 
Wefen durchdringt und unfere SGefchicfe lenkt, wenn wir emporwuchfen in 
den Kreis feiner feelenhaften Wirklichkeit, mo das blinde, ftofflide Schichfal 
die Gewalt über ung verliert. — 
Denn der Menfd) fteht als Mittelglied zwifhen Clementarz und Seiftwelt, 
als phyfifhe Einheit mit der Matur und methaphyfifche mit der Gottheit, 
beide Sphären zur Fogmifden Einheit des Lebens verbindend. Ueber den
	        
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