Full text: Briefe einer Frau an Walther Rathenau

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Nur wenn der mütterlidhe Sinn fie erfaßte und zu lebendigem Wefen formte, 
fann fie Tat und Erfheinung werden. 
Die Arbeitenden aber der Zukunft werden ihre Größe darin finden, die Weges 
bereiter und Bodenebener zu fein für den Bau des Tempels, darin die Liebe 
im vollen Glanze ihres göttlidhen Urfprungs auf Erden wohnen joll. Diefer 
Tempel, von den Meifterhänden derer erbaut, die wir die Organaten nann- 
ten, wird das Werk der Kultur frönen, an deffen SGeftaltung aNe Zeiten, alle 
Bölfer und alle Menfchen gleichen Anteil haben. 
Srinnern wir uns zur Stunde nur erft brennend daran, daß jene, die heute 
noch zu fhwach) find, in großem Sinne diefem Werk zu dienen, ihre Schwach 
heit den Starken verdanken, die es feither verfäumten, alle YueNen der Stärke 
Sedem von ihnen zu erfchließen, durch eine Gefellfhaftgordnung der SGerech- 
tigfeit, Befonnenheit und Güte, 
Doch die Neufeele, die diefes Erfüllungsreich der Zukunft heraufführen wird, 
regt fich, Die legten Feffeln ihrer ftofflichen Gebundenheit zu fprengen. Lange 
Ichon fFündete fi die Stunde ihrer SGeiftgeburt und verriet fi ihr Urfprung 
aug den Tiefen des wieder erwachenden germanifchen NMaturgefühles. Ss 
erlebte feinen erften neuen Atemzug in der Begeifterungswelle der deutfchen 
Romantik, von wo fie die Länder germanifchen Cinfchlags, deffen Summe ent 
jprechend, Küberflutete. Aus Ddiefer erften Flut der Meufeelenbewegung erhob 
fich zugleich auch der Widerftand gegen das alte romanifche Weltjoch, aus 
deflen Befiegung das wiedervereinte Deutfchland entfand, der Boden kom: 
mender Weltverjüngung. 
Im Naturgefühl offenbart fich das Kogmifche Geheimnis einer Albefeelung, 
die fichh dem erlebenden Herzen verrät alg lLeidenfchaftliche, tief erfcdhütternde 
Viebe zu den SGeftaltungen und Sefchöpfen der Clementarwelt, Das befeli- 
gende Wunder diefes Erlebens legt nicht, wie mandhe Meinung lautet, menfdh: 
fide Eigenfülle in fremde CSr{cheinung, fondern Gleiches wandte fichh auch hier 
nur wieder neu erfennend dem leihen zu, Seele der Seele, in diefer Wie- 
dervereinigung höcfte Wonnen der Hingabe findend. Das Herz feiert un 
befchreiblidhe Vermählungsfreuden, wenn es mit der Kraft des wieder ge, 
wonnenen NMaturfiunnes fich im Befchauen des uremigen Wefens verliert, das 
alle Erfheinungen der Natur durcdydringt. In ihrer TIranfzendenz gibt fich 
ung die Urfeele zu eigen, die noch diesfeits des Kreifes der Generationen der
	        
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