Full text: Briefe einer Frau an Walther Rathenau

herrfchen noch die heutige Kunftwelt, deren Mangel an genialijhem, Innern 
Sinn hier {o viel „Unfinn“ produziert. 
Die Schaffensnatur verlangt mit urfprünglidher Gewalt und Hartnäckigkeit 
ihre Nechte, denn fie folgt innerem SGefege, göttlidher Seelenwetfung, gleich 
der Liebe, mit der fie eines Urfprungs if. Wo diefe Rechte ihr vorenthalten 
bleiben oder nur verfümmerte Srfüllung finden, beginnt die große Seelen: 
not, die zu Wahnfinn und Selbftzerftörung legten Endes führen kann. 
Unter den verfomnmenen Künftlernaturen und entarteten Frauennaturen hHaz 
ben wir heute noch zahlreiche Opfer der alten Schulmethoden und unzuläng- 
lichen Lebensordnung zu fuchen, die an Ddiefer innern NRechtstötung die 
Macht ihrer höheren, mahren Natur einbüßten und zu elenden Zerrbildern 
ihrer felbft murden; Wo das. Endlich-Weibliche feine Iriumphe feiert in 
weibifcher Charakterentartung des Mannes oder Sinnenweibdhens, da war 
die Bahn des freien Seelenwerdens durch äußere Hinderniffe verfchloffen ge 
wefen und die Gemwalten der innern Hemmungen damit entfefjelt. Hier gilt 
e8 vor allem freie Bahn in Zukunft zu fhaffen. Denn das Wirken und Feilen 
aug innerer Notwendigkeit heraus bildet einzig die Iriebmacht der Schaffens: 
naturen und ermöglicht allein auch vollwertige Frauenarbeit. 
Der heutige Cryiftenzfampf zwingt ein Heer von Frauen auf mechanifche Ar- 
beitggebiete, Hier wird ftet® nur der Meine Bruchteil von ihnen am Plage 
fein, der ohne Höhere Sinnbegabung erlernbarer Verftandesleiftung. am zus 
gänglichften ift, Diefer Bruchteil wird fid in Zukunft durch harmonifhe Ge: 
famtbildung verringern. Diefer Bildung bedarf vor allem auch die Frau in 
ihrer natürlichen Lebensbeftimmung als Mutter und Erzieherin ihrer Söhne 
und Töchter. Der offene, entwicdelte Sinn für alle Lebensangelegenheiten, 
Seelendinge und SGeiftes{chäge der Menfchheit erft macht die Mutter zur Iräs 
gerin aller Bolkskräfte und Wefenswerte, die durch fie dem Blure vererbt und 
mit dem Willen in der werdenden Generation erzeugt werden {ollen. 
Diefe Tatfadhe muß dem Plane Iommender Neuordnung voranleuchten als 
der Brennpunkt aller Lebensfchöpfung, von dem die Strahlung des neuen 
Seelenlichte® nad) jeder Wegrichtung des Dafeins ausgeht. Bleibt dierer 
Urquell aller Lebens: und SGeiftverjüngung auch nur in irgend einem Winkel 
getrübt und eingeengt, {vo wird die Tatkraft der Erneuerer vergeblidh um das 
Heil der Zufkunit und die Geftaltung einer neuen, höheren Wirklichkeit ringen,
	        
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