Full text: Briefe einer Frau an Walther Rathenau

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(ichfeit, der fie heute oft noch zwangvoll bindet und ihrer eigentlichen Bes 
rufung entfremdet, 
In diefer Schichtung käme die heilige Dreizahl des Germanentums zum Aus: 
druck, die dem Gefeß alles Drganifchen Aufbaues ent{pricht. 
Das Wefen der Erfüllung beruht darin — an diefer Stelle fei e8$ nod) einmal 
mit eindringlichfter Kürze gefagt — daß die Mächte der Urfeele, wie fie alle 
findheitlidHen Werdeperioden des Veginns beherrfchen und während der in: 
telleftuellen Iugendreifeperivde in den Bintergrund treten, am Ende, zur 
Zeit der geiftigen Vollreife, wieder als Neufeele zu voller Wirkungsfülle er- 
ftehen, um eine innerliche wie äußerliche VBollendungsepoche der Wirklichkeit 
zu geftalten, Hand in Hand mit dem, zu ihrer intelligibeln Höhe gereiften 
Sntelleft, ; 
In diefem Sinne — auch das fei hier noch) einmal ausgefproden — waren 
Ihre Werke, hochverehrter Herr, mir zum höchften Zeugni$ geworden für den 
Seift der großen Stunde, in der wir leben. Sie bewiefen mir, daß die Seiftz 
empfängni$ der Urfeele, heute zur erfüllenden Seiftgeburt der Neufeele ge 
reift, daß diefe nahende Semwißheit, darin die Erfennenden heute harrend le 
ben, zur Tatfadhe geworden. Denn in Ihrem Buche „Bon kommenden Din- 
gen“ [Lebt der erdgeftaltende Intelleft, der endlich des vollen Sinng {feines 
Ningens und Wirkens fich bewußt worden, als einzig um der Seele willen 
und durch ihre Macht allein zu vollenden. 
Die Yrbeitenden und Cchaffenden der Zukunft werden in ihrer beftimmen: 
den Xebenswahl nicht mehr abhängig fein von dem Zufall der Seburt, weil 
nach allen Seiten hin den Lebenden freie Dahn der Entwicklung bereitet fein 
wird. Ihre Berufswahl wird fi aus Neigung und DBegabung ergeben und 
nur nod) in diejen innern VBorbedingungen wurzeln. Die ungeheuere Ver- 
geudung und Verzettelung wertvoller Menfchenfräfte, an der das Leben heute 
od) leidet durch die Mängel und unzulängliche Erfhloffenheit {einer Bil 
dungswege, muß als erfte DVefreiungstat zum Heil der Seele und des Sebens 
für die Gefjamtheit gefordert werden. Sie ift {hon nahe unter dem ofungss 
wort: freie Bahn dem Züchtigen. Es bedarf nur nod) der ergänzenden Ein 
ficht, daß mande fcheinbare Untüchtigfeit nur in falfcher Sebensbahn ihre 
Urfache hat und daß diefem Hindernis vorgebeugt werden muß durdy die er: 
weiterte Lofung: Freie Entwicdlungsbahn für Alle.
	        
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