Full text: Briefe einer Frau an Walther Rathenau

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{ten Wefen der Welt, Menfchheit und Böltker befeitigt werden. Iedem Wefen 
muß fein rechter Anteil, fein Ur-Teil, als erfte Zufunftgtat zuerfannt werden 
fönnen, Diefe Tat aber wird nur ermöglicht durch Einficht und Se{lbftbe- 
finnung auf unfer ewiges Seifterbe. Sm Erkennen des großen NRaffes und 
Individualgefeßes, wie es im Wefen und Wirken von Seele und Snrelleft 
fich erfüllt, öffnet fih ung das goldene Tor zum Reiche der ewigen Serechtig- 
feit, dag nun auf Erden begründet werden foll. SIedes Wefens und jedes 
Bolfes Ur-Teil if darin erfichtlih, fo daß die Duellen des MNeides, der Ver: 
fennung, der Ueberhebung Einzelner von felbft verfiegen müffen. 
In der Liebe lag feither die Macht eines intuitiven Erfennens, daraus auch 
das Geheimnis aller Sympathie entfprang. Doch um in diefem Sinne der 
Sefamtheit „gerecht“ werden zu fönnen, bedarf e8 eines offenkundigen 
Wiffens um die hier waltende Gefeplichkeit. Bis dereinft die Liebe das ganze 
veben durch die Weltkraft der Seele und ihres innern SGefepes der Güte wird 
cegieren und organifieren fönnen, brauchen wir noch weiter, wie feither, irdi- 
Ihe Sefebe und Menfhenfagungen. Doch diefe müßfen von nun an vom 
Seifte eine® höheren Weltz und Seelenwiffens durchdrungen fein, als das 
römifche Buchftabengefeß, das ung der Kalte Weltverftand cäfarifhen Macht: 
geifte® vererbte, 
Nod) ein Kurzer Rückblick auf den Kulturweg der Vergangenheit läßt ung 
mandje Tiefe des Werdens aus dem großen Seiftgefes herauffchimmern. 
Wir erfennen darin dag Wefen des Realgeiftes als fozial und ethifdh) gerichtet, 
wie e$ dem männlichen Intelleft entfpricht; das Wefen des Sdealgeiftes das 
gegen individuell und metaphyfifh, der Richtung der Seele und Snnerlichtkeit 
gemäß. 
Den Idealgeiftraffen verdanken wir die großen Mythologien, die wiederum 
auf einen einheitliden Urquell deuten. Aus ihnen gewannen wir den me; 
taphyfifdhen Gehalt der Religionen und Philofophien. Dody die individırz 
aliftijche Wefensrichtung diefer Raffen erzeugte auch die Neigung zum Par: 
ticularismus, der Indien unter das Joch der englifhen Weltherrfchaft zwang, 
Sriehenland als antife® Staatsgebilde frühe auslöfchte und Deutfhland 
Sahrhunderte lang gefährdete, 
Doch nicht das politifche, fondern das geiftige Erbe macht die Völfer und 
Nafjen groß und unfterblidh. FE lebt, wenn längft die Reiche, die es erzeug-
	        
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