Full text: Briefe einer Frau an Walther Rathenau

Möglichkeiten preisgegeben, betraten die meiften Frauen diefen erhabenen 
VPflichtenkreis, Dem natlrlihen Strom innerer Heiligung, der im divinato- 
reifen Empfindungsleben ungebrochener Frauenkräfte richtunggebend waltet, 
war vielleicht aud) am ficherften diefe Rätfelwelt anvertraut, fo lange die un 
beftrittene Herrfchaft des Intelleftes währte. Doch längft fhon ward der 
jaframentale Boden diefer Kräfte unterwühlt und der gefunde elterlihe Che 
mwille aus gerader Bahn geworfen durch die Zwiefpältigfeiten unferer Kultur. 
Der Mangel an dionomifcher Chefreiheit und fittlidher Vorbereitung auf die 
Che hat hier zu trübften Ergebniffen geführt. 
Die Zukunft bedarf eines vollen Sieges neuer weiblicher Selbftgewinnung 
und Lebensbefinnung durch ein gereiftes Muttertum, um die hier entftande- 
nen Sefahren zu überminden. Nur ein feiner felbft gewiflfer und allen For- 
derungen feiner mütterlidhen Berufung bewußter KFrauenwille, Tann diefe Tat 
vollbringen. 
Die heute übliche vorehelidhe Schule der Chefitten, öffnet alle AYbaründe phyz 
fifcher und moralifher Defekte, an denen die Menfchheit unheilbar Franken 
wird, bis es der fommenden Seele gelang, dem neuen mütterlidhen Lebens: 
geift entfdheidende Herrfchaft zu fihern. Er regt fih fhon ringsum in unfern 
Tagen, wo denkende Frauen und einfichtevolle Männer dem Werdenden bahnz 
brechend entgegengehen. Er lebt in den Anfängen zahlreicher Einrichtungen 
und Forderungen weiblicher Selbfthilfe aus den Kreifen der fogenannten und 
noch vielfad) verfannten Frauenbewegung, 
Soll der kommende Zukunftsftaat nicht eine Wiederholung heutiger Das 
jeingnöte in gewandelter Form fein, fo müfßffen alle Möglichkeiten baldigft 
zur Tat werden, die ein iInnerlidh gehobenes Zukunftsgefchlecht gewähr- 
leiften. Die Beforgnis des heutigen Staates richtet fid in erfter Linie nur 
erft auf die Yuantität der Kommenden, Der Bevölferungsziffer gilt feine 
Xufmerffamfeit. Doch es ift allein die gehobene DYualität, die Lebensftufe 
der Bevölkerung, die den DYuell feiner wahren Macht und Bedeutung bil. 
den wird. 
Seit Sahrtaufenden betete man an fteinernen Altären zur gefreuzigten Soft 
heit der Liebe und nahm felten nur fein Lebendes Sleichnig wahr — die 
Hrauenliebe, die im Erdulden aller Vaffionsfchmerzen ohne Ende ftumm ihres 
zöttliden Seelenamtes waltete. So verdunfkelte fi die Macht des Ewig:
	        
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