Full text: Briefe einer Frau an Walther Rathenau

Hier Liegt die Urfache eines verhängnisvollen Verkennens wefenhafter Tat. 
jachen, auf dem die f{hwankfenden Bewertungen der Weiblichkeit und Ihrer 
Deftimmung fi aufbauten., Man verfannte, daß der fihtbaren Außerlichen 
AMftivität aller männlichen Zatfraft, eine nicht minder tatgewaltige und le 
bensent{heidende innere Aktivität feelifcher UNebermindungsfräfte im Wefen 
des Weiblidhen ergänzend zur Seite fteht, Aus ihnen {höpfte von je die 
weiblide Natur ihr ftärkftes, urfprüngliches Vermögen, die Vorzüge ihrer, in 
allen Taten der Liebe und im Erdulden innerer und äußerer Lebensthmerzen, 
fo heroifchen Wefensnatur. Im Uebermwiegen diefer innern Uebermindungss 
fräfte beruht der Sattungscharakter der Weiblichkeit; im Ueberwiegen der 
äußeren Tatfräfte ebenfo der der Männlichkeit. In immer tieferem, voran- 
ichreitenden Ausgleidy beider Cnergieformen in der Einzelperfönkichfeit voll 
endet fi hHiergegen dag Wefen unferes Menfchentums, E3 hebt Mann wie 
Weib über die Schranken der Gattung hinaus in die freie, geiftige Rechtoz 
iphäre der univerfellen Kebensnatur, wo der große Eros waltet und die Zuz 
funft eines neuen geheiligten Muttertums ung winkt. 
In diefem Auggleich gewinnt der Menfcdhy die volle Veherr{hung des Lebens 
nach außen, wie nad) innen. Doc weit find wir heute noch von diefem Ziel 
entfernt und bis ung feine reifen Früchte winken, wird das natürliche, aber 
heute {0 weit verfhobene Verhältnis zwifjhen Mann und Weib darin be, 
jtehen bleiben, daß der phyfifch fiärkere und freiere Mann zum materiellen 
Schüßer und Helfer der Frau berufen als Herr der Außenwelt; die Frau aber, 
alg Herrin der Innenwelt, ihm zum moralifchen Schirm und Halt beftimmt, 
zur Seite ftehen wird. 
Man fönnte fagen, daß das eine Drittel ihres Wefens, womit die Durchs 
(chnittgnatur der Frau in die Welt deg Mannes ragt, fie hier zu einer Art 
Neberinftanz erheben foll. Wie dementfpredhend der Mann mit feinem Drit- 
tel Weibwefen als Ueberinftanz in der Frauenwelt herrfhen fol. Auf ein 
praktijcdhes Lebensbeifpiel angewendet wäre aus diefer innern Wefensfordes 
rung heraus der Standpunkt der Frauen im politi{den Außenleben ebenfo 
leicht zu beftimmen, alg der des Mannes im hHäuslihen Innenleben. Für 
beide ergäbe fi daraus die natlrlihe Stellung einer geheiligten Neberinftanz, 
die bei wefentliden Entfheidungen den Ausfchlag zu geben hätte und aur 
diefes Amt daher auch mit ardßter Sorafalt vorbereitet fein müßte. Chento
	        
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