Full text: Briefe einer Frau an Walther Rathenau

Doch fo lange das Necht des Stärkeren mährt und hinter diefem Schußgehege 
(ohnende Eigentumsrechte gebieterifd) heifdhhte, war diefer Keim nicht weniger 
auch hier gefährdet im Schoße der Mütter. Denn er braucht die Luft der Freiz 
heit vom Zwang jeglicher materieller Gebundenheit zu feinem Sedeihen, I 
die Che zur Bindung des weiblihen Seiftes und zur Verfümmerung Der 
Seele führte, ward fie, auf Grund des alten Rechtes, zur gleihen Sefahr für 
die Höherentwiclung des Menfchengefchlechtes, als alle RNechtsverkürzungen 
der weiblihen Chelofigkeit, Erft die Zeiten des neuen Nechtes des Höhern, 
an deren Schwelle wir heute ftchen, Fönnen auch hier den Wandel und Aus- 
gleich fhaffen zwifdhen den natürlihen und fittlihen Forderungen der alten 
und neuen Generationen, 
Alle wahre Löfung der fogenannten Frauenfrage kann nur auf dem Boden 
diefes neuen Nechtes gefunden werden. Bis fein Sieg vollfommen gemwor- 
den, wird der Kampf noch weiter dauern zwifhen den Anwälten äußerer 
Machtbefugniffe und den Anmwärtern innerer Hoheitsrechte, 
Doc) den Erfteren möge bald der VBlid fich fhärfen an den einfadjen TIatfa- 
hen der geltenden Wirklichkeit. Denn auch ihnen nähert fi die unabweis- 
bare Einficht, daß die Wurzel aller SGefinnung und SGefittung — wie die Zu- 
funft fie braucht und fie ung troß aller hohen Verftandeskultur fehlt — nur 
in der Wahrung unferer höhern Menfchenrechte kiegt. Sie muß uns inner. 
(ih und äußerlich frei machen zur unbefhränkten Entfaltung der Perfönlich- 
feit. Denn alle Macht und aller Zauber der wahren VPerfönlichkeit beruht 
darin, daß Verftand und Sinn zur vollen Erfhließung im Individuum Fom- 
men fönnen, So lange äußere und innere Not den Druck der Unfreiheit üben 
und unferer Wefensentwicklung Schranken auferlegen, {vo lange wird Das 
Yeben arm und die beffere Zukunft unverwirklicht bleiben, 
Bor allem aber verheißt nur eine neue Sinnfultur der Zukunft die Srfül- 
(ung ihrer großen, notwendigen Möglichkeiten. Sie wird ung vom Zwang 
des Gemeinen befreien, den alle Verftandeskultur nicht Iöfen Konnte. Denn 
diefe fchuf feltfame Menfchgebilde von fchärffter Iogifcher Denk<rıaft, deren 
fittliches Wefen zuweilen kaum die primitive Stufe der Barbarei überfchrits 
ten und meift im Verhältnis zum Weibe fich peinlich geltend machte, Die 
Charakterbildung, die ihre Höhe in der Schärfe unferer fittlidhen Xebensvers 
antwortung bezeugt, war bei ihnen ftehen geblieben an der Stelle, wo die
	        
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