Full text: Briefe einer Frau an Walther Rathenau

Im Schoße der Chriftenheit war feither wenig von ihm zu jplren, Er wäre 
hier faum je dem Bann des Iodes entronnen, WENN € nicht als SGeift der 
Ciebe immer und überall, jenfeits aller Fonfeffionellen Schranken, im Herzen 
der Seelenfebendigen und im Schoße der Mütter feine Zuflucht gefunden 
hätte, Ddurcdy Die Iahrhunderte Der Seelenverarmung und Lieblofigfeit, da er 
[eidend und fterbend am Kreuze hing bis in unfere age. 
Beute, da ung die Stunde feiner Auferftehung naht, erfennen wir, daß im 
mütterlihen Geheimnis urewiger Lebensverjüngung der Hauptquell feines 
Wirkens, Wachfens und Waltens fprudelt, viel verkannt, oft entweiht und 
getrübt von Der blinden Torheit unreifer Hirne und ungebändigter Leiden 
jchaften. 
E8 hat wohl faum ein Seelengebiet fürchterlicher und für die Gefamtheit ge 
jahrdrohender gelitten an der Entwirklihung. durdy die leßte Mechanifierungs: 
zpoche, deren Bild Ihre Bücher 10 umfaffend entwerfen, als das Gebiet der 
Mütterlichkeit, Wer dachte feither daran, hier das eigentliche Urfprungsland 
der Seelenmächte zu fuchen und in der hier herr{henden BVerdunkelung die 
Urfache ver bitteren Seelenverarmung unferer und vergangener Tage. 
Die Lajt diefer Berdunkelung zu heben ward zum erften und zwingendften 
Zeitgebot. Selbft in Ihren, mir {0 unfhägbaren. Schriften erfdhhien mir Ddiefe 
Welt getrubt, mie es ja innerhalb der darin 'er{chloflenen mechanijchen Lebens: 
bezirfe auch den Tatfächlichkeiten ent{pricht. 
In unferer Iriumphepoche des mafcdinentehnifchen Zeitalters, das den mes 
hanifihen Lebensfräften feine gefteigertfte Aufmerkffamfteit zugewandt, fonnte 
ich. vorwiegend nur jene Weiblichkeit entfalten, die als Ausdruck des Endlich. 
Weiblichen ung im Weibchen oder Sntellettualweib oft {vo abftußend entge- 
gentritt und zu begreiflicher antifeminiftifcher Abwehr herausfordert. 
Dod) diefem Negativ ent{pridht ein Pofitiv, das nie unter ung erlofhen, wenn 
28 aud) innerhalb der Mechanifierungswelt des Verftandes immer jeltener 
Kaum fand, in den Vordergrund zu treten. G$ zeigte fi zuweilen nur noch 
dem Blik, der offen genug war für den Kern des Wefenhaften hinter der 
Dberflädhe der lauten Tageswelt. Dort ward Tange und zuweilen überlaut 
dag Wefenlofe als Norm der modernen Weiblichkeit vom Ungefhmad tetI$ 
zepriefen, teils von den davon Sefhädigten yerurteilt und verläftert, Denn 
die unfinnigen Mächte der Wefenkofigfeit wirfen am unerbittlichften Dort,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.