Full text: Briefe einer Frau an Walther Rathenau

deuten. Wir lernten in ihr einen höchften Vebenszuftand erkennen, der ung 
(don zu erreichen beftimmt und möglich fein fann, fo lange wir im Seife 
wandeln, 
Alle förperliche Unzulänglichfeit, die ung heute noch zu einer Beute des Toves 
und Verderbens macht, wurzelt einzig in dem noch unvollendeten Seelenzus 
ftande, darin wir verharren und demgemäß wir au) nur unvolliommene 
Vebensbedingungen und Sefellfchaftsordnungen feither zu finden wußten. 
Sie müßflen mit ung in ftetem Wandel fo lange dem Untergang und Wechfel 
unterworfen bleiben, bis darin alle Hinderniffe zur unbefchränkten Seelen: 
entfaltung dereinft überwunden fein‘ werden. So lange wird ver Zod, als 
Srneuerer der Erfheinung zum Zweck immer höherer Vervoltionmnung, der 
größte Wohltäter der Menfchheit bleiben. Denn nur im unerfchöpflichen 
Wachstum unferer Befeelung liegt das Geheimnis unferer Unfterblichfeit, Die 
uns zeitlid) und ewig durch Selbitvollendung in Zukunft zu gewinnen be: 
timmt ward. 
Heute aber ward das Leben von einem neuen Strome erhöhter Befeelung er, 
jaßt. Die Seele, als Herrin aller organifhen Weltkräfte und Vebenggeftal- 
tung, Fam, fid) neu und enger als je dem Herrn der mechanifchen Erdgewal- 
ten, dem Intelleft, zu gemeinfamer Zufunftstat zu vereinen. Die Stunde eines 
nod) nie zuvor erreichten ergänzenden Ausgleichs beider ECnergieformen hat fid 
(ängft im Wefen und Wirken reifender Menfchenfähigkeiten vorbereitet. Die 
Vorzüge ihrer feitherigen Teilung verfhmelzen darin und ihre Mängel nähern 
fich der Yeberwindung durch die Mächte ihres neuen Einheitswillens. 
So ward ung der Gewinn einer Seiftesfumme, die endlid) ausreidhen wird 
zur Führung des Gefamtwillens. Aus Shrem Buche „Bon kommenden Din- 
gen“ ftrahlte er mir fieghaft entgegen, wie aus einem Brennpunkt des neuen 
Zeiterfennens. Unverhüllt und in voller Oröfe zeigte fi darin die zeitliche 
Beftimmung des Seelenwillens. So ward uns Zeugnis gegeben vom hohen 
Sinn unferes gewaltigen Zeitenwandels. In neuem, untrüglihem Lichte 
offenbarte fi ung das Werk der Kultur als gemeinfame, fittliqhe Lebenstat 
der ganzen, dazu berufenen Menfchheit. 8 wird in Zufunft das {chatten 
hafte deal der DBrüderlichkeit, daran das Leben feither mehr Franfte, als ges 
nefen fonnte, zur Fonfreten Wirklichkeit verdichten auf den Wegen zwingender 
Notwendigkeiten, '
	        
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