Full text: Briefe einer Frau an Walther Rathenau

au ftehen, möge fich auch der Kreis des Erforfchten und Erforfchlihen uns täg- 
fi weitern. Doch nichts Unerforfdylihes mehr wird es in Zukunft geben 
für den Menfchenfinn und nichts mehr Unbegreifliches für die Srlebniskraft 
unjeres Herzens. 
Denn Brünnhild ift aus dem Schlafe ihrer Entgötterung mieder erwacht und 
Siegfried erblickt den göttlihen Ahnherrn wieder mit dem Auge, das Ddiefer 
zinft alg Pfand gefeßt an Mirmir’s Born; wo er dag Willen der Erde das 
mit bezahlte, als er, der Geift, den Logosweg des Intellektes befchritt, Der 
Seift, der im Tieffinn diefes germanifdhen Urmythos lebendig gewefen, feiert 
heute die große Stunde feiner Auferftehung im Schafe der gefamten Kulturs 
menfchheit. 
Das ift das Lebenswunder unferer Tage, das mir auch aus Ihren Werken, 
yerehrter DHerr und Meifter, fich fo gewaltig offenbarte. Sie führen uns den 
Logosmweg des Intelleftes, auffteigend vom realen Lebensgrund, wo die 
Menfchheit um die ÖOlter der Erde ringt, im Bann der Saßungswelt und 
ihrer Oötterdbämmerung. Doch Shrer Höhe Leuchtet das Ziel, wo die wirkende 
Seele dem ringenden Intelleft aufs neu gegenwärtig und in ihrer Urgeftalt 
fidy zeigt, als die Tranfzendenz jeglidher Erfheinung. So erlebte fie die große 
Stunde der Wiedergeburt, die der Menfchheit verheißen ift als Zeichen ihrer 
neuen Harmonie mit dem Unendlichen. 
Xn diefer Harmonie erft find wir freien Geiftes und freien Willens, der ftoff- 
lien Erdgebundenheit entronnen, die ung zu Sklaven blinder TWunfchbegter 
erniedrigt, {vo lange wir unfreien Willens noch fhwanfkten .in der Wahl zwi- 
ihen den Anziehungsmächten der Schwere und denen des Lichtes. 
So endlich) ward die Seele aus ihrem Dornrsschenfchlaf erlöft hinter der Hecke 
der Begriffgenge, durdy die fliegende Kraft des brüderlihen Intellektes, der ihr 
Satte und Bruder zugleich, wie es der Tieffinn des deutfchen Mythos erkannte, 
Zo fand Wotan-Ahasver, aus dem Bannkreis feiner äußerlidhen SaBungs- 
welt, dem er in ewiger Wanderfchaft nimmer zu entrinnen vermochte, Die 
Tore zum Traum der Ewigkeit, dahinter feinen Erdnsten die Ruhe des Zieles 
befreiend winkt, das Ende der Östterdbämmerung. 
Aus allen diefen Gleichniffen fpracd feit Jahrtaufenden die eine große Wahr: 
heit, die ung Heute zum Erlebnis werden foll. Die Wahrheit von den vers 
Iunfenen Welten einftiger Seelenherrfhaft, die Fünftiger Wiederkehr entgegen
	        
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