Full text: Briefe einer Frau an Walther Rathenau

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Ss will fi uns heute fdhenken durch die Macht der Intuition, zu der wir 
auf’$ neue erwachen. Durd) fie war es 3zU allen Zeiten im Kinde, wie den 
Frauen und auf den geiftigen Höhen der Kunft lebendig gewefjen. Heute bes 
ginnt fie eine höhere Kraft der Allgemeinheit zu werden, aus der Das Leben 
der Kommenden feine neuen fittlichen Smpulfe und höchften realen Seftal- 
tungsformen {höpfen wird. 
Sn ihrem SGeifte aber müffen wir uns manchen verloren gegangenen, tieferen 
Wortfinn wieder erobern, Was hatte man noch jüngft aus den Heiligen Mas 
men des Ervs, der Liebe und Seligfeit gemacht, darin urfprünglid) ewige 
Feuer glühten? Die Heine fhwälende Kebensfacdel, an den Wildfeuern Der 
(Erde entzündet, nannte man nach ihnen, bis ihr Sphärenflang zerbroden im 
Staube zerrann. Denn alle diefjfe Namen geben nur Kunde von dem Einen, 
jür dag eg in Wahrheit noch keinen Namen gibt, der in Allen das große Cd)o 
gefunden hätte, das ihm gebührt, Uns aber müffen fie in Zukunft wieder 
werden, was fie einft waren: DAS Siegel hHöchften Menfchentums, der Abglanz 
werdender SGöttlichkeit. 
Denn Liebe ift der Seelendrang ing Unermeßliche und nad) Allem hin, was 
ottheitsfiegel trägt, um hHingebend darin Seele von der eignen Seele wieder 
zu finden, Gottheit, der wir als Kinder des Geifteg entjtammen. 
Durch Liebe nur gewinnen die .Iriebmächte der Veidenfchaft ihren Zauber des 
Unvergänglichen, den fittliden Ankferpunkt der Liebestreue, Wo Ddiefjer ihnen 
fehlt, verflüchten fie im vergänglihen Raufd) der Sinne, der ohne Liebe ges 
mein, durch Liebe zum Becher hHimmlijder Wonnen wird, 
Xn der Liebe liegt das Geheimnis aller Höherentwiclung der Raffe, wie der 
Perfönlichkeit, Diefe Tatfache muß den Kommenden mit Eindringlichkeit ung 
unermübdlid) verfündet werden. Der heutige Niedergang ent{prang der Lieb- 
[ofigfeit und dem Mangel jeglicher Liebesfultur, in deren Gefolge Seelenvers 
fümmerung und Körperverfeuchung fih die Wage halten. Ale fogenannte 
„Aufflärung“ der Sugend wird wenig nüßen, fo lange nicht, an Stelle alter, 
jhädlicher Gewöhnung, neue, höhere Erfüllungen winken und ideale Xiebes: 
erfenntnis zum Lebensführer werden kann. Der Hauptpunkt des fünftigen 
Kulturplanes muß darum lauten: Erziehung zur Liebe, in jedem Sinne, 
Sie war zu allen. Zeiten und mit Recht hHöchfter Segenftand der Kunft uno 
Dichtung gewefen, denn in ihr ift das Leben zu feinem idealen, aNlumfaffen-
	        
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