Full text: Briefe einer Frau an Walther Rathenau

Aus vielen Zeichen der Zeit, vor allem aber aus unferem immer tiefer wer 
denden Seelenhunger, Fündet fih fhon längft das Herannahen einer Hochflu: 
neuer Innerlichkeit, 
Shr freie, weite Bahn zu {haffen muß die große näcfte Tat der Zukunft fein 
die uns alle zum Werke ruft. Shm voran aber muß das große Erfennen ge 
hen, dag uns zum Werke befähigen [oll, das Erkennen der eignen innern We 
fengwelt, deren SGeiftorgan die Seele ift. 
Denn der Verftand ift der „erfchaffene“ Geift, der den Schleier des Sfisbilvde: 
nicht zu heben vermag. Ss gibt für ihn kein Eindringen in das Innere de 
Natur, in dag Wefjen der Erfdheinung und die NRätfel des Urgrundes, Sei 
Werkzeug ift die Sinnenkraft und fein Reich das Gebiet des Stoffliden, & 
ift das Geiftorgan der Oberfläche, der Welt des Habens. 
Die Seele aber ift SGeift vom „unerfhaffenen“ Seifte, der uns durch fie An 
teil gibt an feinem Willen und feinem Wirken und an den Rätfeln feiner Un 
endlichfeit in allen Höhen, Tiefen und Fernen. Durd fie find wir Genofeı 
feiner Unfterblichfeit, foweit wir Seele in ung aufzunehmen fähig wurden 
Er ift der Urgrund alles Lebens und aller Dinge, der nur dem nod) ungerei 
ten Sinnenblicf verborgen, der Seele aber offenbar ift, Denn Gleiches veı 
mag das Gleiche zu erfennen. Der Seele gehört die Welt des Seins, 
Der Sntellekt zeigt fi ung heute zum Meifter gereift in feinem Urbereich de 
mechanifchen Kräfte und SGeftaltungen, denen er entwuchs, Cr bezwang de: 
Mechanismus des Stofflihen und wußte fich ihn dienftbar zu machen, inder 
er die Gefepe der Natur erforfhte. So ward er zum großen tedhnifdhen Ert 
gebieter unferer Tage, der Demiurgovs, der nacheinander Erde, Feuer, Waffe 
und endlich das Reich der Luft bezwang mit feinen ftofflihen Werkzeuge 
und Mafchinen. 
Dody heute, an der Schwelle des größten Zeitenwandels, den die Erde gefehr 
feit den Tagen Abrahams, {hifen wir ung an, die Gefeße der Seele zu erfo: 
(hen mit neuem, gereiften Sinn und ihr die volle und gewiffe Herr{chaft 
fichern über die prganifdhen Lebensfräfte, die ihrer Obhut anvertraut find. 
Daraus ergibt fi in unausbhleiblidher Zatfolge die fängft fchon notmwendi, 
Ummandlung unzulänglicher Lebensbedingungen und gehemmter Entwic 
(ungsmöglichfeiten. Und fo nähern wir uns zugleich auch dem Dritten Krei 
der SGefeberforichung auf dem Gebiete des gefellfchaftlichen Lebens, defle
	        
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