Über das neue Seelenwerden und seine kommende Wirklichkeit
gänzlich veräußerlichten Verstandesepoche; einem ver-
schütteten Brunnen gleich,. ohne dessen Quelltrank
Mensch und Leben dem Qualentode innern Verdorrens
preisgegeben waren. Einem wüsten Todesbacchanal
glichen zuletzt nur noch die Feste der im Stofflichen
übersättigten und nach Seelischem darbenden Sinne.
Bis endlich nun aus diesem gespenstigen Nachtgetriebe
das neue Tagesgestirn entsteigt, als die Einsicht: daß
alles großartige Ringen des männlichen Geistes um
die Güter der Erde und den Mechanismus ihrer Ge-
winnung ohne Sinn und letzten Endzweck ist, wenn
ihm nicht Hand in Hand geht das mitschaffende Rin-
gen der schwesterlichen Seele um die Güte des Lebens
und den Organismus ihres Gedeihens.
Doch der Geist der Menschheit rüstet sich heute, der
gewaltigen Sachenkultur unserer letzten Werdeepoche
die neue Wesenskultur hinzuzufügen, die uns so bitter
notwendig geworden ist.
Denn der Intellekt, dem die jüngste Vergangenheit
gehörte, ist der Herr des Raumes und aller greifbaren,
meßbaren, wägbaren Gegenständlichkeit darin. Die
Seele aber ist Herrin im großen Flutenstrom der Zei-
ten, aus dessen Urtiefen alle Lebenselemente der Ver-
gangenheit, Gegenwart und Zukunft im Schoße der
Mütter zusammenfließen, von hier aus in immer neuen
Daseinswellen zum Tage zu drängen. Alles Unwäg-
bare, Unbegreifliche und Unermeßliche ist darin le-
bendig und wirkt in dem Rätsel unserer menschlichen
Zuständlichkeit. Dem Objekte gilt das Lebensringen
des Verstandes. Doch der Seele ward die Obhut des
Subjektes anvertraut mit der ganzen Welt seiner rin-
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