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Äusserlich hat das Warenhaus mit den beiden typischen und
massigen Fronten seiner Ecklage in das Kasseler Strassenbild
einen großstädtischen Zug hineingebracht, der ihm bisher fremd
war; freilich haben feine architektonische Reize deswegen zer-
stört werden müssen. Auf manche Schichten der Bevölkerung und
besonders auf die ländliche Umgebung übte das Haus starke Anzle-
hung aus und hob den Verkehr. Über die Entwicklung der Rentabi-
lität des Unternehmens lässt sich kein sicheres Urteil abgeben.
Aus den veröffentlichen Bilanzen und Geschäftsberichten der
Leonhard Tietz A.G. ist nichts über die besondere Entwicklung
des Kasseler Hauses zu entnehmen. In persönlicher Rücksprache
gaben die Geschäftsleiter nur Vergleichszahlen über den Umsatz
an. Demnach war der Umsatz dem Werte nach
1919 4mal so gross wie 1913
1920 5 2/3 mal so gross wie 1913
1921 9mal so gross wie 1913
1922 50 - 60mal so gross wie 1913(vorausicht-
lich).
Diese Umsätze mögen für Kassel als normal gelten, aus den Um-
sätzen eines Damenkonfektionsgeschäftes ergeben sich ganz ähn-
liche Verhältnisziffern. Im Vergleich zu anderen Städten sind
diese Umsätze niedrig zu nennen. In Mainz z.B., einer Stadt
von der Grösse Kassels, war 1912/13 der Umsatz der Schwesterfi-
liale 1 1/2mal so gross wie in Kassel. Die Unkosten sind im Ver-
hältnis zum Umsatz gewaltig angewachsen. Sie waren
1919 13mal so gross wie 1912
1920 17mal so gross wie 1912
1921 63mal so gross wie 1912
1922 200mal so gross wie 1912(voraussichtlich)
Als Grund für dies Zurückbleiben des Kasseler Warenhauses wird
von den beiden Filialleitern einmal die Zurückhaltung des Kasse-
ler Publikums beim Kauf angegeben. Es ist die gleiche Klage, die
von allen Seiten geäussert wird. Gerade das Warenhaus braucht
ein leichter eingestelltes Publikum, das unbedenklich und schnell
auf Reklame reaglert, flott lebt und sich "chik" kleidet. Es
ist nach der Auffassung der Filialleiter eine seltene Wohltat,
wenn man in Kassel mal eine "chik" gekleidete Dame sieht". Zum