Full text: Kurhessischer Kalender // Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen (1836-1845)

Das Land zu verschoͤnern ist des Menschen Pflicht. 
Wohl ist es lieblich und erfreuet das Herz, 
wenn das vornehmste Geschoͤpf der Erde, der 
Mensch, nicht in Hoͤhlen und elenden Huͤtten 
wohnt, sondern in gesunden, hellen, freundlichen 
und dauerhaften Gebaͤuden. Und sind die Umge⸗ 
bungen dieser Wohnungen in Staͤdten und Doͤr— 
fern gleich anmuthig; werden die Haͤuser von 
klug angelegten Gaͤrten umkraͤnzt; ruht das Auge 
mit Wohlgefallen auf der ganzen Landschaft; 
zieren Reinlichkeit und Ordnung die ganze Mar⸗ 
kung: wem schluͤge das Herz nicht hoͤher bei einem 
solchen Anblick! Gewiß; das Herz des Menschen 
von Gefuͤhl, das von dem Gedanken an Men— 
schengluͤck und von Liebe und Achtung gegen sein 
Geschlecht erfuͤllte Herz wird sonderbaͤr bewegt 
und wehmuͤthig gestimmt, wenn es zerruͤttete 
Wohnungen, zerlumpte und verschmutzte Haus⸗ 
genossen, jaͤmmerliche Wege und Umzaͤunungen, 
schlecht gehaltene und unbestellte Fluren trifft 
und jeder Edlere wird von dem Wunsche beseelt, 
die armen, unverstaͤndigen und unkundigen Ge— 
schlechtsverwandten moͤchten bequemer, sicherer, 
anstaͤndiger wohnen, innerhalb ihres Bezirks sich 
wohler fuͤhlen und sich des Lebens besser freuen 
koͤnnen. Der Mensch soll nichts, was keinem 
Geschlechte nutzt und froͤmmt, dem Umgefaͤhr in 
die Haͤnde legen, sondern uͤber Alles, was ihm 
des Strebens wuͤrdig erscheint, nachdenken und 
die Gruͤnde, es zu verwirklichen, sich und Andern 
klar und deutlich machen. Der Gruͤnde, Haus, 
Hof und Land zu verschoͤnern, giebts mancherlei; 
vornehmlich aber sind es folgende: 
„Gott hat den Menschen gesetzt uͤber das 
Werk seiner Haͤnde; Alles hat er unter seine 
Fuͤße gethan.“ 
So spricht die Schrift, so die Vernunft, so 
die Anschauung der ganzen herrlichen Schoͤpfung. 
Und zwar ist uͤber Gottes Werk der Mensch gesetzt 
als Huͤter, Pfleger und Ordner. Die Herrschaft 
uͤber die Natur haben nun die Menschen wobl 
zekannt und geuͤbt, aber nicht immer auf die 
rechte Weise. Und wenn sie nicht selten mit 
erstaunenswuͤrdiger Kuͤhnheit das Meer baͤndigten 
und beherrschten, undurchdringliche Waͤlder lich⸗ 
keten und zu bewohnbaren Sitzen umschufen, 
wilde Thiere vertilgten, oder ihre Zahl doch 
minderten und dieselben sich unschaͤdlich machten, 
oder Steppen und sumpfige Laͤnderstrecken in 
fruchtreiche und anmuthige Fluren verwandelten; 
o haben sie doch in wohlgelegenen und mehrfachen 
Nutzen versprechenden Gegeuden noch viel zu thun 
üͤbrig gelassen, theils aber auch fuͤr ihre Wohn— 
plaͤtze selbst weniger geleistet, als sie gekonnt und 
gesollt haͤtten. Bequem ist gewoͤhnlich der Mensch. 
Hat er sein taͤgliches Brod, sein nothduͤrftiges 
Obdach, seine leidliche Bedeckung, so kuͤmmert 
er sich selten um das Nuͤtzliche, das Angenehme 
und Schoͤne; er verschmaͤht es nicht selten, wenn 
es ihm auch dargeboten wird. Der Sohn bleibt 
bei dem vom Vater Ueberkommenen und haͤufig 
vererbt sich das Ungereimteste, Zweckwidrigste 
und Zweckloseste auf ganze Geschlechter. 
Ist dies des vernuͤnftigen Menschen-wuͤrdig? 
Spricht Gottes Stimme in deiner Brust etwa: 
hier mein Sohn ist deiner Vorfahren Eigen⸗ 
hum; bewirthschafte es genau, wie dein Vater 
und Großvater; ruͤcke keinen Stein anders; laß 
nicht mehr Licht durch deine runden und blindb 
zewordenen Scheiben, als jene zu brauchen glaub⸗ 
en; den Unrath und Duͤnger, der dir die Luft 
perpestet und dich noͤthigt, auf Stelzen uͤber den 
Hof und die Strase zu gehen, betrachte als ein 
rhrwuͤrdiges Vermaͤchtniß; den schlecht gehaltenen 
Barten umzaͤune weder, noch pflanze in richtiger 
ind dem Auge gefaͤlliger Ordnung bessere Ooͤst⸗ 
sorten; den Bach durch's Dorf laß laufen, wohin 
er Lust hat; das Vieh laß im Hofe und in den 
Staͤllen ungereinigt im Kothe steben, und kommt 
einmal Jemand, der kluͤger feyn will und von 
Verbesserung der Landwirthschaft redet, oder gar 
nit Anschlaͤgen zur Verschoͤnerung deines Besitz⸗ 
hums, oder deiner Ortschaft hervortritt; so weis 
hn mit den Worten zuruͤck: das ist lange so 
gewesen und beim Alten soll es bleiben!““ 
Spricht Gottes Stimme also? Nicht doch! 
Sie laͤßt sich vielmehr folgendergestalt in dir ver— 
nehmen: „Die Erde ist des Herrn. Der 
Menschaber ward uͤber sie gesetzt, da— 
mit er sie, wenn auch im Schweiße des 
Angesichts, bebaue und einen Goͤttes 
zarten aus ihr mache, auf daß alle 
Welt sich des Herrn freue und ihn mit 
bief empfundenem Danke preise.“ 
Nicht blos essen und trinken soll der Mensch das 
ohne sein Zuthun Vorhandene; nicht blos seine 
Natur-Beduͤrfnisse stumpfsinnig und thieraͤhnlich 
befriedigen, und um alles Uebrige sich unbekuͤm⸗ 
nert lassen, sondern das ihm Anvertraute treu 
und verstaͤndig verwalten. So wie er dem thie⸗ 
rischen Zustande sich entrissen hat, und zu einer 
gewissen Stufe menschlicher Bildung gelangt ist, 
oll er auch auf dieser Stufe thun und wirken, 
vas sein Bildungsstand mit sich bringt und erfor⸗ 
dert. Die ersten Menschen bedeckten sich mit 
Blaͤttern; die Wilden guͤrteten sich mit Thierfellen; 
vir tragen Kleider. Vordem wohnten die Men— 
chen in Hoͤhlen und schlechten Huͤtten; wir bauen 
ins Haͤuser und bauen sie immer wohnlider.
	        
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