Die Stadt wurde, wie Riga, mit Starm ein⸗
genommen, und man fuͤhrte dem General Bauer
ünter der uͤbrigen Beute, auch die gefangene
Katharina zu. Der Sieger behandelie sie guͤtig,
und weil er bald bemerkte, daß sie eben so ver⸗
staͤndig, als in der Wirthschaft geuͤbt sey, uͤber⸗
trug er ihr die Aufsicht uͤber sein Hauswesen.
Bald darauf sah sie der beruͤhmte russische Fuͤrst
Menzikoff, ein Guͤnstling Peter's des Großen,
welcher eben so, wie Katharina, mehrere Jahre
vorher nicht die geringste Ursache gehabt hatte,
auf ein großes Gluͤck in der Welt Rechnung zu
machen, indem er fruͤher als Pastetenbaͤckerjunge
in der Hauptstadt Rußlands Backwerk oͤffentlich
zum Verkauf herumzutragen genoͤthigt war. Die⸗
fer nahm Katharinen zu sich und uͤbertrug ihr
ebenfalls die Sorge fuͤr sein Hauswesen.
Hier blieb sie zwei Jahre. Da traf es fich,
daß Peter der Große eines Tages bei Menzikoff,
wie er dieses zuweilen that, speisete. Die Schoͤn⸗
heit Katharinens machte den Czaar anfaͤnglich
blos in soweit auf sie aufmerksam, daß er sich
in ein Gespraͤch mit ihr einließ. Wie groß aber
war sein Erstaunen, als er einen ungemein gebil⸗
deten Verstand in dem jangen Maͤdchen wahr⸗
nahm. Die Artigkeit und ungezwungene Ein⸗
fachheit ihres Betragens nahmen ihn so fuͤr sie
ein, daß er sie von Menzikoff zum Geschenl for⸗
derte. Dies durfte jener dem Monarchen nicht
abschlagen; und so kam Katharina in die Naͤhe
des groͤßten Mannes seiner Zeit. Hier hatte sie
nun noch weit mehr Gelegenheit, ihre herrlichen
Eizenschaften zu entfalten, und so geschah es
denn, daß der Beherrscher eines sehr groͤßen
Reiches sich mit der gewesenen Braut eines feind⸗
lichen Feldwebels in der Stille trauen ließ.
Katharina begleitete ihren erhabenen Gemal
nicht allein auf vielen seiner Reisen, sondern auch
fast in allen seinen Feldzuͤgen, und erwarb sich
sein Vertrauen in so hohem Grade, daß er sie
selbst in wichtigen Staats angelegenheiten zu Rathe
zog. Auch hatte sie auf sein Herz großen Einfluß.
Er ließ sich oft in Augenblicken seines ungestuͤmen
Zornes von ihr in die Schranken der Maͤßigung
Furückfuͤhren und gestand es offen, wie viel er
hrer Kugheit, Sanftmuth und einschmeichelnden
Ueberredungskunst verdanke.
Das Jahr 1711 war eines der merkwuͤrdigsten
im Leben Peter's des Großen und hatte auch auf
Katharinen den bedeutendsten Einfluß. Peter
—XEVV
den Tuͤrken an dem Flusse Pruth gaͤnzlich einge⸗
schlossen. Er, der Schoͤpfer der Groͤße und
Macht seines Volkes, welches man bisher nur
zu den Barbaren gezaͤhlt hatte, sah alle seine
Schoͤpfungen gleichsam vernichtet und befarnd sich
in der augenscheinlichsten Gefahr, von den Tuͤrken
gefangen zu werden. Der Mangel in seiner Armee
war auf den hoͤchsten Grad gestiegen; man konnte
keine Lebensmittel bekommen, weil der Feind
uͤberall das ausgehungerte Heer umgab. Sich
durchzuschlagen, schien ein Schritt der Verzweif⸗
luna, und war mit der groͤßten Gefasr verbunden.
Der Untergang seines neuen Staates schien unver⸗
meidlich. Peler fuͤhlte das Schreckliche seiner Lage
vollkommen. Sein boher Geist, der ihn fonst
nie verließ, schien jezt von ihm gewichen zu seyn.
Er verdarg sich in sein einsames Zelt, und verbot
z8 auf's Strengste, iegend jemand vorzulassen.
Katharina allein hatte den Muth, sich zu ihm
zu draͤngen, sich vor ihm niederzuwerfen und ihn
mit Thraͤnen zu ditten, nicht an sich selbst zu
berzweifeln. Der Monarch ermannte sich endlich
und Katharina ersann ein Mittel, durch welches
sie den Czaar auf einmal aus seiner verzweifelten
dage zog. Sie gieg im russischen Lager umher,
ließ sich von allen Offizieren Geid, goldene Ringe
und was sie sonst Kostbares besaßen, einhaͤndi⸗
zen, legte ihren eignen Schmuck hinzu, und bestach
mit diesem bedeutenden Geschenk den Großvezir.
Dieser Mang liebte uüͤberhaupt den Krieg nicht;
verstand auch wenig von der Kriegskunst, und
zog es daher vor, unter gewissen Bedingungen,
welche Peter bei solcheu Unstaͤnden gern annaͤhm,
mit diesem Frieden zu schließen, worauf er sogar
das russische Heer mit Lebensmitteln versorgte.
Auf solche Weise wurde Peter durch den gluͤck⸗
lichen Einfall Katharinens geret'et, welcher er
bon dieser Zeit an das unbedingtesie Verirauen
schenkte, urd da er in der Folge nie Ursoche hatte,
ihr dasselbe wieder zu entzichen, so beschloß er,
derselben den glaͤnzendsten Beweis seiner Zunei⸗
gung zu geben. Er erklaͤrte Katharina oͤffentlich
fuͤr seine Gemalin und ließ sie am 18. Mui 1724
zu Mosk u als Kaiserin mit großer Feier ichkeit
kroͤnen. Peter starb im folgenden Jahre, worauf
Katharina, vornehmlich darch die Mitwirkung
Menzikoff's, die Nachfolgerin ihres großen Gemals
und unter dem Namen Katharina der Ersten
Beherrscherin eines der groͤßten und maͤchtigsten
Reiche wurde.
Karl Ludwig, Kurfuͤrst von der Pfalz, ver⸗
langte einst in seinen Angelegenheiten von mehreren
seiner vertrautesten Raͤthe besondere Gutachten.
Unter den eisgesendeten Schriften befand sich eine,
in welcher die Wabrheit mit einer an Daeistigkeit
grepzenden Freimuͤttigkeit gesagt wurde. Dlieses
GBGutachten gefiel dem Karfuͤrsten unter allen am
besten, und er fetzte den 4. Maͤrz 1678 mit eigner
Hand folgende Worte hinzu: „Pfalz hat das
Seriptum des Herrn N. gelesen und gefaͤllt Ihro
die Ration bei mehreren Punkten gar wohl. Denn
wenn man einem Kranken belfen will, so muß
man ihn da angreifen, wo die Krankbeit liegt.“