Offenheit ihres Charakters und ihre bezaudernde
Freundlichkeit gewannen das Herz der Probstin
gar bald, und so empfand es die kleine Katharina
auf keine Art, daß sie eine Waise sey. Sie that
daher auch, als ob sie zum Heuse gehoͤre, fuͤhrte
die Wirthschaft mit Eifer und Treue, und lernte
dabei ihre Schulwissenschaften mit ungemeinem
Fleiße. Dadurch machte sie sich bei ihren Pflege⸗
eltern in kurzer Zeit so beliebt, daß diese zwischen
ihr und den eigenen Kindern nicht den geringsten
Unterschied machten. Als Katharina zu reiferem
Verstande gelangte, sah sie sehr gut ein, wie vie!
sie ihren Pfiegeeitern zu verdanken habe, und that,
was ihrem Herzen viel Ehre macht, das ernstliche
Geluͤbde, auͤe ihre Kraͤfte anzuwenden, den guten
Pflegeeltern durch Gehorsam, Ehrfurcht, Treue
und steten Diensteifer ihre Dankharkeit thaͤtig zu
beweisen.Sie hielt auch redlich Wort. Denn als
nachher die Vorsehung sie auf eine so hohe Stufe
des Gluͤckes und irdischer Groͤße emporhob, ver—⸗
sorgte sie alle diejenigen reichlich, die nur einiger—
maßen mit ihren Erziehern und Pflegern verwandt
waren; und auch ihren ersten Wohlthaͤter, den
braven Schulmeister zu Runghen, vergaß ihr dank—
bares Herz nicht, so kurze Zeit sie auch bei ihm
zugebracht hatte.
Ehe jedoch der artigen Katharine auch nur das
Geringste von ihrem kuͤnftigen Gluͤcke traͤumen
konnte, verdoppelte sich mit jedem Tage ihr Fleiß
in haͤuslichen Geschaͤften, und sie thaͤt es darin
allen anderen Kindern des Probstes zuvor. Dafuͤr
genoß sie aber auch die ganze Gegenliebe und Zaͤrt⸗
lichkeit ihrer Pflegeeltern mit jedem Tage in hoͤhe⸗
rem Grade. Als die schoͤne Waise das vierzehnte
Jahr zuruͤckgelegt hatte, besaß sie in allen weib—
lichen Kunstarbeiten die groͤßte Fertigkeit, verstand
die Hauswirthschaft vollkommen, und hatte dabei
ihren Geist eben so wenig als ihr Herz vernach⸗
laͤssigt. Ihre Schoͤnheit wurde durch Sittsamkeit,
ihre Artigkeit durch Bescheidenheit gehoben. Daher
war sie uͤberall, wo sie hinkam, gern gesehen und
galt wirklich in der ganzen Umgegend fuͤr das voll—
kommenste weibliche Wesen. So sah sie ein schwe⸗
discher Feldwebel, und der Wunsch wurde in ihm
rege, dieses liebenswuͤrdige Maͤdchen zur bestaͤn—
digen Gefaͤhrtin seines Lebens zu besitzen. Da er
nun ein Mann war, der in dem merkwuͤrdigen
Kriege, welchen Karl XII. von Schweden mit dem
Czaar von Rußland, Peter J., fuͤhrte, sich im
Dienste nie einer Nahlaͤssigkeit, in der Schlacht
nie der Feigheit und in der Garnison nie einer
Bedruͤckung des Buͤrgers schuldig gemacht, son⸗
dern das allgemeine Lob eines braven Kriegers und
redlichen Mannes hatte: so konnte Katharina nichts
gegen ihn einwenden, versicherte ihm aber, wie es
die Pflicht jedes rechtschaffenen Maͤdchens in einem
solchen Falle ist, daß sie ohne Einwilligung ihrer
Pflegeeltern, die sich so hoch verdient um sie ge⸗
macht haͤtten, Niemand in der Welt ihre Hand
versprechen werde. Dem Probst gefiel dieser Beweis
hres Verstandes und ihrer guten Gesinnung aller—
dings sehr wohl; auch halte er an und fuͤr sich
zegen den Mann nichts einzuwenden, desto mehr
aber gegen seinen Stand. Er hielt es raͤmlich,
nicht ohne Grund, fuͤr sehr bedenklich, bei der
großen Erbitterung, mit welcher beide Heere gegen
einander fochten, seine Pflegetechter an einen Kriegs⸗
mann zu verheirathen. Allein ein eigener Vorfall,
welcher sich damals zutrug, stimmte ihn zum Vor⸗
theil eben dieses Kriegsmannes voͤllig um. Es war
folgender.
Einige schwedische Soldaten hatten sich in einem
Wirthshause zu Marienburg betrunken und nicht
allein den Wirth um die Zeche betrogen, sondern
ihn auch noch uͤberdies mißhandelt. Katharinens
Braͤutigam war nun gerade zu der Zeit, als er
die Quartiere visitirte, vor dem Wirthshause vor⸗
hbeigekommen und hatte den Laͤrm gehoͤrt. Um den
zufgebrachten Wirth zu befriedigen, und zugleich
die schwedischen Soldaten von der Strafe zu be⸗
freien, die unter dem, strenge Mannszucht halten⸗
den Karl XII. gewiß sehr nachdruͤcklich gewesen
seyn wuͤrde, bewog ihn sein gutes Herz, die ganze
Zeche aus seinem Beutel zu bezahlen. Der Probst
Bluͤck erfuhr diese Handiung und schloß daraus,
daß der Feldwebel der rechtschaffene Mann wirklich
seyn muͤsse, fuͤr den er alggemein gehalten wurde.
Er glaudte, seine Pflegetochter werde mit ihm
zluͤck ich leben koͤnnen, und gab seine Einwilligung
zur Heirath. Alle Anstalten dazu wurden nun
gemacht; der Hochzeittag erschien, aber am Mor—
zen desselben mußte der Braͤutigam mit seinem
Regiment ploͤtzlich nach der Hauptstadt Lieflands,
Riga, aufbrechen. Katharina begleitete ihn dort—
hin, in der Hoffnung, daselbst mit ihm ehelich
verbunden zu werden. Aber, wider alles Erwarten,
erschienen noch an dem naͤmlichen Tage, an welchem
der Braͤutigam zu Riga eintraf, die Russen vor
dieser Stadt. Sie machten einen Sturm. Der
hwedische Feldwebel vertheidigte sich gegen den
stuͤrmenden Feind auf den Waͤllen Riga's und fand
dabei den Tod. Als die Stadt von den Russen
ringenommen war, zogen die pluͤndernden Soldalen
Katharinen aus einem Backofen, in welchen sie
se versteckt hatte, ohne ihr jedoch ein Leid zu zu⸗
uͤgen.
Sie hatte sogar Gelegenheit, zu entkommen,
und begad sich wieder zu dem Proͤbst Gluͤck nach
Marienburg. Dieser rechtschaffene Mann nebst
seiner Gattin, welche wegen des Schicksals ihrer
geliebten Pflegetochter sehr besorgt gewesen waren,
empfanden eine unaussprechliche Freude bei ihret
gluͤcklichen Ruͤckkehr und nahmen sie mit wahrer
elterlicher Zaͤrtlichkeit auf. Allein nach Veriauf
einiger Wochen kam der russische General Baͤuer
mit der feindlichen Armee auch vor Marienburg.