Full text: Kurhessischer Kalender // Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen (1836-1845)

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»der vielmehr sein eigener Tageloͤhner, d. h. 
er verdient sich das selbst, was er, wenn er kein 
Geschirr hielt und nicht selbst mit Hand anlegte, 
dem Ackermann und dem Tageloͤhner bezahlen muͤßte. 
Das ist nun zwar auch ein ganz guter Verdienst, 
wenn Alles gluͤckt, aber es ist ein viel gefaͤhrlicheres 
Unternehmen, als wenn man Tageloͤhner fuͤr andere 
ist. Und das verhaͤlt sich so: Wenn Du zwanzig 
Acker selbst bestellst, so mußt Du ein Haus mit 
Scheuer haben, das fast ebensoviel kostet, als wenn 
Du wierzig und sechszig Acker haͤttest, Du mußt 
Schiff und Geschirr haben wie ein anderer Bauer, 
und wenn Du vielleicht mit zwei Stuͤck Zugvieh 
auskommst, statt mit vieren, so geht darum auch alle 
Arbeit langsamer, und Du quaͤlst Dich das ganze 
Jahr an Deinen zwanzig Morgen vielleicht mehr 
als der Nachbar mit seinen sechszig, und wenn der 
Herbst kommt, dann hat er fuͤr dieselbe Muͤhe eine 
dreifache Ernte, waͤhrend Du kaum soviel verkaufen 
kannst, als noͤthig ist, um Deine Abgaben zu zahlen 
und den Schwmid und den Wagner zu befriedigen. 
So lange dabei Alles gluͤckt, schlaͤgt sich eine ordent— 
—D0 
?ommt aber ein Unfall, wie das in einer Reihe von 
Jahren nie ausbleibt, faͤllt ein Pferd, oder eine Kuh, 
krepiren die Schweine, giebt es eine Mißernte, oder 
ein Brandungluͤck; dann kann der Bauer, welcher 
eine reine Bodenrente von etwa 100 Thalern hat, 
noch immer Rath schaffen und durch Sparsamkeit 
sich halten, bis eine gute Ernte wieder Alles ersetzt; 
der kleine Geschirrhalter von etwa zwanzig Morgen 
kann aber einen solchen Verlust nur selten verschmerzen, 
er muß noch borgen, da er schon ohne Schuld kaum 
hestehen konnte, faͤllt dann in die Haͤnde der Wucherer 
und ist nach einigen Jahren meist so weit, daß ihm 
Alles verkauft wird. 
Was soll der aber anfangen, wirst Du fragen, 
welcher nun einmal nicht mehr als zwanzig Acker 
besitzt? Der soll sein bischen Land seinem Bruder 
oder einem sonstigen tuͤchtigen Ackermann in Pacht 
geben, und lieber Schaͤfer oder Hirt oder Schneider 
oder Schuhmacher oder Tageloͤhner werden; dann 
hat er sein sicheres Pachtgeld, vielleicht auch ein 
eigenes Haͤuschen und lebt sorgenfreier und besser, als 
ein Bauer ohne hinreichendes Ackerland und laͤuft keine 
Gefahr, bei dem geringsten Unfall auch noch das 
Wenige, was er hat, einzubuͤßen. Und Ihr Vaͤter, 
die Ihr Euer maͤßiges Einkommen von Eurem Gute 
habt, wenn Euch der Himmel mit Kindern gesegnet 
hat, dann sorgt nur bei Zeiten dafuͤr, daß nicht alle 
Eure Soͤhne wieder Geschirrhalter werden wollen, 
und daß sie sich etwa auf die Weise in das Gut 
theilen, wie in Hessen schon mehr vorgekommen ist, 
daß naͤmlich, wenn der Vater vier Pferde hatte, 
jeder Sohn deren zwei nahm und mit dem andern 
zusammenspannte, als wenn das Gut, welches bisher 
eine Familie nothduͤrftig ernaͤhrte, von nun an deren 
wei erhalten koͤnnte? Was wuͤrdet Ihr von einem 
Nuͤller sagen, der dem einen Sohn den Muͤhlenstein 
gjaͤbe und dem anderen das Muͤhlenrad, damit sie doch 
heide Muͤller bleiben koͤnnten? Ihr wuͤrdet glauben, 
der Mann habe seinen Verstand verloren! Nuͤn, wer 
Verstand hat, der wird auch ein einziges Gespann 
zicht theilen, damit zwei Soͤhne Ackerleute werden 
koͤnnen. 
Dasselbe gilt von einem groͤßeren Gut, wenn zu⸗ 
diel Schuld darauf haftet; dann zieht der Glaͤubiger 
die Bodenrente und dem sogenannten Eigenthuͤmer 
oleibt nichts, als was er mit seiner Hand verdient, oder 
wie wir oben fagten, die Arbeitsrente. Zu den 
Schulden, welche auf einem Gute haften, muß aber 
azuch der Aus zug gerechnet werden, welchen der Sohn 
oder der Schwiegersohn zu uͤbernehmen pflegt, wenn er 
bei Lebzeiten der Eltern das Gut annimmt. Daruͤber 
ist auch schon Mancher zu Grunde gegangen. 
Dieser Gegenstand ist jedoch so wichtig, daß der 
— 
denn jetzt muß erst noch der zweite Grund an⸗ 
zegeben werden, weshalb mancher wohlhabende Acker⸗ 
nann an den Bettelstab kommt, ohne zu wissen wie? 
Der besteht darin, daß gar Viele beim Ankauf 
von Laͤndereien nicht vorsichtig genug sind. 
Wenn naͤmlich das Viertel Korn 5 bis 6 Thaler 
kostet und es kommt ein Morgen Landes zum Ver—⸗ 
'auf, welcher 8 bis 4 Viertel Winterfrucht bringt, 
dann denken die Kaͤufer: der Acker traͤgt jetzt 16 bis 
20 Thaler ein, davon koͤnnen wir ein starkes Kapi⸗ 
tal verzinsen und behalten doch noch einen schoͤnen 
Bewinn uͤbrig. So bietet denn ein jeder frisch drauf 
os, und der Acker wird viel hoͤher bezahlt, als er 
verth ist. Fallen nun die Fruchtpreise wieder, wie 
das alle paar Jahre der Fall ist, so daß man das 
kKorn oft kaum fuͤr 8 Thaler zu Geld machen kann, 
zder es giebt Mißernten, so daß gar nichts zu ver⸗ 
zaufen ist, dann fressen die Schulden nicht allein das 
zekaufte Land, sondern nehmen das andere auch noch 
nit; denn in solchen Zeiten will dann Niemand kau⸗ 
en, und es kommt in Hessen gar oft vor, daß ein 
Srundstuͤck, welches fuͤr 100 Thaler gekauft ist, einige 
Jahre spaͤter kaum fuͤr 50 Thaler einen Kaͤufer findet 
und umgekehrt, daß eine Viertelhufe, die Niemand 
uͤr 800 Thaler haben wollte, nach einigen Jahren 
mit 600 Thalern bezahlt wird. 
Seht, das darf bei verstaͤndigen Leuten nicht vor⸗ 
kommen. Ein Ackermann, der seine Sache versteht, 
der rechnet niemals nach dem Fruchtpreise des lau⸗ 
fenden Jahres, sondern nach dem Durch⸗ 
schnittspreise, der in Niederhessen fuͤr das Korn 
hͤchstens zu vier Thalern, fuͤr die Hafer zu 13 Tha⸗ 
lern angenommen werden kann. Ob in dem Augen⸗ 
hlicke, wo der Kauf stattfindet, das Korn 8 Thaler 
»der 6 Thaler kostet, das macht fuͤr den verstaͤndigen 
Kaͤufer keinen Unterschied; denn der weiß, wenn die 
Preise hoch sind, daß sie bald wieder sinken werden,
	        
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