Was ist wohl die Ursache so mancher Zwangsversteigerungen
in Hessen?
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Wenn man die Provinzial-Wochenblaͤtter zur Hand
nimmt und darin so manche. Zwangsversteigerung
liest, wie deren darin bekannt gemacht werden, dann
moͤchte man wohl fragen, sind denn in Hessen so
viele nachlaͤssige, traͤge oder verschwenderische Leute,
welche sich lieber Hab' und Gut verkaufen lassen,
als dem Muͤssiggange und dem Wirthshause entsagen
wollen? Denn wenn so viele Menschen, die gar kein
Eigenthum haben, und die nur von ihrer Haͤnde Arbeit
leben muͤssen, keine Noth leiden, sondern sich und die
Ihrigen ehrlich ernaͤhren, dann sollte man denken, daß
die, welche von ihren Eltern Haus und Hof, oder auch
nur einige Acker Land ererbt haben, sich um so leichter
im Wohlstande erhalten koͤnnten! Ja, sagt Mancher,
daran find die vielen Abgaben der Bauern schuld!
Die Steuern zahlen aber die anderen Grundbesitzer
auch, und gehen darum doch nicht zu Grunde, und
alle uͤbrigen Äbgaben sind in den letzten zehn Jahren
durch die Abloͤsungen und durch die Landeskredit—
Kaffe bedeutend vermindert worden; denn seitdem ist
der Zinssuß von fuͤnf Procent durchgaͤngig auf vier
Procent gefallen, so daß alle Schuldner jaͤhrlich nur
vier Thaler zu zahlen haben, wo sie fruͤher fuͤnf
zahlen mußten. — Dann sind es wohl die schlechten
Zeiten? DieZeiten sind aber nicht schlecht. Wer
hat denn unseren Eltern und Voreltern dreißig Jahre
Frieden gegeben, wie wir jetzt seit 1814 gehabt haben,
und sind die Ernten im Allgemeinen nicht etwa
reichlich ausgefallen und die Fruchtpreise nicht durch⸗—
gaͤngig so, daß der Bauer dabei bestehen kann? —
Warum kommen nun aber so vjele Familien zuruͤck,
die doch arbeiten wie die andern, und verlieren zu—
letzt Haus und Hof, ohne daß sie besser leben oder
mehr durchhringen als ihre Nachbarn? Das will
ich Dir sagen, uͤeber Leser: das kommt hauptfsaͤchlich
von zwei Ursachen her.
Es versteht sich indeß von selbst, daß wir hier
nicht von Leuten sprechen, wie Dein Nachbar A...,
der in's Wirthshaus geht, statt an den Acker; oder
wie der Nachbar Bo.., der ewig Processe fuͤhrt,
und seine Zeit und sein Geld vor Amt verliert, auch
nicht von den Wuͤsten und Tollen, die ihr Vieh und
ihr Geschirr muthwillig ruiniren; warum diese und
aͤhnliche ihres Gelichters an den Bettelstab kom⸗
men, das kann ein jeder wissen, auch ohne in den
Kalender zu sehen. Hier reden wir nur von solchen
Familien, und deren giebt es doch auch, die sich das
Leben recht sauer werden lassen, die sparsam sind
und verstaͤndig, und die kaum so gut leben wie der
Tageloͤhner, der weder Land noch Geschirx hat, und
die dennoch zuruͤckkommen, so daß sie ihre Zinsen
auch bei dem besten Willen nicht aufbringen koͤnnen
und denen dann Alles verkauft wird. Solchen nun
will ich jetzt sagen, wo der Fehler liegt. Der liegt:
Erstens darin, daß sie entweder ein zu kleines
Werk uͤbernehmen, oder ein solches, auf dem zu
diel Schuld ruht.
Sehet, bei einem Ackergut muß man zweierlei
Bewinn oder Rente unterscheiden, einmal den Ge⸗
vinn, welchen der Eigenthuͤmer davon ziehen
zann, ohne daß er nur eine Hand dabei regt, wenn
er es naͤmlich verpachtet, und dann den Gewinn,
velchen auch der Pachter noch durch seiner Haͤnde
Arbeit daraus zieht; denn was dieser mehr aus seiner
Ernte loͤst, als das Pachtgeld und seine baaren Aus—
agen betragen, das ist der Gewinn seiner Arbeit,
da ihm ja der Grund und Boden gar nicht gehoͤrt.
Jenen Gewinn nennt man die Bodenrente, weil
nan sie mit dem Boden kauft und verkauft, diesen nennt
nan die Arbeitsrente, weil sie nur durch Arbeit
zewonnen werden kann. Und was gewinne ich mit
hiesen neuen Namen? Nur Geduld! Das wirst Du
chon sehen.
Wenn Du naͤmlich ein Gut, oder auch nur einen
Acker uͤbernimmst, so mußt Du vor allen Dingen
ermitteln, wieviel die Bodenrente betraͤgt, d. h.
zu wieyviel Du das Land sicher verpachten koͤnntest;
und wunn Du dann von dem Pachtgelde die Ab—
Jaben, den Verlust an schlechten Paͤchtern und, so⸗
ern ein Haus dabei ist, die Kosten fuͤr Unterhaltung
in Dach und Fach abgezogen hast, dann bleibt Dir
die Summe, welche Du als den sichern Ertrag des
Grundstuͤckes ansehen darfst. Ein Ackex, der hundert
Thaler kostet, wird bei uns in der Regel nicht über
bier Thaler reine Bodenrente liefern; wer also
von seinem Lande auch nur soviel reines Einkommen
im Jahre haben will, wie der Tageloͤhner in
reiner Fabrik, welcher woͤchentlich seine zwei Thaler
oerdient, der muß mindestens eine ganze Hufe
oon etwa 80 Morgen schuldenfrei besitzen — denn
n einer solchen stecken immer viele Laͤnder, von denen
der Acker noch keine 100 Thaler werth ist. Das
vußten unsere Vorfaͤhren recht gut, und darum
mußte eine Hufe ungetheilt bleiben. Nachdem man
sie aber in Haͤlften und Viertel getheilt hatte, da
war es freilich gar vielen Besitzern wuͤnschenswerth,
diese Viertel ganz zu zerschlagen. Wer jedoch klug
ist, der kauft die Viertel wieder zusammen und be—
dimmt, daß sie in der Familie ungetheilt bleiben.
Der Bauer nun, welcher weniger als hundert
Thaler reiner Bodenrente aus seinem Lande
zieht, der ist eigentlich nur sein eigener Paͤchter,