Full text: Kurhessischer Kalender // Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen (1836-1845)

34 
Seine Gesinnung ward uͤbrigens durch diese Be⸗ 
kehrung keineswegs friedfertiger. Um's Jahr 600 
aberzog er den Koͤnig von Burgund, einen Oheim 
ainec Gemahlin, mit Krieg und noͤthigte ihn zur 
Abtretung eines Theils seines Reiches. Darauf 
uchte er'an den Westgothen Streit. Vergebens be⸗ 
muͤhete sich deren Konig Alarich, jeden Vorwand 
zu Feindseligkeiten zu beseitigen. Ludwig versprach 
war Friede und Freundschaft zu halten, griff ihn 
Iber dennoch bald darauf an und toͤdtete ihn im 
Treffen mit? eigener Hand. Seinen Zweck erreichte 
er'aber nur halb; deun Alarich's Schwiegervater, 
der ostgothische Koͤnig Dieterich, welcher in Italien 
regierte, eilte mit einem Heere herbei, und brachte 
den Franken eine so empfindliche Niederlage bei, daß 
dieseiben nur einige Provinzen des westgothischen 
Reiches zu behaupten vermochten. Ludwig's Reich 
war durch alle diese Siege so groß geworden, daß 
er seine Residenz nach Paris verlegte, um mehr 
'm Mittelpunkte desselben zu seyn, seine Herrsch- 
sucht war jedoch noch immer nicht befriedigt; denn 
noch regietten drei fraͤnkische Koͤnige neben ihm. 
Auch sie mußten seinen Ranken unterliegen. Wir 
erzaͤhlen hier nur, wie er durch den— Untergang des 
Koͤngs Sigebert zu Koͤln das Hessenland an 
sich gebracht hat. Sigebert war durch eine in der 
Sclacht bei Zuͤlpich empfangene Wunde lahm ge⸗ 
worden und mochte deshalb bei seinen kriegslustigen, 
oder vielmehr-beuͤtebegierigen Franken keinen großen 
Anhang mehr haben. Ludwig gab daher dem Sohne 
desfelben an die Hand, sich der Regierung zu be⸗ 
maͤchtigen, und dieser Unmensch ließ seinen alten 
Bater, welcher Ludwig's Raͤnke ahnend sich nach 
Hessen fluͤchtete, unterwegs, waͤhrend er in seinem 
Zelte einen Mittagsschlaf hielt, durch einige Schurken 
ermorden. Nun raͤumte Ludwig aber auch den un⸗ 
natuͤrlichen Sohn durch Meuchelmoͤrder aus dem 
Wege und stellte sich bei dem Allen so unschuldig, 
daß ihn das Volk ohne Weiteres als Koͤnig an— 
rkannte. Auf aͤhnliche Weise eignete er sich die 
daͤnder der beiden anderen Koͤnige zu und hinterließ 
dann, bei seinem im Jahre 611 ersolgten Tode, das 
blutbefleckte Zepter seinen vier Soͤhnen. 
unsere Leser werden dabei gewiß die Frage auf—⸗ 
wverfen, was denn seine christlichen Lehrer zu solchen 
Thaten sagten? O! die waren ganz zufrieden mit 
hm, weil er das im Glaubensbekenntniß angedeutete 
Berhaͤliniß des Sohnes Gottes zum Vater mit den 
Worten der roͤmischen Kirche und nicht, wie 
die Westgothen, mit den Worten des Prie— 
sters Arius bekannte. Ja, der christliche 
Bischof, welcher uns die an Sigebert von ihm 
derübte Greuelthat umstaͤndlich uͤberliefert hat, findet 
sich dabei zu folgender Bemerkung veranlaßt: „So 
zab ihm Gott laͤglich seine Feinde in seine Hand 
ind vermehrte sein Reich, weil er mit rechtem 
Herzen vor ihm wandelte, und that, was 
wohlgefaͤllig war in seinen Augen.“ Sehet, 
so weit kann sich der Mensch verirren, wenn ihm 
der Buchstabe des Glaubensbekenntnisses mehr gilt 
als christliche Gesinnung 
Der Herr aber hat des Vaters Missethat um so 
trenger heimgesucht an dessen Kindern und Kindes— 
zindern; denn diesen, vererbte Ludwig mit dem 
zroßen Reiche auch seine Laͤndergier und seine Moid— 
ucht, so daß die Geschichte dieser Koͤnigsfamilie, 
velche von ihrem Stammvater Meroveus die 
nerovingische genannt wird, ein fast ununter—⸗ 
»rochenes Trauerspiel von Bruder-, Kinder- und 
Verwandtenmord darbietet, bis endlich, nach etwa 
wei Jahrhunderten, die Familie Karldes Großen 
zur Regierung kam und der letzte Sproͤßling Lud⸗ 
wig's im Kloster endete. 
Nach Ludwig's Tode ward nun das Reich unter dessen 
ier Soͤhne, und zwar nach den damaligen Ver— 
zaͤltnissen ziemlich gleich vertheilt; dem Umfange nach 
varen diese vier Theile aber sehr verschieden; denn 
das erste Loos umfaßte die saͤmmtlichen deutschen 
raͤnder der Franken, nicht nur diesseits des Rheins, 
ondern auch den Elsaß, die Moselgegenden und 
ie Niederlande, und ward durch den Ramen Austra⸗ 
ien oder Ostfrankenreich von den drei uͤbrigen 
deichen, welche alle zusammen Neustrien oder 
Neufrankenreich genannt wurden, unterschieden. 
Auf diese Weise ward fuͤr die welschen Laͤnder jenseits 
Fes Rheins der Name Frankreich uͤblich statt 
Zallien, und statt Austrasien sagte man spaͤte 
Deutschiand, waͤhrend der Name Frankenland 
ur fuͤr die Maingegenden beibehalten wurde. Freilich 
zam Deutschland und Frankreich noch oft unter 
Tinen Heirscher, aber im Inneren blieben sie doch 
getrennt, und Hessen, welches zum Ostfranken— 
reiche gehoͤrte, hatte mit den anderen drei Reichen 
wenig oder nichts mehr zu schaffen. 
Warum achtete man aber wohl die saͤmmtlichen 
deutschen Laͤnder Ludwig's, die doch viel groͤßet 
varen als das welsche Gebiet, welches er erobet! 
Jatte, fuͤr so gering, daß sie bei der Theilung nur 
cuͤr ein Viertel des ganzen Reiches galten? Dafuͤ 
assen sich drei Gruͤnde anfuͤhren: Erstens besaß 
der Koͤnig in den eroberten Laͤndern mehr Kron— 
Juͤter, als in dem urspruͤnglichen Frankenlande, denn 
Zei der Eroberung hatte er ja soviel fuͤr sich behalten 
zoͤnnen, als er nur wollte; zweilens zahlten die Ein—⸗ 
vohner in den eroberten Provinzen unstreitig meh 
As in Deutschland, wo dem Koͤnige nur gewiss 
Beschenke gegeben zu werden pflegten; und dritten⸗ 
vaten die Lander, welche die Roͤmer vorher inne 
zehabt hatten, viel mehr angebaut und bei weiten 
zeicher als die Laͤnder diesseits des Rheins, wo wn 
uind breit noch keine Stadt zu sehen war, wo m 
hon Handwerken und Kuͤnsten noch nichts wußte 
iberhaupt in Unwissenheit und Heidenthum versuns⸗ 
var. Dazu kam, daß die angesehensten und tuch
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.