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die Maͤßigkeits-Vereine.
Wenn der Einzelne sich selbst zu helfen vermag,
so thut er damit in der Regel am besten; auch ist er
ja in den meisten Anforderungen und Noͤthen des Lebens
zarauf augewiesen. Dadurch staͤrkt er seine Selbst—
staͤndigkeit und befestigt sein Vertrauen; indessen giebt
es auch wieder Falle genug, wo die inneren und
aͤußeren Mittel des Einzelnen nicht genuͤgen und wo
selbst der Wille des Einzelnen, einer Kraͤftigung,
einer Aufmunterung oder eines gemeinsam
gegeb men Seispiers zur Nachfolge bedarf.
Da thun sich denn die Menschen zusammen; sie
werden von einem Geiste durchdrungen und von
einem Zwecke beseelt; das aber geschieht vor Allem,
wenn allgemeine Noth da ist oder wenn das
Vorhandenseyn eines wahren Beduͤrfnisses erkannt
wird.
Unsere Zeit ist reich an Vereinen jeder Art;
man koͤnnte fast sagen, daß sie daran uͤberreich ist;
doch, wie dem nun sey, genug — unter die große Zahi
oon Vereinen, die da sind und die sich taͤglich mehren,
gehoͤren auch die Maͤßigkeits-Vereine, d. h. jene,
welche gegen eine Unmaͤßigkeit des Genusses starker
geistiger Getraͤnke oder namentlich gegen den des
Branntweins sich gebildet haben.
Wie man zu sagen pflegt, war gewiß „Noth am
Mann“, als sie sich bildeten und diese Noth muß
zugenommen haben, wenn man sieht und hoͤrt, wie
auch diese Vereine zunehmen. Die traurige Veran⸗
lassung oder das unabweisliche Beduͤrfniß zu ihrer
Bildung und Vermehrung gehoͤrt nicht der „alten
Welt“ an, — denn vor dreißig Jahren hat damit
die „neue Welt“, — haben die vereinigten
nordamerikanischen Staaten den Aufang
gemacht.
Dort, d. h. nicht unter den zur Zeit verhaͤltniß⸗
maͤßig wenigen Urein wohnern, sondern unter den
Europaͤern, deren Vorfahren vor etwa 260 Jahren
einwanderten, sah es in dieser Hinsicht truͤbe oder
trunken aus. Im Jahr 1810 wurden von einer da⸗
maligen Volksmenge von etwa 7,800,000 Seelen —
7239, 810 38, 865, 859 Gallonen d. h. circa 835,000
Casseler Ohm verzehrt, so daß auf jeden Saͤugling wie
auf jeden Greiß, auf jeden Knaben und auf jedes
Maͤdchen, auf jeden Mann und jede Frau etwa zehn
Maas jaͤhrlich kamen. Dabei blieb es indessen nicht;
die Unmaͤßigkeit nahm zu und im Jahre 1830 wurden
zwei und siebenzig Millionen Doppelmaas (Gallonen)
Toll- oder Todwasser im Lande verbraucht, was auf
jeden Einwohner, groß und klein, jung und alt —
im Verhaͤltniß damaliger Bevoͤlkerung (12886,920)
circa zwoͤlf Casseler Maas ausmacht.
Schon in 1814 berechnete man, daß in den ver—
einigten Staaten jaͤhrlich nicht weniger als 6000 Men—
schen in Folge dieses unmaͤßigen Genusses hinstarben;
in 1880 war die Zahl noch weit hoͤher und es wurde
dargethan, daß von allen begangenen Verbre—
chen *) vier Fuͤnftel, — von allen entstanm—
denen Verarmungen drei Viertel — und
von allen vorkommenden Geisteszerruüttun—
gen die Haͤlfte — ihre Schuld und Urfache in jene
Unmaͤßigkeit zu suchen haͤtten.
Solche Erscheinungen mußten aufmerksam machen:
man sah ein, daß nur durch gemeinsame Maasregeln
dem mehr und mehr um sich greifenden Uebel mi
Erfolg entgegen gewirkt werden koͤnne und dem Staat'
Massachufsetts (in 1840 mit einer Bevoͤlkerung
von 739,806 Seelen) gebuͤhrt die Ehre, den ersten
Maßigkeits-Verein im Jahr 1818 gestiftet zu
haben.
Die ersten Vereine waren blos gegen die Um
maͤßigkeit gerichtet; man fand aber, daß dadurch
der Zweck nicht erreicht wurde und so entstanden
dreizehn Jahre spaͤter — am 18. Februar 1826 — die
Gesellschaften, deren Mitglieder dem Genuß
des Branntweins gaͤnzlich entsagten. M
1835 zaͤhlte man in den verschtedenen Siaaten von
Nordamerika achttausend solcher Vereine; 4000
Brennereien waren eingegangen, 8000 Branntwein—⸗
handlungen aufgegeben, und um euch, liebe Freunde
einen schlagenden Beweis zu geben, daß dieses
Getraͤnk, welches selbst maͤßig genossen, weder naͤh⸗
rend noch staͤrkend genannt werden kann, auch bet
den schwersten koͤrperlichen Dienstverrich
tungen ganz entbehrlich ist, so genuͤge es⸗
wenn ihr wißt, daß zwoͤlfhundert amerikanische
Schiffe in See waren, von denen kein ein⸗
ziges Branntwein an Bord hatte. — Man
kann mit Zuverlaͤssigkeit annehmen, daß jetzt fuͤn!
Millionen Menschen (etwa der dritte Theil der
Bevoͤlkerung) in Amerika leben, die keinen Tropfen
tenes Getraͤnks mehr zu sich nehmen.
Die Maͤßigkeits-Vereine giengen nun, als man ihre
Ergebnisse kennen und wuͤrdigen lernte, in die „alt
Welt“ uͤber. Bei weitem nicht alle Laͤnder unseres
europaͤischenWelttheils sind von jener Krankheit en
griffen, aber da, wo es der Fall ist, da wo sich Beduͤrf
aiß und Nothwendigkeit aussprachen, da wurde jenen
Beispiel nachgeahmt und so traten aͤhnliche Vereine
nach und nach in Irland, Schottland, England,
in Schweden, aber auch in mehreren Theilen
Deutschlands auf.
In England, worauf, wie auf das amerikanische
Land hier und da mit besonderer Vorliebe hinge
wiesen zu werden pflegt, wurde vor kaum viet
Jahren (am 80. November 1837) im Parlamente
nachgewiesen, daß in England und Wales (daruntet
sind Irland und Schottland nicht begriffen) im Jahre
1807 etwa achtzehn Millionen Muaas, im Jahr
Amtliche Nachforschungen haben ergeben, daß von
etwa zweihundert Mordthaten, die 1831 in den
esnigten Staaten vorkamen (freilich eine arge Sum
an und fuͤr sich), kaum eine sich fand, bei der e
Trunkenheit nicht im Sviel gewesen sep.