Full text: Kurhessischer Kalender // Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen (1836-1845)

wie gesagt, keine Vereine je geben wird. Ihr 
aber, an die diese Worte zunaͤchst gerichtet sind, 
ihr, die ihr die Mehrzahl der Bevoͤlkerung uͤberall 
zusmacht, ihr werdet freilich der Krankheit einfache 
Mittel noch um so leichter entgegensetzen koͤnnen, je 
weniger sie nach Umstaͤnden uͤnd Vechaͤltniffen bei 
euch um sich gegriffen hat. 
Indeß unter euch ist sie auch und die Zeit mit 
ihren taͤglichen Beispielen, mit ihren außergewoͤhnlichen 
Erscheinungen, mit ihren Ueberschreitungen der lang— 
zewohnten Zahl- und Rechnungsweife mag wohl bei⸗ 
tragen, daß sie auch bei euch zunimmst. Darum 
aßt gegen sie empfohlen seyn, zu eurem Heil, zu dem 
der Eurigen, die jetzt noch um euch sind und die euch 
paͤter folgen werden: 
Maͤßigkeit und Maͤßigung in allem Thun und Treiben 
Schreitet vorwaͤrts in allem Guten und Ver⸗ 
taͤndigen; laßt euch belehren und bleibt hinter 
der Zeit nicht liegen; schafft und sorgt, damit 
eure Kin der wachsen und gedeihen in der Erkenntniß 
alles dessen, was einst ihre Zukunft, auch ohne aͤußere 
Sluͤcksguͤter sichert; laßi sie zunehmen im Glauben 
an das Ewige uͤnd im Wissendes Zeitlichen, 
und in Allem haltet fest an jeder ehrwuͤrdigen 
Sitte der Vaͤter, auf daß der Segen den Kindern 
oleibe. Stoͤrt die Ruhe nicht, die auf euren 
Feldern liegt, wenn ihr sie, bebaut von dem Fleiße 
urer Hand, am Abend verlasset; unterbrecht den 
Frieden nicht, der in euren Wohnungen gern 
oerweilt, und wenn in Folge einer herrscheüden ün— 
naͤßigkeit an Wuͤnschen und Geluͤsten so wie 
in That und Handlung die gediegenste Stuͤtze des 
Mannes — der Karakter, d. h. die Festigkeit 
seines Wollens und Thuns, so vielfach unter⸗ 
Fraben wird oder sich selbst untergraͤbt; so laßt euch 
Freunde! berufen und auserwaͤhlt seyn zur Er— 
haltung der Maͤßigkeit und der Maͤßigung. 
Fahrt dadurch fort, den Kern zu bilden und zu 
pflegen und vor Faͤulniß und vor Unfruchtbarkeit zu 
bewahren, den Kern, um den sich alles Erhal— 
en de im Staate legt. Irret nicht und noch weniger 
laßt euch irre machen; bleibt in den Grenzen, die 
euren Frieden bewachen, wie einst das Schwert des 
Lherubs es that, so lange als noch nicht durch die 
Geluͤste der innere Friede gestoͤrt war; seyd maͤßig, 
bleibt treu jeder ehrwuͤrdigen Sitte déer 
Vater und dazu erzieht eure'Kinder. 
Und zu der Maͤßigkeit im Wuͤnschen und Wollen, 
im Streben und Begehren, in Neigung und Richtung, 
im Handeln und Wandeln gehoͤrt 
2. 
Die Maͤßigkeit in all und jeder Befriedigung 
sinnlicher Genuͤsse. 
Wer den Genuß, den wir den Sinnen verdanken, 
ohne weiteres verkuͤmmern oder gar verdammen 
will, der handelt Unredlich, denn er handelt gegen di 
eigene Ueberzeugung; er haͤndelt heuchle risch, dem 
gar oft, wenn auch freilich nicht im offenen Leben, 
handelt er gegen sein eignes Beispiel; ja, man kann 
sagen, er handelt gottlos, da er sich anmaßt, den 
Gebrauch und den Genuß sinnlicher Empfindungen 
und Gefuͤhle, die ein allweiser und ein allguͤtiger 
Gott uns gab und womit er das Leben des Weltale 
ausstattete, verurtheilen zu wollen. 
Wo keine Freude, da ist kein Friedez7 
wo keine Lust, da ist's hohl und kodt inde 
Brust. Aber, welcher Unterschied ist zwischen Genuf 
und Uebersaͤttigung, zwischen Gebrauch und Miß— 
brauch! Wenn das Erstere begluͤcken und zufrieden 
machen kann; so fuͤhrt das Andere in der Regel zun 
Angluͤck und Verderben; die Lust wird Unlust, de 
Friede wird Unfriede und die Freude zum Leid. — 
Und die Lehren und Mahnungen, die Aufforderunger 
und Ermunterungen, deren setzt so viel gegeben um 
verbreitet werden; sie haben ihren Grund und ihr 
Veranlassung in dem 
Uebermaß des sinnlichen Genusses, 
dem eine große und fast eine Mehrzahl sich in unsen 
Tagen ergiebt. 
Die Zahl solcher Genuͤsse ist groß, aber vor Alle 
muͤssen wir doch den Genuß jener geistigen Ge 
traͤnke herausheben, die den Koͤrper zerftoͤrer 
und die Seele mittoͤdten. 
Von starken Getraͤnken ist zu allen Zeiten gesprochen 
vor deren Genuß gewarnt und die unselige Wirkung 
namentlich jedes Uebermaases geschildert worden 
„Stark Getraͤnk macht wild und wer dazr 
„Lust hat, wird nimmer weise; so spricht de 
koͤnigliche Sprecher und Prediger und Saͤn 
ger: Sp, Salomons Kap. 20, V. 1. —Dameal 
war freilich wohl nur von Wein die Redez ader hiet 
und in unseren Tagen spricht es sich von einem ande' 
ren Getraͤnk, das mehr wie stark, das zer— 
stoͤrend und verheerend ist. 
Es ist kein natuͤrliches Gewaͤchs, denn dit 
Sonne kocht es nicht und heiter und froͤhlich laͤßt sic 
auch nicht bei ihm seyn, wie noch weniger bei in 
bleiben; eine kuͤnstliche Bereitung bringt 
hervor aus Stoffen, die wie alle Naturstoffe eben so 
gut zum Besten wie zum Schlechtesten dienen, ebn 
so gut Gift wie Heilung in sich bergen koͤnnen; 
gehoͤrt, wie wohl zu verstehen ist, dieses Getraͤn 
urspruͤnglich zu einem Heilsamen. 
Aber seht, Freunde! wie AÄlles ausartet, wie es zun 
Unheil dient und verrufen werden muß, we 
Mißbrauch oder Uebermaß dabei vorherrschn 
so ist auch das Lebenswafser, wie man es einn 
nanute, das Wasser oder vielmehr der Geist, den di 
Araber( unsen Lehrer in der Arzneikunde) darau 
zogen, zum Todtwasser geworden. 4q⸗ 
Die — in —ia, die Si 
den, nennen es Tollwafser und die Malaie
	        
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