Partei dort wieder empor. Noch gefaͤhrlicher schien es
aber fuͤr die Freiheit Deutschlands zu werden, als ums
Jahr 80 der cheruskische Fuͤrst Chariomer ein offenes
Freundschaftsbuͤndniß mit den Roͤmern schloß. Da
vertrieben die Chatten den Roͤmerfreund, der nun
bei dem damaligen Kaiser Domitian vergebens Huͤlfe
suchte, und seitdem erscheinen sie als das maͤchtigste
Volk im westlichen Deutschland, bis sie ums Jahr 890
im Bunde der Franken auftreten. Dadurch kam ihr
besonderer Stammname, wie fruͤher zur Zeit des
suevischen Bundes, allmaͤhlig in Abgang, und nach
dem Jahre 455 verschwindet der Name Chatten
ganz und gar. Von den spaͤtern Schriftstellern, die
keine Roͤmer mehr waren und sich wohl genauer nach
der bei den Deutschen uͤblichen Aussprache richteten,
werden sie Hessen genannt, welchen Namen wir
nun noch immer tragen.
Zum Schlusse stehe hier die Schilderung, welche
einer der ausgezeichnetsten roͤmischen Geschichtschreiber,
Namens Tacitus, ums Jahr 100 nach Christi
Geburt seinen Landsleuten von dem Chattenlande und
dessen Bewohnern gemacht hat. „Die Wohnsitze der
Chatten, so erzaͤhlt er, beginnen mit dem herzini—
schen ) Walde und endigen auch in demselben. Sie
sind nicht so eben und sumpfig, wie viele andere
Gegenden Deutschlands, sondern bald mehr bald
weniger huͤgelig. Das Volk ist stark gebaut, hat
kraͤftige Glieder, einen drohenden Blick und noch mehr
Muth. Auch sind sie, soviel man von Deutschen er⸗
warten kann **) klug und einsichtsvoll. Zu Anfuͤhrern
waͤhlen sie die Tuͤchtigsten und gehorchen ihnen dann.
Sie kaͤmpfen in Reihe und Glied, passen die Gelegen⸗
heit ab, verschieben den Angriff, stellen sich am Tage
nach den Umstaͤnden auf und verschanzen sich bei
Nacht; sie verlassen sich wenig aufs Gluͤck, am meisten
auf ihre Tapferkeit, und, was sehr selten ist und nur
durch gute Kriegszucht erreichbar, sie zaͤhlen mehr auf
den Feldherrn als auf das Heer. Ihre Hauptftaͤrke
besteht im Fußvolk, welches außer den Waffen auch
noch Eisengeraͤthe und Lebensmittel zu tragen hat.
Andere Voͤlker eilen nur zur Schlacht, die Chatten
fuͤhren Krieg; Streifzuͤge und zufaͤllige Gefechte
ommen bei ihnen selten vor. Auch ist das mehr eine
Sigenthuͤmlichkeit berittener Voͤlker, schnell zu siegen
und schnell zu fliehen. Die Schnelligkeit ist aber
meist eine Begleiterin der Furcht, zur Bedachtsamkeit
gehoͤrt standhafter Muth. — Eine Sitte, die bei den
andern deutschen Voͤlkerschaften nur selten vorkommt
und zwar nur bei einzelnen Muthigen, ist bei den
Chatten allgemein herrschend geworden: alle jungen
Maͤnner lassen naͤmlich Haupthaar und Bart wachsen,
* Harz oder Hardt bedeutet im Deutschen eigentlich „Wald“
und darum heißen im Hessischen noch heutigen Tages so
viele Waldstrecken die Hardt. Tacitus meint hier die
Gegend vom Vogelsberg bis zum Harz.
Die Roͤmer betrachteten damals unsere Voreltern etwa
wie wir jetzt die halbwilden Volksstaͤmme in Amerika.
his sie den ersten Feind erlegt haben. Nach vollbrach
ter blutiger Waffenthat enthüͤllen sie dann das Gefich
und glauben erst nun ihre Schuld fuͤr die muͤtterliche
Pflege abgetragen zu haben, ihres Vaterlandes und
hrer Eltern wuͤrdig zu sein. Wer nicht in den Krieg
ieht oder feige ist, der behaͤlt das haͤßliche Ansehen
ein Leben lang. Außerdem tragen die Tapfersten
einen eisernen Ring, was bei ihnen ein schimpfliches
Abzeichen ist, gewissermaßen eine Fessel, die sich nur
durch die Erlegung eines Feindes loͤst. Viele Chatten
ragen einen solchen Ring aus Wohlgefallen bis sie
alt 'und grau werden, und stehen deßhalb bei Freund
und Feind in hoher Achtung; sie beginnen eine jede
Schlacht und stehen immer in der ersten Linie, wa
⸗inen ungewoͤhnlichen Anblick darbietet, denn selbs
m Frieden haben diese Maͤnner stets ein kriegerisches
rotziges Ansehen. Keiner von ihnen hat Haus und
Hof oder irgend eine wirthschaftliche Sorge. Zu wem
sie kommen, der versieht sie mit dem noͤthigen Lebens⸗
zedarf; so zehren sie von fremdem Gut und achten
das eigene nicht, bis ihnen endlich die Entkraͤftung
des Auͤers einen so harten Kriegsdienst nicht mehr
gestattet.“
Nach dieser Schilderung darf es uns freilich nicht
befremden, daß uͤnsere Vorfahren in unaufhoͤrliche
Kriege verwickelt waren, entweder mit ihren Nach⸗
barn selbst, oder in Verbindung mit diesen gegen
taͤrkere Feinde, die von außen drohten. Auf den
Krieg war ja ihre Lebensweise fast ausschließlich be—
technet, und vielleicht verdanken wir es auch nur dieset
Besinnung, daß sie unter so vielen und so heftigen
Stuͤrmen ihre Freiheit und Unabhaͤngigkeit fo viele
Jahrhunderte hindurch gluͤcklich behaupten konnten.
Ihre sonstige Lebensart, ihre Sitten und Gebraͤuche
varen fast dieselben, wie bei allen deutschen Voͤlkerschaf⸗
den jener Zeit. Sie bewohnten weder Staͤdte noch
zeschlossene Ortschaften, sondern einzelne Hoͤfe, oder
zuch Doͤrfer, in denen jedoch jedes Haus von einem
reien Platze umgeben war. Man baute weder mit
Steinen, noch hatte man Ziegeln: Holz, Lehm und
Stroh waren, wie noch jetzt in manchen Gegenden
Deutschlands, das uͤbliche Baumaterial; auch bemalte
nan die Haͤuser schon damals hin und wieder mit
»unten Erdfarben. Dennoch fanden die Roͤmer *) die
Wohnungen der Deutschen weder schoͤn noch bequem,
und wunderten sich, daß man in Deutschland, „unterir⸗
zische Hoͤhlen“ grabe und mit Mist bedecke, um im
Winter zu Aufbewahrung der Vorraͤthe, und selbst
zei strenger Kaͤtte zum Zufluchtsort fuͤr die Menschen
zu dienen.
Jedes Dorf hatte seine Feldmark, deren Groͤße zu
der Anzahl der Einwohner im Verhaͤltniß stand. Die
einzelnen Laͤndereien waren aber nach dem verschiedenen
Stand und dem Ansehen eines jeden unter die Ein⸗
) Diese Beschreibung ist ebenfalls fast woͤrtlich dem genann
ten roͤmischen Geschichtschreiber entlehnt.
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