Full text: Kurhessischer Kalender // Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen (1836-1845)

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Seite des Papiers gegen die Hand hineinlag, 
die aͤußere Seite aber war mit Teich bestrichen, 
daß er im Vorbeigehen die Schrift nur an die 
Thuͤre haͤtte druͤcken duͤrfen. Als sie aber den 
Bedienten des Amtsschreibers vor der Thuͤre 
sitzen sahen, und alle Leute kannten den Stoffel, 
aber nicht alle Leute kannte der Stoffel. „Ei 
guten Abend“ sagte der eine, „was schafft Er 
guts hier Herr Hanstoffel, was gilts, Er kann 
nicht hinein,“ da erzaͤhlte er ihnen, warum er 
da sitzen muͤsse, und bis wann, und wie ihm 
bereits die Zeit so lang sei, und es komme doch 
niemand. Ei“ sagte der eine, „die Lichter im 
Staͤdtlein sind ausgeloͤscht, und die Wirthshaͤuser 
sind leer, und wir zwei sind die letzten, die 
heimgehen. Also gehe er in Gottes Namen ins 
Beit.“ Der andere aber, der das Papier in der 
flachen Hand hatte, schlag ihm im Fortgehen sanft 
und freundlich die Hand auf den Ruͤcken, daß das 
Papier am Rocke haͤngen blieb, und sagte: „Gute 
Nacht Herr Hanstoffel, schlaf Er wohl uEbenfalls, 
fagte der Stoͤffel, und als sie um die Ecke herum 
vwaren, kraͤhte einer von ihnen zweimal, wie ein 
Hahn. Also brachte der Stoffel dem Amtsschrei⸗ 
her die Pasquille selber auf dem Ruͤcken in die 
Stube, und der Herr Amtsschreiber pruͤgelte zwar 
den Stoffel im Zimmer herum, und schlug bei 
dem Ausholen ein Paar Spiegel entzwei, aber 
den Schimpf, den Schaden und Zorn mußte 
er an sich selber haben, und brachte nichts her⸗ 
aus. Denn die zwei Spaßvoͤgel sagten: „der 
Kluͤgste giebt nach. Jetzt wollen wirs aufgeben, 
sonst moͤchten wer doch noch am Eade ins Kuͤhle 
gebracht werden,“ und jedermann, der davon 
erfuhr, lachte den Amtsschreiber aus. 
Merke: Der Köoͤnig von Preußen hat sich in 
diesem Stuͤcke kluͤger betragen, als der Herr 
Amtsschreiber von Brassenheim. 
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Eintraͤglicher Raͤthselhandel. 
(Ebenfalls nach Hebel.) 
Von Mainz fuhren elf Personen in einem Schiffe, 
das mit allen Bequemlichkeiten versehen war, den 
Rhein hinab. Ein Jude, der nach Bingen wollte, 
bekam die Erlaubniß, sich in einen Winkel zu 
setzen und auch mitzufahren, wenn er sich ruhig 
berbalten und dem Schiffer achtzehn Kreutzer 
Trinkgeld geben wolle. Nun klingelte es zwar, 
wenn der Jude an die Tasche schlug, allein es 
war nur noch ein Dreibatzenstuͤck darin; denn 
das andere war ein messingener Knopf. Dessen 
ungeachtet nahm er die Erlaubniß dankbar anu. 
Dehn er dachte: „Auf dem Wasser wird sich 
auch noch etwas erwerben lassen. Es ist ja schon 
maucher auf dem Rhein reich geworden.““ Im 
Anfaug war man sehr gespraͤchig und lustig; 
denn jeder hatte einen tuͤchtigen Abschied getrun— 
ken, und der Jude in seinem Winkel und mit 
seinem Zwergsack, den er ja nicht ablegte, auf 
der Schulter mußte viel leiden, wie mans manch⸗ 
mal diesen keaten macht, und versuͤndiget sich 
daran. Als sie aber schon weit an Biberich und 
an Schierstein vorbei waren, und an Walluf, 
und in die Gegend von Erbach kamen, da wurde 
einer nach dem andern stille, und alle gaͤhnten 
und schauten den langen Rhein hinunter, bis 
wieder einer aufing: „Mauschel, weißt Du nichts, 
daß uns die Zeit vergeht? Deine Vaͤter muͤsfen 
doch auf allerlei gedacht haben in der langen 
Wuͤste!“ — Jetzt, dachte der Jude, ist es Zeit, 
das Schaͤflein zu scheeren, und schlug vor, man 
solle in der Reihe herum allerlei kuriose Fragen 
vorlegen, und er wolle mit Erlaubniß auch mit 
halten. Wer sie nicht beantworten kann, soll 
dem Aufgeber ein Zwoͤlf⸗-Kreutzerstuͤck bezahlen, 
wer sie gut beantwortet, soll einen Zwoͤlfer bekom⸗ 
men. Das war der ganzen Gesellschaft recht, 
und weil sie sich aa der Dummheit oder an dem 
Witz des Juden zu belustigen hofften, fragte 
jeder in den Tag hinein. So fragte z. B. der 
Erste: Wie viel weichgesottene Eier konnte der 
Riese Goliath nuͤchtern essen? Alle sagten, das 
sei nicht zu errathen und bezahlten ihre Zwoͤlfer. 
Ader der Jude sagte: „Eins, denn wer ein Ei 
zegessen hat, ißt das zweite nicht mehr nuͤchtern.“ 
Der Zwoͤlfer war gewonnen. 
Der Andere dachte: Wart Jude, ich will 
dich aus dem Neuen Testament fragen, so soll 
mir dein Dreibaͤtzner nicht entgehen. „Marum 
hat der Apostel Paulus den zweiten Brief an 
bie Corinther geschrieben?“ Der Jud sagte: 
„Er wird nicht bei ihnen gewesen sein, sonst haͤtt' 
z228 ihnen muͤndlich sagen koͤnnen.“ Wieder ein 
Zwoͤlfer. 
Als der Deritte sah', daß der Jud in der 
Bibel so gut beschlagen sei, fing er's auf eine 
andere Art an. „Wer muß sein Geschaͤft recht 
in die Laäͤnge ziehn, wenn er bei Zeiten fertig 
sein wil?“ Der Jud sagte: „Der Seiler.“ 
Der Vierte: „Wen bezahlt man noch da⸗ 
fuͤr, daß er einem was weiß macht?“ Der 
Jud sagte: „Den Bleicher.“ 
Unterdessen waren sie an Ingelheim vorbei—
	        
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