Full text: Kurhessischer Kalender // Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen (1836-1845)

Erstlich trinken sie morgens, wenn 
sie ufstehen, ein Glas kaltes Brunnen, 
wasser; das giebt gesundes Blut und vertreibt 
die boͤsen Folgen fruͤherer Unmaͤßigkeit. 
Zweitens trinken sie keinen Brann— 
tewein mehr, sondern legen täglich das 
Geld, welches sie sonst ins Wirthshaus 
schickten, in ein Schaͤchtelchen. 
Wenn sie nun taͤglich nur 8 Heller da hinein⸗ 
legen, so haben sie am Ende des Jahrs sieben 
Thaler 14 Ggr. 8 Hlr. Dafaͤr kodnnen sie 
sich dann eine Kaͤrolin einwechseln und behalten 
noch so viel uͤbrig, daß sie ihrer Frau und ihren 
Kindern ein schoͤnes Nemjahr kanfen koͤnnen. 
Wer ihrem Beispiel folgt, den wird es nicht 
gereuen!“ 
— — — — 
Dise Schmaͤhschrift. 
(Von Hebel.) 
Als bekanntlich eine Pas quille oder Schmaͤh⸗ 
schrift auf den Koͤnig Friedrich in Berlin an 
einem oͤffentlichen Platz angeheftet wurde und 
sein Kammerdiener ihm davon Anzeige machte: 
„Ihro Majestaͤt, es ist Ihnen heute Nacht eine 
Ehre widerfahren, das und das. Alles habe 
ich nicht lesen koͤnnen; denn die Schrift haͤng 
zu hoch. Aber was ich gelesen habe, ist nichto 
Gutes;“ da sagte der Koͤnig: „Ich befehle, daß 
man die Schrift tiefer hinabhaͤnge und eine Schild— 
wache dazu stelle, auf daß jedermann lesen kann, 
was es fuͤr ungezogene Leute gibt.“ Nach dei 
Hand geschah nichts mehr dergleichen. 
Nicht ebenso dachte der Amtsschreiber von 
Brafseaheim. Denn Brassenbeim ist ein Amts— 
staͤdtlein. Als ihm eines Morgens eine Pas— 
quille ins Haus gebracht wurde, die jemand mit 
Teig in der Nacht an die Hausthure gekleb 
hatte, wurde er ganz erbost und ungeberdig 
fluchte wie ein Tuͤrk im Haus berum und schlug 
der unschuldigen Katze ein Vein entzwei, daß 
die Frau Amteschreiberin ganz entruͤstet wurde 
und fragte: Bist du verruͤckt oder was fehlt dir? 
Der Amtsschreiber sagte: „da lies! du hast dein 
Theil auch darin.“ Als die losen Voͤgel, welche 
die Schandschrift angeklebt hatten, erfahres, 
daß der Herr Amtsschreiber also in Harnisch 
gerathen sei, hatten sie ihre große Freude daran 
und sagten: „Heutnacht thun wirs wieder.“ 
Den zweiten Morgen, als ihm die neue Schand— 
schrift gebracht wurde, und ein Rezept fuͤr lahm—⸗ 
geschlagene Katzen darin, ward er noch viel waͤ— 
thender, er entwarf einen zornigen Bericht dar— 
uͤber an den regierenden Grafen, ob er gleich 
niemand neunen konnte, und als er ihn miß eig— 
ner Hand ins Reine geschrieben hatte und den 
Sand darauf streuen«wollte, ergriff er in dem 
Eifer statt der Sandbuͤchse das Dinsenfaß und 
goß die Dinte uͤber den Bericht und uͤber die 
weißtuchenen Amtshosen. J 
Am Abend aber sagte er zu seinem Bedienten; 
Hanstoffel, vigilire heutnacht um das Haus berum 
bis der Hahn kraͤht, und wenn du den Schut 
ken erwischest, so bekommst du einen großen Tha⸗ 
ler Fanggeld. Ich will sehen, sagte er, ob ich 
mir soll auf der Nase herumtanzen lassen. 
Etwas nach elf Uhr kam der Stoffel von sei⸗ 
nem Posten herauf, und der Herr Amtsschreiber 
war auch noch auf, auf daß, wenn der Stoffel 
den Pasquillenmacher braͤchte, er ihn gleich auf 
frischer That mit der Hetzpeitsche bekomplimen⸗ 
tiren koͤnne „Herr Amtsschreiber “, sagte der 
Stoffel, „ich will nur melben, daß heute Nacht 
nichts passirt ist, wenn sie mir erlauben jetzt 
ins Bett zu gehen. Alle vichter im Stoͤstlein 
sind ausgeloͤscht, die Wirthshaͤuser sind leer, die 
zwei letzten sind nach Haus gegangen, und des 
Wagner Mattheisen Haͤhn haͤt zweimal hinter— 
einander gekraͤht, es wird wohl morgen auch 
wieder regnen.“ Da fuhr ihn der Amtsschreiber 
wie ein betrunkener Heide an: „dummes Vieh, 
auf der Stelle begieb dich auf deinen Posten, 
bis der Tag aufgeht, oder ich schlage dir das 
Gebirn im Leibe entzwei,“ sagte er im unver⸗ 
nuͤnftigen Zorn. Der geneigte Leser denkt „Was 
gilts, waͤhrend der Stoffel bei dem Amtsschrei⸗ 
ber war, ist die dritte Pasquille auch angepappt 
worden und wenn er herabkommt finder er sie 
jetzt.“ Nichts weniger. Sondern als der Stoffel 
im Fortgehen bereits an der Stubenthuͤr war, 
und der Amtsschreiber ihm noch einmal nachsah, 
„Hans Stoffel, rief er ibm, komm noch ein 
wenig daher!“ — Der Stoffel kam, „dreh dich 
um! Was hast du auf dem Ruͤcken?“Wills 
Gott keinen Galgen, sagte der Stoffel. „Nein, 
vermaledriter Dummkopf, aber wahrsmeinlich ein 
Pasquill.“— Wie gesagt, so errathen, der Sloffel 
trug das dritte Paequill bereits auf dem Ruͤden 
geklebt, und stanben darin noch viel muthwilligere 
Dinge, als in dem ersten und zweiten, und unler 
andern ein Recept, fuͤr Dinteflecke aus den Amts⸗ 
hosen zu bringen. Dies war so zuaegangen: 
Als der Stoffel noch vor dem Haus gesessen 
war, kamen zwei lose Gesellen heran, und einer 
von ihnen hatte schon die dritte Pasquille auf 
der flachen Hand liegen, also daß die beschriebene
	        
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