dadurch ihre beste Lebenskraft verlieren! O ihr
gewissenlosen Eltern! Soll ich Euch sagen, wie
es Euern dawien nach einigen Generationen
gehen wird? Gerade wie den Eingeborenen von
Nordamerika. Ihr kennt ja den großen Welt-
theil Amerika! Tausende wandern jaͤhrlich dahin,
und Tausendmaltausende finden noch immer Platz
um fich anzubauen. Warum ist das unermeßlich⸗
Land wohl so menschenleer? Ist es fruͤher nie
bewohnt gewesen? Allerdings! Vor anderthalb—
hundert Jahren war es noch bevoͤlkert von einem
Meere bis zum andern, und Hunderte von kraͤf—
tigen Nationen hatten es unter sich vertheilt.
Wollt ihr nun wissen wo die hingekommen find?
Sie sind von der Erde vertilgt! Und zwar nich!
etwa durch langjaͤhrige Kriege aufgerieben, oder
im gemeinsamen Kampfe fuͤr Freiheit und Vater.
land untergegangen, sondern sie sind — allm aͤ h⸗
lig durch den Branntewein vernichte
worden. Die Brannteweinspest hat sie ergrif—
fen, hat sie entnervt, hat sie zum Vieh erniedrig
und zugleich geistig und koͤrperlich zu Grunde
gerichtet. Sie haben von dem Lande ihrer Vaͤter
ein Stuͤck nach dem andern fuͤr Branntewein
verkauft, haben sich von Jahr zu Jahr enger zu—
sammengedraͤngt, und schon sind so viele Natio—
nen ganz untergegangen daß auf Strecken von
hundert und hundert Meilen kein Eingeborener
mehr zu sehen ist. Ebenso wird es Euern Fa—
milien gehen, Ihr Brannteweintrinker! Ihr bringt
Euch und die Euern um Hab' und Gut, ruinirt
Euere Gesundheit und floͤßt schon Euern Kindern
das boͤse Gift ein, durch welches sie alle Lusi
und alle Kraft zur Arbeit verlieren, und dann
geht Ihr insgesammt unter in Schmutz und Ar⸗
muth, in Schimpf und Schande, und die maͤßi—
gen Familien, die jetzt Wasser trinken statt Brann⸗
teweins, die werden, ehe bundert Jahre vergehen,
statt Euerer das Land besitzen.
Ich habe drittens behauptet: der Brann—
tewein verdirbt auch die Seele in
die Hoͤlle.
Ein jeder Rausch ist dem Geiste und Koͤrper
nachtheilig, aber im Brannteweinsrausche liegt
sogar etwas satanisches. Der Schnaps regt
im Menschen alle schlechten Begierden und Lei—
denschaften auf. Der in Schnaps Besoffene
ist zaͤnkisch, boshaft, rachsuͤchtig und blut—
gierig. Geht einmal in die Gefaͤngnisse wo
Mord und Todtschlag, Gewalt und Nothzucht,
und alle Arten von groben Verbrechen verbuͤßt
werden, und erkundigt Euch, wer der Verfuͤhrer
dieser Ungluͤcklichen gewesen ist? Man wird Euch
sagen: der Branntewein. Fragt die Unter—
suchungsrichter, und ihr werdet hoͤren, daß der
Branntewein fast in allen Protokollen wo nicht
als Anstifter und Urheber, doch gewiß als Theil—
nehmer und Aufhetzer vorkommt. Alle uͤbrigen
Mitschuldegen werden alsbald eingezogen, ver—
urtheilt und eingesperrt; an diesem Erzverfuͤhrer
hat sich aber leider noch kein Gericht vergreifen
wollen!
Eine gluͤckliche Ehe ist der Himmel auf Er—⸗
den; aber der Branntewein versteht es, die Ehe
zur Hoͤlle zu machen. Hoͤrst du das Schimpfen
in jenem Hause? Auf die Schdimpfworte folgen
Stoͤße und Schlaͤge, das Fenster oͤffnet sich, und
Toͤpfe, Glaͤser und Moͤbel stuͤrzen in Stuͤcken
auf die Straße. Sind etwa Banditen in das
Haus gerathen? O nein! Es ist der Hausvater;
er kam eben taumelnd aus dem Wirthshause!
Die Kinder verkrochen sich; die Mutter weinte
und jammerte, und bat, er solle ihr fuͤr die
Kinder wenigstens ein Stuͤckchen Brod lassen,
wenn er auch das uͤbrige Geld durchaus ins
Wirthshaus tragen wolle. Da kam der hoͤllische
Geist des Brannteweins uͤber den Mann, er
schaͤumte vor Wuth, schrie wie ein Besesfener
und warf den naͤchsten Stuhl nach dem Kopfe
der Frau, die glücklicherweise sich schnell aus
dem Zimmer zu retten wußte. Nun mußten die
Geraͤthschaften herhalten; mit eigner Hand schleu⸗
derte er Stuͤck vor Stuͤck in Truͤmmern zum
Fenster hinaus. — Das ist das treue Bild der
Battenliebe, der Kinderzucht und des haͤuslichen
Gluͤckes der Brannteweintrinker; und ihre Zahl
ist leider an jedem Orte Legion.
Und nun behaupte ich sogar viertens: der
Menschkann den Branntewein ganz
entbehren, und wenn er sich auch
schhon daran gewoͤhnt hat, kann er
ihm doch ohne Weiteres entfagen
und wird sich wohl dabeibefinden.
Den Beweis davon liefere ich folgendermaßen:
Die Bereitung des Brannteweins ist erst vor
ungefaͤhr 300 Jahren erfunden, und blieb noch
lange Jahre ein Apothekergeheimniß. Die Welt
hat also sechsthalbtausend Jahre ohne Brannte—
wein bestanden, und es wuͤrde jetzt gewiß viel
besser in derselben aussehen, wenn diese Berei⸗
tung noch immer ein Apothekergeheimniß waͤre;
denn eigentlich ist der Branntewein nur ein Arz⸗
neimittel und kein Nahrungsmittel, und wohl
dem Manne, der ihn nur in seltenen Faͤllen als
Arznei gebraucht. Von den bewunderungswuͤr⸗
digen Thaten und Unternehmungen, welche die
alten Voͤlker ohne Brauntewein ausgefuͤbrt haben,
will ich gar nicht reden, da die Werke unserer
deutschen Vorfahren hinlaͤnglich beweisen, was
man ohne Branntewein ausrichten kann. Die
alten festen Mauern, die unvergaͤnglicher sind
als der natuͤrliche Stein, sind aufgefuͤhrt wor⸗
den ehe es Branntewein gab; die fschoͤnsten
und herrlichsten Kirchen in Deutschland, weiche