Full text: Kurhessischer Kalender // Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen (1836-1845)

Hans Schnaps. 
In Kurhessen lebt ein armer Mann, Namens Kurt, 
der vor nicht gar langer Zeit noch in bluͤhendem 
Wohlstande war. Er besaß einen schoͤnen Bauern⸗ 
hof, den er mit vier Pferden bestellte, und eine 
junge muntere Frau, die ihm bereits drei gesunde 
Kinder geboren hatte, machte ihn zu einem der 
gluͤcklichsten Maͤnner im Dorfe. Der Anfang war 
zwar auch ihm, wie gewoͤhnlich, etwas schwer 
rarden, denn er hatte jedem seiner beiden 
zeschwister ein nicht unbedeutendes Erbtheil her⸗ 
auszahlen muͤssen, aber seine Frau war nicht ganz 
ohne Vermoͤgen gewesen, und, was noch weit 
mehr werth ist, sie war eine tuͤchtige Hausfrau. 
Einen Theil seiner Schuld hatte er daher alsbald 
lilgen köͤnnen, und von der uͤbrigen wurde jedes 
Jahr etwas abgetragen, so daß sich die beiden 
jungen Leute schon darauf freueten, in Kurzem 
zanz schuldenfrei zu seyn. — Da ward er einst 
bon seinem Gevatter im naͤchsten Dorfe zur Kir⸗ 
mes geladen. Bei dem gings hoch her, denn er 
hatte viele Gaͤste, und Kurt fand auch manchen 
zuten Bekannten darunter. Nur eins war ihm 
unangenehm, er traf naͤmlich auch einen Gast, 
der in keinem guten Rufe stand, von dessen schlech⸗ 
ten und boshaften Streichen man sich uͤberall 
diel zu erzaͤhlen wußte, und dem Kurt's ver⸗ 
storbener Vater den Eintritt in sein Haus ganz 
untersagt hatte, weil er schon damals einen bra⸗ 
ben Mann durch seine Verfuͤhrungskuͤnste an den 
Bettelstab gebracht hatte. Und dieser Gast, 
Namens Hans Schnaps, schien bei dem 
Herrn Gevatter fast ganz wie zu Hause zu seyn. 
Haͤtte Kurt das vorher gewußt, so waͤre er viel⸗ 
leicht gar nicht hingegangen, doch nun konnte 
er ihm nicht mehr ausweichen; inzwischen nahm 
er sich vor, recht auf seiner Hut zu seyn, um 
ja nicht etwa mit dem rohen zaͤnkischen Manne 
Haͤndel zu bekommen. — Zu seinem nicht gerin⸗ 
gen Erstauen fand er jedoch, daß dieser gefuͤrch⸗ 
tete Gast hier weder so heftig noch so zanksuͤch⸗ 
tig war, wie man ihm denselben immer geschil— 
dert hatte, sondern daß er sich vielmehr so freund⸗ 
lich, scherzhaft und gespraͤchig benahm, daß Alle 
gestehen mußten, die drei Kirmestage haͤtten ihnen 
gewiß Langeweile gemacht, wenn Hans nicht dabei 
gewesen waͤre. — Kurt hatte lange so keine ver⸗ 
gnuͤgten Tage gehabt, und als er die Gesellschaft 
nun auch auf die Kirmes in seinem Dorfe lud, 
durfte natuͤrlich Hans Schnaps nicht vergessen 
werden. Bei diesem ersten Besuche benahm sich 
derselbe ebenfalls ganz manierlich; ja, als die 
andern Gaͤste abzogen, hatte er sich bei Kurt 
schon so einzuschmeicheln gewußt, daß dieser 
ihn noch laͤnger zu bleiben bat, wenn er den 
laͤndlichen Arbeiten ebensoviel Geschuack abzu⸗ 
gewinnen wisse,“ als den Kirmestagen. Das 
war Alles, was Hans Schnaps verlangte. Er 
ließ sich alle Bedingungen gefallen, und war 
gegen Jedermann so freundlich und so gefaͤllig— 
daß er bald der Liebling des ganzen Hauses 
wurde. Die Arbeit ging flinker, wenn Hans 
Schnaps dabei war, und kam ein Feiertag, 
so konnte man kaum noch die Zeit herumbringen, 
wenn er nicht die Grillen vertreiben balf, sogar 
behauptete Kurt, viel besser zu schlafen, wenn 
ihm Hans gehoͤrig gute Nacht gesagt hatte. 
Freilich merkte Kurt bald, daß sein neuer Gast 
keineswegs so wohlfeil sei, als er anfangs geglaubt 
hatte, denn hatte derseibe auch gerade nicht viele 
Beduͤrfnisse, so wußte er doch fuͤr jeden baaren 
Groschen, der eingenommen wurde, irgend ein 
Vergnugen in Vorschlag zu bringen. Die Gro⸗ 
schen⸗Esunahmen aus dem Haushbhalt fuͤr Milch, 
Butter und Kaͤse pflegten daher nicht mehr zu 
Thalern anzuwachsen, sondern es wurde sogar bei 
zroͤßern Einnahmen von verkauften Fruͤchten u. dgl. 
aoch mancher Thaler auf Hans Schnapsens 
Rath zu Groschen gemacht, und als das erste 
Jahr verflossen war, mußte ein fettes Schwein 
verkauft werden, das sonst in den Haushalt 
geschlachtet wurde, um nur die schuldigen Zinsen 
ju bezahlen. Vom Abtragen eines Tbeils des 
Kapitals war diesmal keine Rede. Fuͤr Kurts 
Frau war das ein rechter Kummer, er aber troͤ⸗ 
sete sie mit der Hoffnung, daß die Ernte im 
naͤchsten Jahr guͤnstiger sein werde, und was 
Haus Schnaps betreffe, dessen gaͤnzliche Ent⸗ 
fernung die Frau gern gesehen hätte, so meinte 
er, sie seien ja beide jung und wohlhabend, sie 
muͤßten ihr Leben noch ein Paar Jahre genießen, 
die Arbeit werde ihnen dann doch nicht geschenkt 
werden. 
Diese neue Lehre: daß man vor allen 
Dingen das Leben genießen und die 
Arbeit so lange als moͤglich aufschie⸗ 
ben muͤsse, hatte ihm der boshafte Hans bloß 
in der Absicht beigebracht, damit er ihn desto 
sicherer zu Grunde richten koͤnne; denn sobald 
Kurt statt des biblischen Ausspruches: „Im 
Schweißße deines Angesichts sollst du 
dein Brod essen“ diese Suͤndenlehre ange⸗ 
nommen hatte, so war auch seine Herrschaft im 
Hause verloren, und Hans Schnaps begann 
den Meister zu spielen. Bisher hatte derselbe 
wenigstens die ganze Woche fleißig mitgearbeitet 
aund nur Abends etwas fruͤher Feierabend gemacht, 
oder Sonntags irgend eine Tanzpartie veran⸗ 
staltet. Jetzt aber wußte er auch in der Woche
	        
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