Full text: Kurhessischer Kalender // Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen (1836-1845)

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machers Rappen, sonst schuͤttelt ihr den Lind⸗ 
wurm, und er beißt euch die Eingeweide ab, 
sieben Daͤrme auf einmal ganz entzwei. Fuͤr's 
Andere duͤrft ihr nicht mehr essen, als zweimal 
des Tages einen Teller voll Gemuͤse, Mittags 
An Bratwuͤrstlein dazu, und Nachts ein Ei, und 
am Morgen ein Fleischsuͤpplein mit Schnittlauch 
drauf. Was ihr mehr esset, davon wird nur 
der Lindwurm groͤßer, also daß er euch die Leber 
erdruͤckt, und der Schneider hat euch nimmer 
biel anzumessen, aber der Schreiner. Dieß ist 
mein Rath, und wenn ihr mir nicht folgt, so 
hoͤrt ihr im andern Fruͤhjahr den Gukuk nimmer 
schreien. Thut was ihr wollt!“ Als der Pa— 
tient so mit ihm reden hoͤrte, ließ er sich sogleich 
den andern Morgen die Stiefeln salben und machte 
sich auf den Weg, wie ihm der Doktor befohlen 
hatte. Den ersten Tag ging es so langsam, daß 
wohl eine Schnecke haͤtte koͤnnen sein Vorreiter 
seyn, und wer ihn gruͤßte, dem dankte er nicht, 
und wo ein Wuͤrmlein auf der Erde kroch, das 
zertrat er. Aber schon am zweiten und am drit⸗ 
len Morgen kam es ihm vor, als wenn die Voͤgel 
schon lange nimmer so lieblich gesungen haͤtten 
wie heut, und der Thau schien ihm so frisch und 
die Kornrosen im Feld so roth, und alle Leute, 
die ihm begegneten, sahen so freundlich aus, und 
auch, und alle Morgen, wenn er aus der 
Herberge ausging, war's schoͤner, und er ging 
leichter und munterer dahin, und als er am 
18ten Tage in der Stadt des Arztes ankam, 
und den andern Morgen aufstand, war es ihm 
so wohl, daß er sagte: „Ich haͤtte zu keiner 
ungeschicktern Zeit koͤnnen gesund werden als jetzt, 
wo ich zum Doktor soll. Wenn's mir doch nur 
tin wenig in den Ohren brauste, oder das Herz⸗ 
wasser lief mir.“ Als er zum Doktor kam, nahm 
n der Doktor bei der Hand, und sagte ihm: 
Jetzt erzaͤhlt mir denn noch einmal von Grund 
aus, was euch fehlt. Da sagte er: Herr Doktor, 
mir fehlt Gottlob nichts, und wenn ihr so ge— 
sund seyd wie ich, so sol's mich freuen. Der 
Doktor sagte: „Das hat euch ein guter Geist 
gerathen, daß ihr meinem Rath gefolgt habt. 
Der Lindwurm ist jetzt abgestanden. Aber ihr 
habt noch Eier im Leib, deßwegen muͤßt ihr wie⸗ 
der zu Fuß heimgehen, und dabeim fleißig Holz 
saͤgen, das niemand sieht, und nicht mebr essen, 
als euch der Hunger ermahnt, damit die Eier 
aicht ausschluͤpfen, so koͤnnt ihr ein alter Mann 
werden,“ und laͤchelte dazu. Aber der reiche 
—— sagte: „Herr Doktor, ihr seyd ein 
einer Kauz, und ich versteh' euch wohl, und 
bat nachber dem Rath gefolgt, und 87 Jahre, 
2Monate, 10 Tage gelebt wie ein Fifch im 
Wasser so gesund, ugd dat alie Neujahr bem Arzt 
20 Dublonen zum Gruß geschickt. (Hebel.) 
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Nuͤtzliche Lehren. 
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Die Menschen nehmen oft ein kleines Unge⸗ 
mach viel schwerer auf, und tragen es ungé⸗—⸗ 
duldiger, als ein großes Ungluͤck, und der ist 
aoch nicht am schlimmsten daran, der viel zu 
klagen hat, und alle Tage etwas anders. Er⸗ 
fahrung und Uebung im üngluͤck lehrt schweigen. 
Aber wenn ihr einen Menschen wißt, der nicht 
ALagt, und doch nicht froͤhlich seyn kann, ihr 
fragt ihn, was ihm fehle, und er sagt's euch 
kurz und gut, oder gar nicht, dem sucht ein 
zutes Zutrauen abzugewinnen, wenn ihr es werth 
seyd, und rathet und helft ihm, wenn ihr koͤnnt. 
2. 
Ist denn der Mensch deßwegen so schlimm 
und so schlecht, weil die boͤsen Neigungen zuerst 
in seinem Herzen erwachen, und das Gute nur 
durch Erziehung und Unterricht bei ihm anschlaͤgt? 
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und Unkraut aus eigener Kraft und euer Leben 
ang keine Weizen⸗Ernte; und ein duͤrres Sand⸗ 
feld, das nicht einmal aus eigener Kraft Unkraut 
treibt, wird auch euern Fleiß und eure Hoffnung 
nie mit einer Fruchtgarbe erfreuen. Aber wenn 
hr den guten Boden ansaͤet zu rechter Zeit, sein 
vartet und pfleget, wie sich's gebuͤhret, so steigt 
m Morgenthau und Abendregen eine froͤhliche 
Saat empor, und die Raden und Kornrosen und 
mancherlei taubes Gras moͤchten gern, aber es 
kann nicht mehr empor kommen. Die gesunde 
Aehre schwankt in der Luft, und fuͤllt sich mit 
ostbaren Koͤrnern. So ist es mit dem Men— 
schen und mit seinem Herzen auch. Was lernen 
wir daraus? Man muß nicht unzeitig klagen 
and hadern und die Hoffnung aufgeben, ehe sie 
erfuͤllt werden kann. Man muß den Fleiß, die 
Mube und Geduld, die man an eine Handvoll 
Fruchthalmen gerne verwendet, an den eigenen 
Kindern sich nicht verdrießen lassen. Man muß 
dem Unkraut zuvorkommen, und guten Samen, 
schoͤne Tugenden in das weiche zarte Herz hin⸗ 
— und Gott vertrauen, so wird's besser 
werden. 
3. 
J Man vergißt im menschlichen Leben nichts fo 
leicht, als das Multipliciren, wenn man es noch 
so gut in der Schule gelernt hat und kann. Und 
doch lernt man in der Schule fuͤr das Leben, 
und die Weisbeit besteht nicht im Wissen, son⸗ 
dern in der rechten Anwendung und Ausuͤbung 
davon. 
Es kann Jemand einen Tag in den andern 
nur einen Groschen unnoͤthigerweise ausgeben. 
Maucher, der den Groschen uͤbrig hat, thut es,
	        
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