Full text: Kurhessischer Kalender // Amtlicher Kalender für das Kurfürstenthum Hessen (1836-1845)

zur Marter der schuldlosen, elenden Pferde; — 
setzt peitscht und schlaͤgt er wie blind und toll 
auf die Pferde, besonders auf den Kopf und vor 
die Blesse, gewaltig mit verkehrtem Peitschenstiel, 
und nach vieler Anstrengung gelingt es ihm dann 
wohl, die zitternden Thiere mit dem Wagen 
ohne weiteres Ungluͤck zuruͤck zu bringen. Alle 
die Schlaͤge auf die Pferde haͤtte eigentlich 
der Fuhrmann selbst mit Recht haben muͤssen, 
denn nur durch seine Unachtsamkeit allein ent⸗ 
stehen dergleichen Vorfaͤlle. Hierbei und durch 
uͤhnliches uͤngeschick geschieht es auch, daß der 
Bauer einem Pferde ein Auge einschläaͤgt, oder 
gefaͤhrlich verletzt — und daher findet man unter 
den Dorfpferden so viele blinde oder scheele. 
Oft kommen solche unerfahrne, unwissende 
Fuhrleute gar betruͤbt nach Hause, wenn sie in der 
Stadt den verursachten Schaden mit schweren 
Kosten und Polizeistrafen verbuͤßen mußten, — 
ohne noch den etwaigen Verderb am Wagen und 
Beschirre, die Abmergelung der Pferde und den 
nun verkuͤmmerten Gewinn von ihrer Stadtfuhre 
zu rechnen. Gluͤck noch genug, wenn so dumme 
Wagenfuͤhrer nicht ein Menschenleben gefaͤhrden, 
oder ihnen ein Pferd verungluͤckt. 
Daß die Behandlung der Pferde beim Ackern 
und Felddienst nicht besser und eben so unwissend 
und ungeschickt, zur fruͤhen Verkruͤppelung der⸗ 
elben geschieht, fieht man nicht selten, und diese 
Arbeit wird den kraftlosen Thieren durch das 
nie ruhende Zerpruͤgeln zur Qual und Marter. 
Wuͤrde nun der Bauer von diesen bemerkten 
Ursachen seines schlechten Pferdestandes, wenn 
uch nicht alle, doch mehrere bessern, vermeiden 
und aͤndern koͤnnen und wollen, — ei, so 
duͤrfte er nicht neidend oder mit innerm Vor—⸗ 
wurf und Verdruß auf ein stattliches, wohlge⸗ 
naͤhrtes und geputztes Viergespann aus der Ge⸗ 
gend von der Edder oder Schwalm blicken, — 
dieses koͤnnte er dann wohl eben so gut haben! — 
(G.) 
Verschiedenes. 
Der geheilte Patient. 
Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Voͤgel 
doch manchmal auch allerlei Lasten und Krank⸗ 
heiten auszustehen, von denen Gottlob der arme 
Mann nichts weiß, denn es gibt Krankheiten, 
die nicht in der Luft stecken, sondern in den vollen 
Schuͤsseln und Glaͤsern, und in den weichen Ses⸗ 
seln und seidenen Betten, wie jener reiche Am⸗ 
zderdamer ein Wort davon reden kann. Den 
zanzen Vormittag saß er im Lehnsessel und rauchte 
Tabak, wenn er nicht zu traͤge war, oder hatte 
Maulaffen feil zum Fenster hinaus, aß aber zu 
Mittag doch wie ein Drescher, und die Nach— 
barn fagten manchmal: Windet's draußen, oder 
schnauft der Nachbar so? — Den ganzen Nach— 
mittag aß und trank er ebenfalls bald etwas 
Kaltes, bald etwas Warmes, ohne Hunger und 
ohne Appetit, aus lauter langer Weile bis an 
den Abend, also, daß man bei ihm nie recht 
sagen konnte, wo das Mittagessen aufhoͤrte und 
wo das Nachtessen anfing. Nach dem Nacht⸗ 
essen legte er sich ins Bett, und war so muͤd, 
als wenn er den ganzen Tag Steine abgeladen, 
oder Holz gespalten haͤtte. Davon bekam er 
zu'etzt einen dicken Leib, der so unbeholfen war, 
vie ein Maltersack. Essen und Schlaf wollte 
hm nimmer schmecken, und er war lange Zeit, 
vie es manchmal geht, nicht recht gesund und 
nicht recht krank; wenn man aber ihn selher 
hoͤrte, so halte er 305 Krankheiten, naͤmlich alle 
Tage eine andere. Alle Aerzte, die in Amster⸗ 
dam sind, mußten ihm rathen. Er verschluckte 
zanze Feuereimer voll Mixturen, und ganze Schau⸗ 
eln voll Pulver, und Pillen wie Enten-Eier so 
zroß, und man nannte ihn zuletzt scherzweise 
aur die zweibeinige Apotheke. Aber alle Arz⸗ 
neien halfen ihm nichts, deunn er folgte nicht, 
vas ihm die Aerzte befahlen, sondern sagte: 
Fondre, wofuͤr bin ich ein reicher Mann, wenn 
ch soll leben, wie ein Hund, und der Doktor 
vill mich nicht gesund machen fuͤr mein Geld? 
kudlich hoͤrte er von einem Arzt, der 100 Stunden 
veit weg wohnte, der sey so geschickt, daß die 
Kranken gesund werden, wenn er sie nur recht 
anschaue, und der Tod geh' ihm aus dem Weg, 
vo er sich sehen lasse. Zu dem Arzt faßte der 
Mann ein Zutrauen, und schrieb ihm seinen Um⸗ 
tand. Der Arzt merkte bald was ihm fehle, 
zaͤmlich nicht Arznei, sondern Maͤßigkeit und 
Bewegung, und sagte: Wart, dich will ich bald 
urirt haben. Deßwegen schrieb er ihm ein Brief⸗ 
ein folgenden Inhalts: „Guter Freund, ihr 
habt einen schlimmen Umstand, doch wird euch 
zu helfen seyn, wenn ihr folgen wollt. Ihr habt 
rin boͤs Thier im Bauch, einen Lindwurm mit 
ieben Maͤulern. Mit dem Lindwurm muß ich 
elber reden, und ihr muͤßt zu mir kommen. Aber 
uͤr's Erste so duͤrft ihr nicht fahren, oder aus 
em Roͤßlein reiten, sondern auf des Schuh⸗
	        
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