Full text: Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1874-1884)

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ging guten Mutes an sein Geschäft. Das war der Schiffs— 
koch, der brachte es fertig, im Kohlenhaus einen „neun— 
drätigen“ Kaffe zu kochen und mit diesem Labetrank seinen 
halbtoten Kammeraden neues Leben in die Adern zu flößen. 
Und welches Zaubermittel hatte dieser Schiffskoch ange— 
wendet um sich wiederzubeleben, zu seinem Amte zu stärken 
und dann seinen Leidensbrüdern die unsäaliche Woliat zu 
erweisen? 
Antwort: Er hatte sich, als er vom Lager aufgestanden 
war, eine noch vom Tage zuvor gestopfte PPfeife Tabak an— 
gezündet. Und als die Kameraden mit den dampfenden 
Kaffeetassen auf das Wol des tapferen Schiffskochs anstießen, 
der nie den Mut und die Tattraft verliere, auch in den 
schlimmsten Stunden nicht: da blies der wackere Seemann 
eine gewaltige Dampfwolke aus seinem Pfeifenstummel und 
sagte mit größter Gemütsruhe: „So lang ich noch Tabak 
habe, mache ich mir aus dem Allen gar nichts.“ 
Ein Capitel von der Maͤßigkeit. 
Den Kalenderschreiber beißt das Gewißen ein wenig, 
darüber, daß er am Ende gar durch das Lobd des Tabats 
in vorstehendem Aufsatz den Leser aufgemuntert hat, seine 
Pfeife noch fleißiger als vordem zu stöͤpfen und noch mehr 
blaue Dampfringe in die Luft zu blasen als bisher. Des— 
wegen soll hier daran erinnert sein, daß von dem edlen 
Kraut genau dasselbe gilt, was Jesus Sirach sagt: „Der 
Wein erquickt dem Menschen das Leben, so man ihn 
mäßiglich trinkt.“ 
Um aber jeglicher nachteiliger Wirkung der Geschichte 
vom Schiffskoch der Hansa noch kräftiger vorzubeugen, sei 
hier als Gegengift eine wahre und lehrreiche andere Tatsache 
mitgeteilt. 
In Venedig wurde im Jahre 1467 reichen und vor— 
nehmen Eltern ein Sohn geboren, der in seiner Jugend und 
der ersten Hälfte des Mannesalters alle Vorteile des Reich— 
tums und der Vornehmheit seines Hauses in Ueppigkeit 
genoß, ein schwelgerisches Leben fürte und in Folge dessen 
so elend und gebrechlich wurde, daß ihm eines Tages, als 
er kaum das vierzigste Jahr erreicht hatte, die Aerzte an— 
kündigten, er könne keine zwei Monate mehr leben, wenn 
er nicht einen ganz anderen Lebenswandel beginne und 
wenn er nicht die größte Mäßigkeit namentlich im Essen und 
Trinken übe. 
Dieses Todesurteil bewog den vornehmen Venetianer, 
Ludwig Cornaro hieß er, in sich zu gehen und den festen 
Entschluß eines neuen Lebens zu faßen. Er fing an seine 
leibliche Nahrung auf das allergeringste Maß herabzusetzen 
und nur noch eben so viel zu essen und zu trinken, als die 
äußerste Notdurft erforderte. Kaum hatte Ludwig Cornaro 
diese Lebensweise einige Tage hindurch gefürt, so fülte er 
sich in seinem Befinden woler als jemals zuvor. Er beschloß 
daher, fortan dabei zu bleiben und nahm dann viele Jaͤhre 
hindurch täglich nicht mehr als, Alles zusammengerechnet, 
bierundzwanzig Loth feste Speise und sechsundzwanzig Loth 
Hetränk zu sich. Dabei vermied er statke Erhitzung und 
Erkältung des Leibes wie jede leidenschaftliche Aufregung der 
Seele. Durch diese körperliche und geistige Mäßigkeit erwarb 
sich Ludwig Cornaro ein Wolbefinden und eine Heiterkeit 
des Gemüts, wie sie nur selten bei einem Menschen vor— 
zanden gewesen sein mögen. Er selbst hat im dreiundachtzigsten 
Jahre seines Lebens ein merkwürdiges Buch über die Ge— 
schichte desselben verfaßt, in welchem er die wundersame 
Veränderung, die mit ihm vorgegängen, erzält, das hohe 
ßlück, welches ihm durch die Mäßigkeit zu Teil geworde 
zreist und die Mittel angibt, wie er zu demselben gelan— 
war. 
In diesem Buche teilt Ludwig Cornaro auch mit, da 
er sich, achtzig Jahre alt, habe durch seine Freunde berede 
sassen, von der langjärigen Gewohndeit abzuweichen un 
(weil man ihm vorgestellt, in seinem hohen Älter müssen 
ju seiner Kräftigung mehr Nahrung zu sich nehmen als bi 
her) seine tägliche Speise auf 28 und sein Getraͤnk au 
32 Loth zu erhöhen. „Kaum hatte ich“, so erzählt er, „die 
Lebensweise zehn Tage fortgesetzt, als ich anfing, statt meine 
borigen Munterkeit und Fröhlichkeit, kleinmütig, verdroßen 
mit mir und Andern unzufrieden zu werden. Am drelzehnte 
Tage überfiel mich ein Fieber das über einen Monat'fort 
dauerte, so daß man an meinem Aufkommen zweifeltt 
Aher durch Gottes Hülfe und meine vorige Diät erholte id 
mich wieder und genieße nun in meinem 83. Jahre de 
angenehmsten Letbes- und Seelenzustand. Ich reite, it 
erklimme steile Anhöhen, ich arbeite und die Erziehund 
meiner elf Enkel gewärt mir tausend Freuden. Oft sing 
ch mit ihnen, denn meine Stimme ist jetzt klarer und stärke 
als sie je in meiner Jugend war. Ich weiß nichts von de 
Beschwerden und den mürrischen Launen, die so oft da 
Loos des Alters sind.“ 
Ein „grüner Greis“, als leibhaftiger Prediger 
Wunderwirkung mäßigen Lebensgenusses, wandelte Ludw' 
Lornaro dann noch laͤnge, nachdem er diesen Bericht g 
schrieben, auf Erden, bis er hundert und ein Jahr alt au 
seinem zeitlichen Frieden in den ewigen Frieden einging. 
Raͤtsel. 
i. 
Es ist eine Ehe ganz ungleicher Art, 
Der, Mann ist weich und die Frau ist hart; 
Er hüllt sich in Linnen, sie deckt sich mit Stahl, 
Und dennoch nennt er sich Herr und Gemahl. 
Zie wirket und schafft sich mit Kraft durch die Welt', 
Er schleicht auf den Zehen ihr nach durch das Feld; 
Sie grüßt nicht, sie nickt nicht, ste macht keinen Knix, 
Er schmiegt sich und biegt sich und kriegt doch die Wir. 
Und geht ihm die Kraft aus, sie läßt ihn im Stich 
Und nimmt einen andern ganz öffentlich. 
II. 
Das arme Ding hat ein Paar Schuh 
Und fehlt ihm doch das Bein dazu. 
Ob Du's von vorn von hinten liest, 
Es bleibt doch immer was es ist. 
III. 
— 
— 
Mein Erstes brauchen viele nur fürs Essen, 
Zbwol's auch spricht und singt und küßt und lacht, 
Absonderlich bei Festen und Congressen 
Oft seine Kunst erfolgreich geltend macht. 
Mein Zweites, in der Küche dienstbeflissen, 
Muß oft dem Ersten seine Kräfte weih'n 
Pur sein Zuviel ist schädlich, wie wir wissen, 
Weil sonst der Brei wird leicht versalzen fein. 
Den größten Tafeln ist es unentbehrlich, 
Es würzt dem Fürsten selbst sein Leibgericht. 
Nun rate, lieber Leser! — aber ehrlich 
Will ich gesteh'n, ein „Mundkoch“ bin ich nicht. 
(Auflösung der Rätsel im nächstjärigen Kalender.) 
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