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Das Oelfieber.
Der freundliche Kalenderleser kennt, wenn auch hoffentlich
aur vom Hörensagen, das kalte Fieber, das gelbe Fieber,
das Nervenfieber und so weiter, aber vom Oelfieber weiß
er nichts. Und eben darum soll hier davon erzält werden.
In verschledenen Gegenden der Erde quellen aus der
Tiefe Brunnen von Oel, das wahrscheinlich aus stark erhitzten
Lagerungen von Steinkohlen und Braunkohlen stammt.
Nirgends fließen diese Quellen reichlicher als in Nordamerika,
besonders in Pennshylvanien, Virginien und Kanada. Den
Indignern waren dieselben längst bekannt, ehe ihnen der
heimische Boden von den eindringenden Europäern streitig
gemacht und entrißen wurde. Aber die Rothäute wußten
nichts davon, daß in diesen Oelquellen unermeßlicher Wert
verborgen sei; sie benutzten das Erdöl als Heilmitiel gegen
steife Gelenke und rheumatische Gliederschmerzen und ließen
harmlos den Ueberfluß in den Eriesee abfließen.
Erst lange nachdem in neuerer Zeit die Entdeckung ge—
macht war, daß aus Stein- und Braunkohlen flüßige und
feste Stoffe zur Beleuchtung zu gewinnen seien, erkannte
man, daß das aus der Erde quellende natürliche Oel für
denselben Zweck mit weit geringeren Kosten verwendet werden
könne. Nun wandte sich die Aufmerksamkeit auch jenen
Erdolbrunnen zu, und die Nordamerikaner stürzten sich mit
der ihnen, wo es gilt Geld zu erwerben, eigenen Hasiigkeit
auf die Ausbeutung der lange vernachläßigten Ouellen.
Zuerst geschah das im Jahre 1857 in Penusylvanien nördlich
von Pittsburg. Ueberall dort und bald auch in andern Teilen
jener Gegend wurde der Erdbohrer in Bewegung gesetzt,
und nach kurzer Mühe entströmte das Oel in solcher Fülle
dem Schoße der Erde, daß man große Not hatte, biese
Ströme zu bewältigen. Mit Windeseile verbreitete sich die
Kunde von der wichtigen Entdeckung durch Nordamerika,
und wie einst die Nachricht von den aufgefundenen Gold—
minen in Californien die Köpfe der mammonsüchtigen Leute
derdreht hatte, so bemächtigte sich jetzt ihrer die Leidenschaft
für Erdöl (Petroleum). Tausende strömten in die plötzlich
berümt gewordenen Gegenden. Das „Oelfieber“' wirkte
ansteckender als die Cholera.
Den größten Vorteil bei dieser allgemeinen Krankheit
batten nicht die Aerzte und Apotheker, sondern die Grundeigen—
ümer in den Oelgegenden, Da, nachdem die fließenden
Quellen erschöpft waren, Niemand zu den Quellen gelangen
konnte, ohne durch den Boden zu bohren, stieg der Preis der
Hrundstücke dort zu fabelhafter Höhe. In der Graffchaft
Venango in Pennshylvanien wurde schon im Jahre 1859 ein
Acker Landes, der kurz vorher wenige Dollars gekostet batle,
mit tausend Dollars bezahlt, wobei sich der Verkäufer noch
einen Gewinnanteil an dem Oele vorbehielt. Wie durch
Zauber veränderte sich die Gestalt der Oelbezirke. Ehedem
hatte man dort nur einzelne ärmliche Farmen angetroffen,
und die einzigen Fremden, die sich dorthin verirrten, waren
Holzfäller gewesen, die ihre Flößen den Alleghanyfluß berab—
treiben ließen. Nun entfaltete sich in der einst so stillen
GBegend ein Leben änlich dem auf den californischen Gold—
feldern, cin leidenschaftlich wildes Leben. Ueberall sah man
Zimmerleute tätig, um Hütten, Schuppen und Niederlagen
zu errichten, und binnen wenigen Jahren waren in der vor—
herigen Einöde Städte und Dörfer emporgeschoßen. Das
waren die Lazarethe, in denen die vom „Oelfieber“ Be—
fallenen bausten.
Damals war, in den Petroleumsbezirken der jäheste
Wechsel zwischen Armut und Reichtum, Reschtum und Armut
in der Tagesordnung. Blutarme Teufel wurden über Nad
»ermögende Herren, wolhabende Leute sahen sich im Hand
imdrehen um die Früchte jahrelangen Schweißes gebracht
Denn gar mancher Oelfieberkranke wendete seine gesammte
Ersparniße an den Erwerb eines Grundstücks und die Er
bohrung einer Quelle, der bald darauf verzweifelnd, mi
Nichts im Besitz als seiner Arbeitskraft, weiter ziehen, ode
in den Oelgegenden sein Brod als einfacher Tagelöner ver
dienen mußte, wärend einzelne andere aus früher fast wen
losen Grundstücken Hunderttausende von Dollars lösten.
Einer von den Letzteren, der wie im Märchen plötzlit
aus Not und Dürftigkeit zu Reichtum und Besitz kam, wa
Thomas Shaw. Der hatte auf ein Grundstück in de
Nähe des pennsylvanischen Städichens Victoria manchen
angen Monat hindurch seine ganze Hoffnung und all' seint
dabe gesetzt. In der Gluthitze und dem Schüttelfrost det
Delfiebers grub er einen Brunnen aus; aber die erfehnk
Quelle wollte nicht hervorbrechen. Die Brunnen seing
Nachbarn floßen von Reichtum über; nur er allein erhieh
einen Teil an dem Petroleumstrom. Gegen Mitte Janua
1862 war Thomas Shaw ein ruinirter Mann. Verspotte!
von glücklicheren herzlosen Nebenbuhlern, in zerlunpter
Kleidern mit leeren Taschen trieb er sein fruchtloses Tagewer'“
Eines Tages im Januar sah Thomas Shaw sich auße
Stande weiter zu arbeiten, da seine Schuhe vollständi,
zerrißen waren, und er nicht in der Nässe und Kälte barfru)
ju stehen vermochte. Mit verzagtem Herzen begab er sit
n einen benachbarten Verkaufsladen und bat um ein Paa
Schuhe auf Borg. Die Bitte wurde ihm unsanft abge
chlagen. Niedergebeugt von Kummer und Sorgen kebrtt
er zu seinem trocknen Brunnen zurück. Noch einen Ta
hatte er beschlossen zu arbeiten, dann aber, wenn es abel
mnals vergeblich gewesen sei, den Wanderstab zu nebme
uind anderswo Brod zu suchen. Mismutig hob er de—
Bohrer empor und stieß ihn mit zorniger Gewalt auf de
Felsgrund nieder. Da, borch! was ist das für ein Geräusch
Es quillt Etwas rieselnd und zischend aus der Tiefe empo
mit unwiderstehlicher Gewalt. Das Rohr der Pumpe full
ich mit Oel, fünf, zehn, fünfzehn Minuten vergehen — di
st der Brunnen bis zum Rande voll. Das Oel fließt übet
es füllt einen Behälter; es fließt über den Behälter; all
Bewühungen es zu faßen sind vergeblich.
Ob er lachen oder weinen sollte, war für Thomas Shat
'n diesem Augenblick eine sehr zweifelhafte Frage. Jedoch
vraktisch, wie die Amerikaner sind, hielt er sich nicht lang
»ei Gefülen auf, sondern breilte sich, seinen unverhoffte
Reichtum zu sichern. Die Nachricht von der überfließende
Delquelle verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter den An
iedlern. Nun war der verachtete Thomas plötzlich de
Begenstand der allgemeinen Aufmerksamkeit und Höflichkeil
Noch an diesem Morgen hatte man ihn kurzweg „old Shaw
den alten Shaw) genannt; jetzt hieß er mit Einem Mal
„Mister (Herr) Shaw“. Er wurde von den guten Nachbarn
mit Glückwünschen überschüttet; auch der Kaufmann, der
om vor einer Stunde die Schuhe verweigert hatte, kan
sehr eilig berbei und: „Mein lieber Herr Shaw“ sagte er
„mein Laden steht mit allem, was drin ist, Ihrem Credi
zur Verfügung“.
Der, Brunnen floß und floß in unendlicher Ergiebigkeit
Nach einiger Zett berechnete Thomas Shaw, daß deiselbe
bin ungefär 89 Gallonen (über 360 Liter) in je 14 Minuten
ieferte. Das betrug etwa 28Silbergroschen in der Minutt,
29 Dollars in der Stunde, 9500 Dollars für einen Tag
396,524 TDollars im Jahre, die Sonntage nicht mitgerechnet
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