Full text: Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1874-1884)

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Der Fremde greift in seine Westentasche; aber es ist 
kein Geld darin. Da zieht er eine kostbare goldene Uhr 
heraus und reicht sie dem nicht weichenden Dränger hin. 
Dieser aber wies mit zornigem Blicke die reiche Gabe 
zurück. „Sie glauben wohl, da ich arm bin, könnten's 
mich durch, Ihr Geschenk von meiner Pflicht bringen? 
Jetzt gehen's erst recht mit!“ 
Und so führt denn der Grenzmann den angeblichen 
König fort auf's nächste Zollamt. Daselbst erkennen 
die Beamten alsbald den König Friedrich August von 
Sachsen (f 1854) und bitten um Entschuldigung ob 
des Irrthums. Der König, ein Freund der Pflanzen— 
kunde und auch ein Kenner auf diesem Gebiet, hatte 
nämlich einen botanischen Ausflug gemacht und seinen 
Wagen in einem sächsischen Dorfwirthshause nahe an 
der Grenze zurückgelassen. Im Weggehen sprach er zu 
dem ganz verdutzt dastehenden Grenzmann: „Sie sehen, 
daß ich die Wahrheit gesagt und demnach nicht gerade 
einen Bestechungsversuch in Absicht gehabt habe. Jetzt 
können Sie mit gutem Gewissen die Uhr von mir an— 
nehmen; tragen Sie dieselbe zum Gedächtniß an mich 
und diese Stunde. Auch werde ich an Ihren Kaisfer 
schreiben und ihm sagen, was er für einen rechtschaffenen 
Diener an Ihnen hat. Sie sind ein braber Mann. 
Nennen Sie mir Ihren Namen.“ 
Jetzt fehlte es weder an freudiger Annahme der dar—⸗ 
gereichten Uhr noch später an dem königlichen Empfehlungs⸗ 
schreiben und der entsprechenden Weiterbeförderung des 
pflichtgetreuen Grenzjägers. 
brinz ließ ihn kommen, unterhält sich mit ihm, und die 
rockenen Antworten des schon graubärtigen Wusketiers 
zefallen ihm so wohl, daß er den Soldaͤten auffordert, 
ich eine Gnade auszubitien. Der Musketier sagt, er 
visse nichts zu bitten und bleibt bei dieser Aeußerung 
nuch bei einer wiederholten Aufforderung. Auf vieles 
Zureden läßt er sich denn endlich also vernehmen, wie 
da oben zu lesen steht. 
Räthsel. 
1. Erste und zweite Silbe. 
Wir tragen nicht Schmuck, weder Orden noch Stern 
Doch weilen wir stets vom Hofe nicht fern. 
Dritte und vierte Silbe. 
Wir machen beredter, als Worte oft kund, 
Was tief sich verbirgt auf der Seele Grund. 
Das Ganze. 
Mich bringst, du nicht fort, ob auch winzig und klein. 
Wo einmal ich war, kehr' ich wieder zur Pein. 
2. 
Finster siehst du mir in's Auge, 
Möchtest gerne mir entfliehn, 
Ahnest nicht, wie oft ich tauge, 
Edle Früchte groß zu ziehn. 
Nimm ein Zeichen, heitre Mienen 
Rufe dann ich oft hervor, 
Werde gern der Freude dienen; 
Willig leihst du mir dein Ohr. 
Nimm noch zwei, und alles Leben 
Wäre ohne mich dahin. 
Leid und Freude kann ich geben, 
Sucht bei Andern näch dein Sinn. 
Nimm noch eins und folg der Lehre: 
Sei im Guten fest, wie ich; 
Dauernd so dem Bösen wehre, 
Dann kann viel geschehn durch dich. 
Der Musketier, der gern Reiter werden will. 
„Nun, wenn's ja so sein soll: ich bin 25 Jahre bei 
den Füßern gewesen, nun möchte ich's doch auch ein— 
mal bei den Reitern probieren.“ 
Der so spricht, war ein hessischer Musketier, der sich 
im brabantischen Feldzug ganz besonders brav gehalten 
und die Aufmerksamkeit des Befehlshabers, der ein 
preußischer Prinz war, auf sich gezogen hatte. Der 
2* 
3 
344* 
Zum Jahresschluß. 
70 
82 
94. 
10 
00 
11 
Auf dunkeln Schwingen senkt sich wieder 
So ahnungsvoll, so tröstlich mild, 
Des Jahres letzter Abend nieder 
Zum winterlichen Schneegefild, 
Der Abendglocken fromm Gelaͤute 
Tönt hehren Klanges durch die Nacht 
And predigt, wenn ich's recht mir deute: 
„Der Herr hat alles wohlgemacht!“ 
Verrauscht ist nun der bunte Reigen 
Des Jahreslaufs mit Lust und Leid; 
Doch Gottes ewge Storuo Roinon 
So tröstlich aus der 
Am freundlich winkt 
Der Abendsftern in 
Ob Jahee kommen —WM 
„Der Herr hat 
dabt Dank — wie seid ihr schnell entschwunden, 
Ihr Freuden, die das Jahr mir bot! 
Fahr hin — nun bist Du überwunden, 
Ull dieses Jahres Müh und Noth; 
Schlaft wohl, ihr abgeschiednen Lieben! 
Ob einmal noch der Schmerz erwacht, 
Mir ist ein süßer Trost gebleben: 
„Der Herr hat alles wohlgemacht!“ 
Ind wenn auch ich in dumpfer Bahre 
Jetzt bei den andern draußen schlief? 
ned Vnrr ws noch im alten Jahre 
Zoottes Engel rief? 
zeiner Jahre Sünden 
ier dunkeln Nacht, 
eerst getrost verkünden: 
wohlgemacht!“ 
Run sammelt sich im Kreis der Zecher 
Die Welt zum rauschenden Gelag 
Ind übertäubt im Klang der Becher 
Der Mitternacht gewichtgen Schlag; 
Ich aber will — schlasen legen 
And unter Gottes treuer Wacht 
Entschlummern mit dem Abendsegen: 
„Der Herr hat alles wohlgemacht!“ 
1 
2/ 
131 
136 
140 
15/ 
156 
In seinem Schatten ohne Sorgen 
Zchlummr' ich hinein in's neue Jahr, 
Als Morgenstern erscheint Er morgen, 
Der Abendstern mir heute war, 
Mein Pilgerstab ist Gottes Treue, 
Die gnädig mich hieher gebracht; 
Bom alten Jahr ererbt's das neue: 
„Der Herr hat alles wohlgemacht!“ 
KRarl Gerof 
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17
	        
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