Full text: Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1874-1884)

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zum Kinder untereinander zankten und haderten und bald 
daf wiederum vertrugen und versöhnten, sprach er: Lieber 
ccht Herr Gott, wie wohl gefällt Dir voch solches Kinder— 
ileif Leben und Spielen, ja alle ihre Sünden find Nichts, 
denn Vergebung der Sünden. — Seiner, des Doctors, 
Zöhnlein eins saß am Tisch und lallete vom Leben im 
Himmel, sagete, wie so eine große Freude im Himmel 
väre mit Essen, Tanzen. Da wäre die größte Lust, 
die Wasser flössen wie eitel Milch und die Semmlein 
vüchsen auf den Bäumen. Da sprach Dr. Martin: 
Das Leben der Kinderlein ist am allerseligften und 
besten; denn sie haben keine zeitliche Sorge, fsehen die 
rräuliche und ungeheure Schwaͤrmer und Rotiengeister in 
den Kirchen nicht, leiden noch fühlen kein Schrecken des 
Todes noch der Hölle, haben nur reine Gevanken und 
röhliche Speculation. — Er spielte und phantasirte 
inmal mit seinem Töchterlein Magdalenichen und fragte 
ie: Lenichen, was wird Dir der heilige Christ bescheeren 
Darnach sagte er: Die Kinderlein haben so feine Ge— 
»anken von Gott, daß er im Himmel und ihr Gott 
ind lieber Vater sei. Darnach brachte ihm sein Weib 
ein Söhnlein Martinichen, da sprach er: Ich wollte, 
zaß ich in des Kindes Alter gestorben wäre, da wollte 
ch alle Ehre um geben, die ich habe und noch bekäme 
n der Welt. Und da er das Kindlein zu sich auf den 
Schooß nahm, verunreinigte es ihn, spraͤch er: O wie 
nuß unser Herr Gott so manch Murren und Gestank 
on uns leiden, anders, denn eine Mutter von ihrem 
dinde. — Auf eine andere Zeit nahm Dr. Martin 
uther sein kleines Söhnlein und sprach zu ihm: Du 
bist unseres Herrn Gottes Närrchen, unter feiner Gnade 
ind Vergebung der Sünden, nicht unter dem Gesetz. 
Du fürchtest Dich nicht, bist ficher und bekümmerst Dich 
im Nichts nicht, wie Du es machst, so ist's unver— 
derbet. — Die Eltern haben die jüngsten Kinder allzeit 
im liebsten, sagte Dr. Martin. Mein Martinichen ist 
nein liebster Schatz, und solche Kinderlein dürfen der 
Eltern Sorge und Liebe wohl, daß ihrer fleißig gewartet 
verde. Hänsichen, Lenichen, Paulichen können nun reden, 
dürfen solche Sorge so groß nicht. Darum steiget die 
Liebe der Eltern aulezeit und einfältig niederwärts, mehr 
»enn aufwärts, zu denen, so am neulichsten geboren sind. — 
ODr. Martin wollte seinen Sohn N. in dreien Tagen 
nicht vor sich kommen lassen und wiederum zu Gnaden 
znnehmen, bis so lange er schrieb, demüthigte sich und 
hat es ihm ab. Und da die Mutter, Dr. Jonas und 
ODr. Teuteleben für ihn baten, sprach er: Ich wollte 
lieber einen todten, denn einen ungezogenen Sohn haben.“ 
An jedem Jahrmarkte bedachle er seine Kinder, die 
er oft selbst unterrichtete, wenn er ihnen auch eigne 
Lehrer hielt, oder, wie seinen jungsten Sohn, die Staͤrt— 
chule in Wittenberg besuchen ließ. Er sagte einmal: 
„Ich, wiewohl ich ein alter Doctor der heiligen Schrift 
din, bin ich doch nicht aus der Kinderlehre kommen 
und verstehe die zehn Gebote Gottes, den Glauben und 
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schreibt er an einen Fi. ier e⸗ 
Töchterlein Elisabethchen gegg. 
ꝛin weibisch Trauern hinterlassen J 
»aß ich nie gedacht hätte, daß das Varc. J 
verden könnte über die Kinder.“ — Als seine 
Tochter Magdalene schwer erkrankte, und er erkan 
zaß er sie verlieren werde, sprach er zu ihr: „Magda— 
enichen, mein Töchterlein, Du bleibest gern hier bei 
einem Vater und ziehest gern zu jenem Vater.“ Sie 
prach: „Ja, herzer Vater, wie Gott will.“ Als sie 
m Sterben lag, fiel er vor dem Bett auf die Kniee, 
veinte bitterlich und betete, daß sie Gott wolle erlösen. 
Da verschied sie und entschlief in des Vaters Armen. 
Als sie im Sarge lag, sprach er: „Wunderding ist es 
uu wissen, daß sie gewiß im Frieden und ihr wohl ist, 
ind doch noch so traurig sein!“ 
Seine Erholung suchte und fand Luther im Kreise 
der Seinen, zu denen sich auch seine Freunde gesellten; 
iächstdem auch in der Musik. Wie hoch er dvieselbe 
chätzte, zeigen Aussprüche wie diese: „Der schöusten 
ind herrlichsten Gaben Gottes eine ist die Musica, der 
st der Satan sehr feind, damit man viel Anfechtungen 
ind böse Gedanken vertreibet. Der Teufel erharret ihr 
nicht. Musica ist der besten Künste eine. Sie verjagt 
den Geist der Traurigkeit. Musica ist das beste Labsal 
ꝛinem betrübtem Menschen, dadurchsdas Herz wieder 
uufrieden, erquickt und erfrischt wirb. Musica ist eine 
jalbe Disciplin und Zuchtmeisterin, so die Leute ge— 
inder und sanftmüthiger, sittsamer und vernünftiger 
nachet. Musicam habe ich allezeit lieb gehabt. Wer 
ziese Kunst kann, der ist guter Art zu Allem geschickt. 
Die Musica ist eine schöne herrliche Gabe Gones und 
iahe der Theologie. Singen ist die beste Kunst und 
lebung. Wer die Musicam verachtet, wie denn alle 
Schwaͤrmer thun, mit denen bin ich nicht zufrieden. 
Denn die Musica ist eine Gabe und Geschenk Gottes, 
nicht ein Menschenwerk. So vertreibt sie auch den 
Teufel und macht die Leute fröhlich. Man vergißt 
dabei alles Zorns, Unkeuschheit, Hoffart und andere 
aster. Ich gebe nach der Theologie der Musica den 
iächsten Locum und höchste Ehre.“ 
Auch unschuldigem Vergnügen war Luther hold. 
Ob es denn auch Sünde fei, pfeifen und tanzen zur 
Zochzeit, sintemal man spricht, daß viel Sünden vom 
Tanzen kommen? Ob bei den Juden Tänze gewesen 
ind, weiß ich nicht; aber weil es Landes Sitte ist, 
zleich wie Gäste laden, schmücken, essen, trinken unb 
röhlich sein, weiß ich es nicht zu verdammen, ohne die 
lebermaß, so es unzüchtig und zuviel ist. Daß aber 
Sünde da geschehen, ist des Tanzens Schuld nicht allein,.
	        
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