Full text: Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1874-1884)

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ichon seit Jahren sehnsüchtig geschaut hatte, und weiße 
Handschuhe schmückten seine sonst so schwieligen und sonne— 
»erbrannten Hände. In dem Soldatenrocke sahen nun 
auch die „Jungens“ ganz anders aus, und auch Fremde 
konnten ihnen ihre Anerkennung nicht versagen wegen 
ihres frischen und strammen Wesens, während sonst 
die Bornefelder Schönheit nicht gar berühmt war. In 
Bornefeld selbst hatte man nur Bornefelder Begriff 
von Schönheit. Schlanker Wuchs galt entschieden für 
häßlich, nur der konnte auf Anerkennung rechnen, der 
„gepackt war, und in der That fand sich selten in Borne— 
feld ein Menschenkind, das über das knappste Mittelmaß 
reichte, um so breitschultriger und breitspuriger waren 
sie in der Regel. Deshalb suchte man in unserer Garde 
oder Gardeducorps vergeblich nach einem Bornefelder 
Kinde; die meisten dienten bei der „Adollerie“, die 
leichteren bei den Husaren, aber jeder unter seiner Waffe 
mit Bewußtsein und darum ehrenhaft, brav und mit 
Auszeichnung. 
Die eigenthümliche Beschaffenheit des Bornefelder 
Menschenschlags fand sich auch wieder bei den Thieren. 
Alles Vieh in Bornefeld, vom Pferd bis auf den Hund, 
war „gepackt“, war aber auch wie die Menschen von 
zroßer Kraft und Ausdauer, und in Bornefeld kannte 
man keine verächtlichere Bezeichnung für Menschen und 
Vieh als die: „was thue ich mit langen Beinen?“ und 
der alte bibelkundige Eckhard führte sogar das Schrift— 
wort an Pf. 147, V. 10 und wiederholte das oft, so 
oft ihm auch der alte Claus bemerkte, das heiße In— 
fanterie und Cavallerie. 
Von dieser Bornefelder Schönheit unterschied sich nun 
Lenchen sehr und nicht zum Kummer Michels; denn 
Michel wünschte nichts sehnlicher, als daß Lenchen ledig 
— 
Erfüllung dieser Sehnsucht darauf, daß das Mädchen 
einen Bornefelder Burschen sicher nicht heirathen könne. 
Lenchen hatte tiefblondes Haar, während in Bornefeld 
alle Kinder bis zur Schule „erbesgele Weißköpfe“ waren, 
die sich in der Regel dunkler färbten, aber eigentlich 
keine Farbe hatten und stramm und strack vom Kopfe 
standen. Michel meinte deshalb, nach dem „Fuchs“ 
wird Niemand gucken. Lenchens Haar war stark ge— 
lockt, Michel nannte sie deshalb einen „Kutzelkopf“, statt 
der regelmäßig grauen Augen der Bornefelder hatte 
Lenchen blaue, und Michel erklärte, das seien „Katzen⸗ 
augen“; hatte Lenchen eine feine weiße Haut und zarte 
rothe Backen, so war sie nach seinem Urtheil den mit 
Sommerflecken bedeckten derben Bausbacken der Borne⸗ 
jelder gegenüber wie ein Kuchen, „der beim Mondschein 
gebacken“; den Ausschlag aber gab Lenchens große und 
schlanke Gestalt, und darum war sein letzter Trost — 
wenn ihm etwa doch eine Ahnung von Lenchens absonder⸗ 
licher Schönheit kam — „wer wird die Stange wollen!“ 
Und doch war Einer auf der Ausnahme gewesen, der 
längst sein Auge auf das Mädchen geworfen hatte und 
nuch dem Mädchen nicht gleichgültig war, und das war 
tein Anderer, als Greben Hanjost! Man hätte meinen 
ollen, die Beiden kännten sich nicht; denn die beiden 
Häuser waren seit demmal gänzlich geschieden. Das 
vußten Hanjost und Lenchen wol, und darum gaben sie 
ich den Schein, als machten sie sich nichts auseinander; 
hegegneten sie sich etwa, so boten sie sich die Zeit, aber 
Niemand hatte sie mit einander sprechen gesehen. In 
—R 
ntweder in's Gesangbuch, oder auf den Pfarrer, und 
Hanjost schien kurzsichtig, so dicht hielt er sein Gesang⸗ 
ouch vor's Gesicht. 
Aber, aber. — Als die Burschen von der Ausnahme der 
amen, stand Lenchen in ihrem Garten, mit Aufhaͤngen Bl 
»on Wäsche beschäftigt. Die lustigen Burschen, welche zu 
in der Hecke vorüber zogen, grüßten scherzend, konnten uͤbr 
iber dem Mädchen keine Antwort und kein Lächeln ab⸗ abe 
ocken. Als sie aber vorüber waren, da stand's an einen sah, 
Baum gelehnt und guckte drum herum auf den Weg ihm 
»on der Stadt her lange, lange. Endlich kam noch ein Dic 
Bursch, bei dessen Anblick Lenchens Backen sich höher Gey 
arbten; sie trat wieder an die aufgehängte Wäsche und futt 
upfte eifrig daran herum. Als es aber von der Hecke die 
jer leise und herzlich rief: „Lenchen!“ da trat sie langsam Jso 
zäher; denn Hanjoft war's, der fie rief. „Du meintest als 
vol, ich sei nicht genommen?« frug er die Zögernde. 
„Was follte ich mir darüber Gedanken machen“, er⸗war 
viderte sie, „wer von Euch genommen wurde und wer sich, 
nicht?“ — „Du wußtest doch, daß ich zur Ausnahme war, gemn 
und unter den Burschen hast Du mich nicht gesehn.“ — das 
„Du meinst wol, ich hätte mich groß nach denen um⸗ hat 
geguckt.“ — „Na, aber Du hast doch wol gedacht, warum 
sch nicht dabei war!“ — „Warum? Du konntest ja noch 
Geschäfte gehabt haben!“ — „Ach, liebes Lenchen, vexir doch 
nich nicht. Du hast mich doch gern!« Leuchen sah ihm 
unter sich, schmunzelte und fragte: „Liegt Dir denn Abe 
daran was?“ — „Ach, Du weißt wol, daß mir daran mehr ihn 
liegt, als an meinem Leben!“ — „Das wäre!“ — „Ja, 
und heute mußt Du mir sagen, ob Du meine Frau hatte 
verden willst, wenn ich wieder loskomme!“ — „Hat denn kom 
das so Eile? Du mußt doch 3 Jahre dienen — dann Bor 
rag wieder nach“. — „Nein, heute muß ich's wissen, jetzt fein 
Jleich!“ Dabei hatte er durch die dünne und noch dürre vor 
Zecke gegriffen und ihre Hand erfaßt. Die ließ sie ihm des 
villig und schaute vertrauensvoll in das offene glühende besse 
Gesicht Hanjost's, aber sprechen that sie nicht. „Sag sich 
mir voch nur das eine kleine Wörtchen, daß ich's weiß nur 
und ruhig sein kann, wenn ich weg muß.“ — „Frag doch ma 
mal deine Mutter, Du weißt doch!“ — „Ach, ich weiß 6 
wol, drum spreche ich heute nicht mit ihr; aber wenn und 
ich in 3 Jahren wieder komme, dann thue ich's, und ihm 
dann spricht sie nicht „Nein⸗; das weiß ich gewiß/“. — Zwei 
„Nun, so laß uns bis dahin warten!“ —“,„Wilist Du bespꝛ 
wahrhaftig auf mich warten?« Mit einem raschen Ruck ging 
zog Lenchen ihre Hand zurück und eilte dem Hause zu— Dick 
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