Full text: Amtlicher Kalender für den Regierungsbezirk Cassel (1874-1884)

wollte; der Bürgermeister machte sich gemüthlich mit 
seinen sonstigen Papieren zu schaffen. 
Wolf trollte sich endlich. Wenn der Fluch in Er— 
füllung gegangen wäre, den er vor dem Dorfe aus— 
sprach, Bornefeld stände nicht mehr, wäre unterge⸗ 
gangen wie Sodom an demselbigen Tage. Da das lieb⸗ 
liche Dorf aber stehen blieb und im Segen, so kam 
Wolf wieder und wieder. Endlich schickte er einen Be— 
vollmächtigten; der schloß den Kauf ab, wie vor drei 
Jahren in des Bürgermeisters Protokoll geschrieben war, 
und von Zasseras fiel für Wolf nichts ab. 
Das war eine Geschichte, die ganz im Stillen vorging 
und doch weit und breit in der Nachbarschaft berühmi 
wurde; Bornefeld hatte den Nutzen davon. Anfangs 
meinten zwar Viele, diese Geschichte müsse der Gemeinde 
großen Schaden bringen; denn ohne Handelsleute ginge 
es nicht. Aber Viele, welche von der Geschichte hörten, 
wollten einmal das sonderbare Dorf sehen; und wenn 
dann die Kutscher kamen und sahen die durabelen Pferde, 
die auf einer Hute im Freien erzogen waren, und das 
prachtvolle Rindvieh, die gesunden Schafe — so fehlte es 
nicht an Liebhabern — und da die Bornefelder ehrlich und 
zuverlässig waren, nie den Käufer hinter's Licht zu führen, 
geschweige denn zu betrügen suchten, auch selten einmal 
was vorschlugen, so kaufte man ihnen gern ab, und wer 
einmal von Bornefeld gekauft hatte, kam wieder und 
recommandirte die Gemeinde auch Andern. Bald merkte 
man, wie viel man gewann, Käufer und Verkäufer, da 
man dem Zwischenhändler keinen Gewinn, oft den 
größten, zu geben brauchte. 
Aber diese Geschichte war die letzte, die der brave 
Bürgermeister erlebte. Bald darauf fing er an zu 
kränkeln, und ehe die Ernte von Greben Michels Land 
reif geworden, wurde er, „der treue Knecht“, abgerufen, 
um, wie der Pfarrer hoffte und in der Leichenpredigt 
fagte, „über Viel gesetzt zu werden“. 
Greben Michel hatte sich, so lange die Geschichte mit 
seinem Lande spielte, sehr zurück gehalten. Es war doch 
zu viel Bornefelder Geist in ihm, daß er sich nicht hätte 
schämen sollen. Er hätte auch Gelegenheit gehabt, bei 
dem Vetter zu bleiben; aber immer zog's ihn wieder 
nach Bornefeld; denn der Hase bleibt da am liebsten, 
wo er geheckt ist. 
Als nun über die Geschichte Gras gewachsen war, 
lebte Michel wieder in Bornefeld bei seiner Schwester; 
benn ein anderer Plan beschäftigte seine Seele. Oft 
wiederholte er sich sein Leibwort: „wer nichts hat⸗ u. s. w. 
Er hatte etwas gehabt; er hatte viel erworben; — nur 
das Freien hatte nicht passen wollen. Doch jetzt schien's. 
als müsse es passen. 
Elise, die Witwe des Bürgermeisters, war eins von 
den Mädchen gewesen, welche auf Michels Liste standen, 
als er die ersten Heirathsgedanken gefaßt hatte, und 
zwar stand sie oben an; denn sie war ein schönes, gutes 
und im jeder Beziehung tüchtiges Mädchen. Der Haken 
aber war, daß ihre Eltern noch rüstig und ihr Ver— 
mögen nicht flüßig war. Elise hatte von diesem Anstof 
erfahren und damals schon den Michel, welcher sich in 
einer schwachen Stunde, in der er seinen Reim 'ma 
oergessen hatte, ihr näherte, schroff zurückgewiesen; dem 
„verhandeln“ wollte sie sich nicht lafsen. Jetzt erwacht! 
hei Michel der alte Gedanke, und er meinte, nun müss! 
ꝛs passen. Elise war Witwe; sie hatte nur einen Sohn 
ie Bestreitung ihres Bauernwerkes überstieg fast ihr 
cräfte; er aber, Michel, hatte jetzt doppelt so viel Ver— 
nögen, wie damals, war noch ein rüstiger und, wie er 
ich sagte, stattlicher Mann, und wenn auch nicht Bürger— 
neister, doch, wenn er in das Werk freite, der ange 
ehenste Mann im Dorfe. Ja, das mußte passen. 
Aber es paßte wieder nicht. Der Hieronymus Nägel, 
der unvermeidliche Freiersmann von Bornefeld, kam 
eines Tages feierlich angestochen, so zwischen Nacht unt 
Dunkel; denn er war selbst sehr in Zweifel, ob sein 
Antrang angenommen werde, und warb für Michel um 
klise in Greben Hause. 
Hatte er auch schon manchmal einen Korb heimschleppen 
nüssen, so ohne das geringste Säftchen war ihm doch noch 
einer gegeben worden; heute war's anders, es hatte nicht 
piel gefehlt, so hätte ihn die erzurnte Frau sehr unsacht an 
die Luft gesetzt. Er machte sich rasch aus dem Staube unt 
uchte heimlich zu entkommen; denn er fühlte sich in 
seiner Würde gekränkt. Nun mußte ihm gerade, wie 
er so im Sturm davon rannte, seine Schwesier begegnen, 
eine alte Jungfer, bei der Michel gewiß einen bessern 
Empfang gefunden hätte, als im Greben-Hause. Sie 
sah ihrem Bruder an, daß er was auf dem Herzen 
hatte, und quälte so lange an ihm, bis er ihr sein 
Mahlheur haarklein bekannt hatte. Und so geschah's 
denn, daß diese Geschichte in einem großen Theile des 
Dorfes herum war, ehe Michel davon wußte. Dem 
var doch so ein bischen bupper geworden, und er 
hatte gethan, was nur äußerst selten vorkam, er war 
n's Wirthshaus gegangen. Da faßen ungewöhnlich viele 
Bornefelder beisammen und munkelten und lachten und 
linzten sich einander und dann den Michel an, tranken 
hm zu, wuͤnschten ihm gute Verrichtung, stichelten und 
azten immer lauter und verfänglicher, daß ihm plötzlich 
ein Licht aufging wie eine Stallaterne. Der neben 
hm saß, sagte nachher, er habe auf der Bank ein 
Zittern gespürt, das von Michel ausging; man hattt 
zuch bemerkt, wie seine sonst frischen Wangen fahl 
vurden und er nach Luft schnappte. Aber er bezwang 
iich und forderte eine Stange Branntwein. 
Damals hatte man für das schöne leichte in Borne— 
feld gebraute Bier zwei Arten von Trinkglaäͤsern, Stange 
and halbe Stange; die Stange hielt ein gutes halbes 
Maaß, etwas mehr als ein Liter. Als Michel eine 
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Ohren nicht; denn Michel war sehr mäßig und rrank, 
venn er 'mal Branntwein trank, höchstens ein Halbes⸗ 
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